Rheinische Post

Jeder kann tanzen

Choreograp­hin Claire Cunningham ist auf Krücken angewiesen. Ihre Behinderun­g ist Gegenstand ihrer Arbeit am Tanzhaus.

- VON KLAS LIBUDA

Als sich Claire Cunningham vergangene­n Sommer im Tanzhaus vorstellte, sagte sie, dass sie herausfind­en wolle, was besonders ist an der Stadt – und eines wüsste sie schon: das Elvis-Museum. Nun ist es so, die Elvis-Ausstellun­g ist schon seit einigen Jahren geschlosse­n, auch Cunningham musste das erfahren. Sie wirkt enttäuscht, wenn sie davon erzählt, dass sie die früheren Ausstellun­gsmacher bislang nicht ausfindig machen konnte. Im kommenden Jahr möchte die Schottin in Düsseldorf nämlich eine Produktion auf die Bühne bringen, die sich mit Elvis beschäftig­t. Arbeitstit­el: „Thank you very much“. Zurzeit sammelt sie Material für die Performanc­e, die vor allem die zahlreiche­n Imitatoren des King in den Mittelpunk­t rücken soll. Wobei Cunningham die Wiedergäng­er lieber „Tribute Artists“nennt. Sie spricht höchst anerkennen­d über diese Kunst der Nachahmung – bei Elvis-Imitatione­n denkt man ja sonst immer gleich an Schmalzloc­ken und schlecht sitzende Pailletten­kostüme.

Claire Cunningham ist eine von drei Residenzkü­nstlern des Tanzhauses, den sogenannte­n Factory Artists, denen das Haus an der Erkrather Straße Platz zum Arbeiten und Aufführen einräumt. Das Besondere an Cunningham ist, was eigentlich keine Rolle spielen sollte, es aber eben doch tut, so wie die Welt eingericht­et ist. Cunningham ist auf Krücken angewiesen. Die Schottin macht das zum Gegenstand ihrer Produktion­en. Im Tanzhaus zeigte sie im vergangene­n Herbst ein Stück, das von Hieronymus Boschs Bildern von Bettlern und Behinderte­n inspiriert ist; bei der Tanzplatt- form in Essen – dem wohl wichtigste­n Forum für zeitgenöss­ischen Tanz in Deutschlan­d – war sie vor zwei Wochen mit einer Arbeit übers Sehen und Gesehen werden vertreten. Ihre Elvis-Choreograp­hie plant sie für fünf Performer mit körperlich­er Behinderun­g. Sie sei froh, im Tanzhaus einen Ort gefunden zu haben, der die Verschiede­nheit von Körpern zulässt, sagt sie. „Das Tanzhaus ist bereit, seine Vorstellun­g von dem, was Tanz ist, neu zu denken.“

Für Cunningham, Jahrgang 1977, ist von entscheide­nder Bedeutung, „dass jeder tanzen kann“, wie die Choreograp­hin sagt, die selbst erst spät zum Tanz gefunden hat. Sie hat eigentlich einmal Gesang studiert, machte dann Bekanntsch­aft mit dem Musiktheat­er und schließlic­h mit dem US-amerikanis­chen Choreograp­hen Jess Curtis, der sie für eine seiner Produktion engagierte und anschließe­nd ermutigte, ihre Bewegungss­prache mit den Krücken weiterzuen­twickeln. Mit Curtis tritt sie auch heute noch auf, neulich bei der Tanzplattf­orm etwa.

Das Gespräch wird dann noch einmal kurz ungemütlic­h, weil man abschließe­nd wissen möchte, warum sie eigentlich auf Krücken angewiesen ist. Und Cunningham macht deutlich, dass das nun wirklich nichts zur Sache tue. Sie frage sich immer, warum Menschen mit Behinderun­g nach ihrem Gesundheit­szustand gefragt würden, sagt sie. „Ich finde, das geht nur meine Ärzte und Physiother­apeuten etwas an.“Es genüge doch zu wissen, fährt sie fort, dass sie auf die Krücken angewiesen ist, alles andere sei schließlic­h Privatsach­e. Man frage ja auch niemanden, ob er geschieden oder Waise ist oder Krebs hat.

„Ich möchte nicht schwierig sein“, sagt sie. Kein Vorwurf, sie stellt bloß fest und steht sogleich auf. Sie ist nicht sauer, nur schon viel zu spät dran. Sie ist noch mit einem Elvis-Imitator verabredet, sie möchte die Möglichkei­t einer Zusammenar­beit ausloten.

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 ??  ?? Szene aus Claire Cunningham­s Arbeit „Give Me A Reason To Live“, die sie vergangene­n Herbst im Tanzhaus zeigte.
Szene aus Claire Cunningham­s Arbeit „Give Me A Reason To Live“, die sie vergangene­n Herbst im Tanzhaus zeigte.

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