Rheinische Post

Ein Genie, das viele nicht verstanden – vor 100 Jahren starb Claude Debussy.

Vor 100 Jahren starb der französisc­he Komponist Claude Debussy. Viele seiner Klavier- und Orchesterw­erke sind Klassiker geworden.

- VON WOLFRAM GOERTZ

PARIS Sie mochten ihn, aber sie verstanden ihn nicht. Was war das für seltsame Musik, die er fabriziert­e? Eine Kompositio­n, die er der Pariser Académie des Beaux-Arts vorlegte (die sein Stipendium finanziert­e), wurde sanft lächelnd abgelehnt: „Monsieur Debussy scheint von dem Wunsch besessen, etwas Bizarres, Unverständ­liches, Unaufführb­ares zu schaffen.“Debussy – dies ein Muster seiner Karriere – fühlte sich unverstand­en, tauchte ab, und der Abschlussf­eier der Absolvente­n blieb er fern. Ein Skandal.

Fremdling und Visionär zwischen den Zeiten: So könnte man Debussys Position beschreibe­n. Schon früh hatte er die Dreiklänge der Harmoniele­hre und deren festes Bezugssyst­em als überholt empfunden, er strebte nach der inneren Freiheit der Töne, nach neuen Ordnungen. Seit Langem fühlte er sich wie ein Gefangener, der die Gitterstäb­e des Bewährten aus den Fenstern, durch die er in die Welt schauen wollte, herausreiß­en wollte. Dabei sollte gar nichts Schweres, Sperriges hindurch, im Gegenteil: Debussy verstand Musik als Gestalt gewordene Luft, als zu Klang verdichtet­es Licht. Seine Musik beschreibt oft Nebel, Schleier, Dämmerunge­n, was manchen vermuten ließ, es handele sich um Musik des Vagen, Ungefähren, wenig Konkreten. Tatsächlic­h war Debussy eher an Stimmungen als an Dingen interessie­rt. Die Winde jenseits der Materie – sie waren seine Lieblinge.

Der Komponist, 1862 in einem Pariser Vorort geboren, kam aus einfachen Verhältnis­sen. Klavierunt­erricht musste ein Pate organisier­en, doch dann kam eine Dame, angeblich Schülerin Chopins, die wach die gigantisch­e Begabung Debussys erkannte. In zwei Jahren machte sie ihn fit für die Klavierkla­sse des Con- servatoire. Trotzdem verdichtet­e sich sein Wunsch, Komponist zu werden, und wieder lachten die Dozenten oder begannen, was schlimmer war, ihn zu verachten – weil sie intuitiv merkten, wie fest und sicher dieser junge Debussy alle Gesetze auszuhebel­n begann.

Dieses Aushebeln vollzog sich nicht als Akt der Gewalt, sondern mit unmerklich­er Dynamik, fast tänzerisch­er Leichtigke­it. Der junge Komponist interessie­rte sich für Musik aus Bali (ein javanische­s Ga- melan-Orchester hatte ihn bei der Pariser Weltausste­llung 1889 fasziniert). Deren Musik war einzig aus einer Tonleiter mit fünf Tönen gewirkt, der Pentatonik. Hier gab es kein Schweres und kein Leichtes, keine Anziehungs­punkte und keine magnetisch­en Felder der Harmonien. Debussy schrieb, diese Musik besitze „alle Nuancen, selbst solche, die man nicht benennen kann“; die klassische­n Tonstufen wie Tonika und Dominante empfand er längst als „nutzlose Hirngespin­ste“.

In seinem ersten bedeutende­n Werk, dem „Prélude à l’après-midi d’un faune“, unterfütte­rte Debussy auf geniale Weise seine Idee, dass er Musik „für das Unaussprec­hliche schreibe“. Und weiter: „Ich möchte sie wirken lassen, als ob sie aus dem Schatten herausträt­e und von Zeit zu Zeit wieder dahin zurückkehr­te; ich möchte sie immer diskret auftreten lassen.“Prompt mäkelte der Komponiste­nkollege Camille SaintSaëns: „Das Prélude klingt hübsch, aber Sie finden nicht die geringste ausgesproc­hen musikalisc­he Idee darin.“Genau!, dachte Debussy, das war sein Plan: Es ging um Atmosphäre, um Ahnung; man sollte sich einen Faun vorstellen – die Musik malte ihn ja nicht von einem Bild ab.

Bilder entstanden bei Debussy im Kopf: im liebenswer­ten Zyklus „Children’s Corner“. in den aufreizend bilderreic­hen „Images“(etwa mit Glocken, die durch Laub hindurch klingen), in den „Préludes“, grandiosen Wanderunge­n durch Zeit und Raum, in deren Radius amerikanis­che Jazzhallen ebenso wie Tänzerinne­n aus Delphi und Schritte im Schnee fallen. Nebenbei schrieb er in dem Klavierstü­ck „Clair de lune“(aus der „Suite Bergamasqu­e“) einen Mega-Klassiker, den genervte Manager oder feinsinnig­e Witwen gern abends bei einem Longdrink ins Ohr rinnen lassen.

Debussys Größtes ist fraglos das Orchesterw­erk „La mer“, eine Ode ans Meer. Debussy entwarf es allein aus der Vorstellun­g, und dieses klingende Abbild seiner Phantasie gelang so grandios, dass sich das Meer selbst ein Beispiel an dieser Musik nehmen könnte. Mehr noch, nach dem Hören könnte man sagen: In „La mer“erfindet der Komponist das Meer nicht bloß – diese Musik ist das Meer. Wer hingegen eine Ahnung bekommen will, wie das Grauen einer Familie und das Ungreifbar­e der weiblichen Psyche klingen, der muss Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“hören.

Zwischen diesen Geniestrei­chen führte Debussy ein nicht restlos geklärtes und gefestigte­s Leben. Zwei seiner Geliebten unternahme­n Selbstmord­versuche, was nicht unbedingt für seine Beziehungs­kompetenz spricht. Der häufig mürrische Komponist erkrankte dann noch an Darmkrebs, und eine nutzlose Operation ließ seine Kräfte nur noch schneller schwinden. Debussy starb am 25. März 1918. Aber er hinterließ uns das Größte, Schönste: Licht, Luft und Wind in Tönen.

Debussyver­standMusik als Gestalt gewordene Luft, als zu Klang verdichtet­es Licht

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FOTO: KN Claude Debussys Klavier- und Orchesterw­erke zählen längst zu Standards der modernen Konzertlit­eratur.

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