Zu allem Überfluss
DÜSSELDORF Ein Beitrag zum Überfluss muss mit meiner Oma beginnen. Dabei ist sie nie ein Mensch gewesen, der zur Verschwendung neigte. Schon deshalb nicht, weil sie als sogenannte Kriegswitwe für sich und ihren Sohn sparsam und sorgsam leben musste. Das aber spielte keine Rolle, wenn die Enkelkinder und überhaupt die Familie zu Besuch kamen – sonntags oder feiertags. Dann bogen sich bei ihr nämlich die Tische, wie man so sagt. Nichts fehlte, ach was: von allem schien es doppelt und dreifach zu geben. Woher das alles kam (wahrscheinlich abgespart) und wohin die Reste gehen sollten (höchstwahrscheinlich in die Tonne) war uns einerlei. Weil diese Familienfeiern stets Essensund Kinderparadiese waren. Das Schlaraffenland war bei Oma.
Was damals völlig unzensiert und ehrlich genossen wurde, erregt heute ein gewisses Unbehagen. Und besonders nach Feiertagen wie dem zurückliegenden Osterfest, zu dem kein Müllcontainer auch nur annähernd die anfallende Abfallmenge bewältigen kann. Viele Plätze werden automatisch zu kleinen Müllplätzen, wenn an ihren Rändern Container zu stehen kommen. Sicher, man könnte doppelt so viele platzieren, und wir alle ahnen, dass nach kurzer auch diese Kapazität ungenügend sein würde. Wir leben mit und ein bisschen auch im Müll, und dass die Batterien an Entsorgungsbehältnissen für Papier, Glas, Kleidung usw. inzwischen das Bild der Innenstädte prägt, scheint auch niemanden mehr zu stören.
Achselzuckend könnte man darauf reagieren, frei nach dem Motto: Wir leben halt in einer Überflussgesellschaft, die es zumindest soziologisch mit den ersten Studien erst seit den 1950er Jahren gibt. Davor herrschten im historischen Rückwärtslauf Entbehrung und Zweiter Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und Erster Weltkrieg. So einfach, so schön – und so ungenau. Natürlich stimmt es, dass wir in Deutschland genug von allem haben und viel mehr konsumieren als nötig ist.
Auch wenn das Abfallaufkommen nach den Zahlen des Umweltministeriums in den zurückliegenden zehn Jahren nahezu gleich geblieben ist – und bei etwa 338 Millionen Tonnen liegt – so bleibt die Bundesrepublik immer noch jenes Land, dass in Europa zu viel Abfall produziert: pro Kopf 136 Kilogramm mehr als im EU-Durchschnitt – nach den Zahlen von 2013. Zu bedenken ist allerdings auch der ungebrochene Verwertungseifer der Deutschen. Im Vergleichzeitraum lag die Recyclingquote von Verpackungen bei über 97 Prozent. „Kreislaufwirtschaft“heißt das Zauberwort, dass unseren immensen Konsum moralisch etwas abfedern soll.
Das Phänomen des Überflusses ist damit nicht wirklich erfasst. Herkünfte von Worten sind nicht immer der Weisheit letzter Schluss, sehr oft aber ein wichtiger Fingerzeig. Überfluss kam als Lehnübersetzung aus dem Lateinischen zu uns. Abundantia war das Wort, das ursprünglich mehr im Sinne hatte als bloß den Überfluss. Das „Überquellen“und „Überströmen“gehörten einst zu seinem Bedeutungsumfeld. Und die sind deutlich positiver besetzt als der Überfluss.
Bei aller berechtigten wie auch gebotenen Konsumkritik erscheint es daher ratsam, dem Überfluss ein wenig unvoreingenommener, gar freundlicher zu begegnen. Wirkt er doch wie eine Art zivilisierter Bruder der hemmungslosen Völlerei, und ist er doch längst nicht so bedrohlich wie die Dekadenz, die ja nicht unwesentlich für den Untergang Roms verantwortlich gewesen sein soll.
Es gibt durchaus andere Lesarten. Im Gleichnis von den anvertrauten Talenten heißt es im Matthäus-Evangelium: dass der, der das ihm Anvertraute gut