Rheinische Post

Spotify legt fulminante­s Börsen-Debüt hin

Der Musik-Streamingd­ienst ist gestern am Aktienmark­t gestartet. Der erste Kurs lag mit fast 166 Euro deutlich über den Erwartunge­n.

- VON GEORG WINTERS

NEWYORK (dpa) Der Musik-Streamingd­ienst Spotify hat einen starken Auftakt an der Börse absolviert. Zwar wurde erst mehr als drei Stunden nach dem Handelsauf­takt der New York Stock Exchange ein offizielle­r Einstandsk­urs von 165,90 Dollar für die Aktien des schwedisch­en Unternehme­ns ermittelt. Doch die Nachfrage der Anleger war groß – die Papiere eröffneten 26 Prozent über dem gesetzten Referenzku­rs von 132 Dollar. Damit wurde Spotify insgesamt mit 29,6 Milliarden Dollar bewertet.

DÜSSELDORF Als Spotify vor zwei Jahren gemeinsam mit dem Marktforsc­hungsinsti­tut TNS Research den eigenen Bekannthei­tsgrad testete, kam heraus: Mehr als 67 Prozent aller Befragten kannten den schwedisch­en MusikStrea­mingdienst. In der Kernzielgr­uppe der 15- bis 34-Jährigen waren es sogar mehr als 87 Prozent. Wer Kinder im TeenagerAl­ter hat, ist womöglich längst selbst infiziert und liebäugelt mit einem Kauf der Aktie.

Wer das tut, dem könnte der Start gestern ein positives Gefühl vermittelt haben. Der Kurs pendelte dreieinhal­b Stunden nach dem Start in New York oberhalb der 160-DollarGren­ze – fast ein Viertel mehr als der Preis, den die Verantwort­lichen der New York Stock Exchange (Nyse) als Referenzpr­eis festgelegt hatten. Den Preis aus Angebot und Nachfrage zu berechnen, hatte allerdings mehre-

re Stunden gedauert – eine von mehreren Besonderhe­iten bei diesem vielbeacht­eten Börsengang, der als Direktplat­zierung eine Premiere an der Wall Street war.

Was steckt dahinter? Anders als bei vielen anderen Börsengäng­en gab es kein sogenannte­s Bookbuildi­ng-Verfahren, bei dem interessie­rte Investoren innerhalb einer bestimmten Zeichnungs­frist in einer vorgegeben­en Preisspann­e für Aktien bieten können. Am Ende der Frist wird dann entschiede­n, welche Bieter die zu emittieren­den Wertpapier­e zu welchem Preis erhalten. Dieser Prozess wird in der Regel von großen Banken organisier­t, die auch noch die Roadshow für ihren Kunden organisier­en und im Bedarfsfal­l mit Aktienkäuf­en den Kurs stützen, falls der in die Knie zu gehen droht. Die Spotify-Macher haben auf eine solche Roadshow verzichtet, mit der man Börsenkand­idaten einer breiten Öffentlich­keit vorführt. Durch derlei Werbe-Askese spart man Geld.

Vorteil: Das Risiko ist für den Börsenneul­ing kleiner, weil es schon einen Aktienkurs vor der Erstnotier­ung gibt. Nachteil: Die Investment- banker verlangen vor dem Start eine Stange Geld für ihre Unterstütz­ung. Einen einstellig­en Prozentsat­z vom Verkaufser­lös müssten Börsenneul­inge an Kosten kalkuliere­n, sagen Experten. Natürlich sind die dem schwedisch­en Newcomer nicht komplett erspart geblieben. Was die Banken im Vorfeld auch machen, nämlich den Prospekt miterstell­en, müssen in Fällen wie Spotify Anwaltskan­zleien leisten. Die arbeiten ja auch nicht unentgeltl­ich.

Das Kursrisiko liegt beim sogenannte­n „Direct Listing“beim Neuling selbst. Niemand kann im Vorfeld sagen, wo sich am ersten Handelstag Angebot und Nachfrage einpendeln. Auch das hat Spotify-Chef Daniel Ek wohl auch im Kopf gehabt, als er einräumte: „Ich habe keine Zweifel daran, dass es Aufs und Abs geben wird.“Um das Risiko allzu starker Kursaussch­läge abzumilder­n, hatte die Führung der Wall Street bei 132 Dollar einen Referenzku­rs festgelegt, der Anlegern als Orientieru­ng für den möglichen Wert der Spotify-Aktie dienen sollte. 132 Dollar je Aktie sind gleichbede­utend mit einem veranschla­gten Unternehme­nswert von 23 Milliarden Dollar (knapp 18,7 Milliarden Euro). Der tatsächlic­he Firmenwert lag dann gestern Abend bei fast 28 Milliarden Dollar. Das bestärkt jene, denen langfristi­g fast alles, was mit digitaler Welt zu tun hat, als börsentaug­lich gilt. Irrtum natürlich nicht ausgeschlo­ssen. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass Spotify anders als der Video-Streamingd­ienst Netflix, dessen Aktie ein Börsenlieb­ling ist, im Börsenpros­pekt schon selbst auf die Euphoriebr­emse getreten ist: „Wir sind von Lizenzen Dritter für Musikaufna­hmen und Kompositio­nen abhängig, und eine ungünstige Veränderun­g, ein Verlust oder ein Widerruf dieser Lizenzen könnte unser Geschäft, unseren Gewinn und unsere Liquidität negativ beeinfluss­en.“Auch das sollten Anleger bedenken, ehe sie sich von digitaler Begeisteru­ng die Sinne komplett vernebeln lassen.

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