Rheinische Post

Wenn aus Sparern Anleger werden

Wer nicht durch Inflation enteignet werden will, sollte umdenken: weg von der reinen Zinsanlage, hin zu einem breiter aufgestell­ten Vermögen. Zwar wird niemand über Nacht zum Aktionär, aber der Kauf von Anleihen wäre ein erster Schritt.

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Die Zinsen. Wieder einmal. Sie sollen der Grund dafür sein, warum die Aktienkurs­e zuletzt deutlich geschwankt haben. So lautet zumindest eine beliebte Erklärung. Weil die Zinswende (jetzt aber wirklich!) kurz bevorstehe, es also künftig wieder deutlich höhere Zinsen für das Ersparte geben werde, sind Aktien plötzlich weniger attraktiv. Das Warten der Sparer, die ihr Geld über viele Jahre so stoisch auf dem Sparbuch oder Festgeldko­nto haben liegen lassen, hat sich am Ende womöglich doch gelohnt!

Wenn es doch so einfach wäre. Die Realität sieht anders aus. Möglicherw­eise sind die Aktienkurs­e nur deshalb gefallen, weil sie genau das in den vergangene­n 24 Monaten eben nicht getan hatten! Sondern einfach immer weiter geklettert waren. Ein Aufwärtstr­end wie an einem Lineal gezogen. Dass der nicht die Regel, sondern eher eine Aus- nahme war, haben offenbar viele vergessen. Gut möglich, dass die Kurse in den kommenden Wochen weiter zurückfall­en werden. Es wäre eine, so dämlich es klingen mag, „gesunde“Korrektur. Ganz gleich, ob der gefühlte Auslöser der Zins ist oder etwas anderes.

Dass der Zins dauerhaft deutlich steigt und damit alle Sparer wieder froh macht, ist sehr unwahrsche­inlich. Zumindest in den Eurostaate­n, also auch hier bei uns in Deutschlan­d. Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) wird es sich nicht erlauben können, mit höheren Zinsen zu experiment­ieren. Andernfall­s hätten die hoch verschulde­ten Mitgliedsl­änder ein Problem, ihre Schulden zu bezahlen. Italien beispielsw­eise, mit einer Schuldenqu­ote von rund 130 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts. Dazu passt, dass die Italiener bei den Parlaments­wahlen ihre Stimmen mehrheitli­ch eurokritis­chen Parteien gegeben haben. Die Gefahr, dass sich Italien vom Euro verabschie­den könnte, ist also real. Eine Drohkuliss­e, auch für die EZB. Die dürfte alles tun, um Italien die Euro-Mitgliedsc­haft so angenehm wie möglich zu gestalten. Ein höherer Zins würde gewiss nicht zu den Annehmlich­keiten gehören. Ganz im Gegenteil.

Für Sparer sind das keine guten Nachrichte­n. Sie werden weiter schleichen­d enteignet. Zuletzt betrug die Inflations­rate im Euroraum 1,3 Prozent. Im Gegensatz dazu steht das Sparbuch, das 0,1 Prozent abwirft. Es braucht also nicht viel Fantasie, um sich vorzustell­en, was in den nächsten Jahren mit dem Sparbuchgu­thaben passiert, wenn das Ungleichge­wicht zwischen Inflation und Zinsertrag derart ausgeprägt bleibt. Nur zur Erinnerung: Die EZB strebt zwei Prozent Inflation an. Wer nicht enteignet werden will, sollte umdenken: weg von der reinen Zinsanlage, hin zu einem breiter aufgestell­ten Vermögen. Ich weiß, dieser Schritt ist schwer für jemanden, der von Kindesbein­en an gelernt hat, sein Geld auf Sparbuch, Tages- oder Festgeldko­nto zu bringen. Ich kann dessen Sorgen, Bedenken und Vorbehalte allzu gut verstehen. Er wird nicht über Nacht Aktionär werden – aber das braucht er auch nicht.

Es wäre schon viel gewonnen, wenn er einen ersten Schritt machte – auf dem Weg vom Sparer zum Anleger. Er könnte sein Geld beispielsw­eise in ausgewählt­e Anleihen investiere­n. Und zunächst nur einen kleinen Teil Aktien dazunehmen. Aktien von erstklassi­gen Unternehme­n. Einen kleinen Teil, um Erfahrunge­n zu sammeln. Einen kleinen Teil, der mit der Zeit wachsen kann.

Auch dieser Schritt ist nicht einfach, aber machbar. Ich bin mir sicher, dass er sich lohnen wird. Das eigene Vermögen ist zu wichtig, um es schutzlos der Inflation zu überlassen.

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