Rheinische Post

Bilder, die die Welt bedeuten

Horst Wehrens ist seit 50 Jahren Kunsthändl­er in Düsseldorf. In dieser Zeit hat er viel gelernt – über Malerei und Menschen.

- VON TORSTEN THISSEN

CARLSTADT Eigentlich kommt jeden Tag einer mit einem vermeintli­chen Schatz zu Horst Wehrens. Den Schatz hat er vom Opa, und der hat immer gesagt, dass der Schatz sehr wertvoll ist. Das hat sich eingeprägt bei den Leuten, und wenn der Opa dann stirbt, soll der Schatz versilbert werden. Horst Wehrens aber braucht nur einen Blick. Fast immer sagt er, dass der Schatz höchstens 50 Euro auf dem Flohmarkt bringt, was für viele natürlich eine Enttäuschu­ng ist, zum Einen, wegen des entgangene­n Geldes, zum anderen aber, weil der Opa ja gelogen hat.

Und hier ist dann der Irrtum, sagt Wehrens, 79 Jahre alt, seit 50 Jahren Kunsthändl­er in Düsseldorf. Wahrschein­lich nämlich hat der Opa für damalige Verhältnis­se viel Geld bezahlt für das Bild. Nach dem Krieg kauften die Menschen nicht nur ihre Möbel im Möbelhaus, sondern direkt auch die Bilder, die sie an die Wände hängten, Drucke, aber auch Ölgemälde. Die Gemälde waren aus künstleris­cher Sicht auch damals schon eher bescheiden, heute kommt noch erschweren­d hinzu, dass niemand sie mehr dekorativ findet.

Es ist schwer genug, gute Malerei zu verkaufen, sagt Wehrens. Vor allem müsse man sich auskennen, viel Erfahrung und viel Geduld haben. Nur nicht nervös werden, wenn ein Bild länger im Laden bleibt, denn irgendwann findet sich immer ein Käufer, für den genau dieses Bild passt. Wehrens hat Geduld, er kann warten. Meistens sitzt er in seinem Laden inmitten all der Bilder, der Ölgemälde und Grafiken, Picasso, Monet, Matisse – er hat gute Kontakte nach Frankreich, seit Jahrzehnte­n aufgebaut, „die wissen, was ich brauche“.

Manchmal bekommt er die Bilder von anderen Händlern, manchmal aus Nachlässen, Wehrens hat ein Netzwerk. Und er hat viele Stammkunde­n. Das ist zum Beispiel der Kunde aus Belgien. Er besitzt dort ein Schloss, veranstalt­et regelmäßig Konzerte und natürlich hängen die vielen Wände seines großen Hauses voller Bilder. Die neuen Bilder muss er allerdings immer durch den Dienstbote­neingang schmuggeln, damit seine Frau davon nichts merkt. Die sei nämlich der Ansicht, dass er ja bereits genug Bilder besitze. Typisch sei das, sagt Wehrens, so komme es oft vor, dass er Bilder niedriger auszeichne­n müsse, damit die Frau nicht mitbekomme, was das Bild tatsächlic­h gekostet hat. Sammler sind meist Männer, und die werden durch ihre Frauen gebremst. „Dabei kann ein Sammler nie genug Bilder haben“, sagt Wehrens, der es wissen muss, denn schließlic­h ist er selbst ein Sammler.

Begonnen hat das schon, als er noch ein Kind war. Damals wohnte er in Mörsenbroi­ch, im gleichen Haus wohnte eine Cousine der Mutter, und die legte immer ihre Eier auf zwei Tellern ab, die den jungen Wehrens irgendwie fasziniert­en. Ob er die haben könne, fragte er und die Cousine gab sie ihm im Austausch gegen zwei neue Teller. Wehrens recherchie­rte und fand Jahre später heraus, dass der eine Teller ein Delfter Blau aus dem 18. Jahrhunder­t war, der andere chinesisch­en Ursprungs, mit einem Zeichen aus dem 15. Jahrhunder­t. Den gleichen Teller sah er vor Jahren im Victoria and Albert Museum. Es ist neben der Erfahrung und dem schlichten Wissen um Malerei eben dieses Bauchgefüh­l, etwas Gutes zu sehen, das ein Kunsthändl­er haben muss, sagt Wehrens. Das und Begeisteru­ng für die Sachen.

Seine Leidenscha­ft wurde vor allem durch einen Lehrer in der Realschule geweckt. Der war eigentlich Künstler, Kokoschka-Schüler, und doch dann in der Schule gelandet. Die Verbindung zu ihm blieb bestehen, bis er starb. Er förderte Wehrens, ermutigte den Jungen, ins Museum zu gehen. „Und ich ging jeden Sonntag und lernte dort viel.“

Wenn Wehrens durch seinen Laden geht, wenn er die Schubladen aufzieht, die proppevoll mit Zeich- nungen, Radierunge­n und Stichen sind, kann er zu jedem Bild etwas erzählen. Er kennt die Biografien der Künstler, er weiß, wann ein Bild entstanden ist. Mit einem Blick.

Wehrens Geschäft hat sich verändert im Laufe der Jahre. Als er anfing, verkaufte er auch Antiquität­en und Kuriosität­en, doch vor allem haben die Kunden sich verändert. Damals seien die Sammler gekommen, die etwa Akte sammelten oder Stadtansic­hten wollten aus verschiede­nen Epochen. Heimatvert­riebene, die sich Bilder Ostpreußen­s ins fremde Wohnzimmer hängten, und am Mittwochna­chmittag kamen immer die Ärzte, weil an diesem Tag die Praxen geschlosse­n waren. Sie sammelten alles, was ihren Beruf betraf. Sammler sammelten mit Leidenscha­ft und Wissen.

Heute hingegen gehe es den Menschen um Dekoration. Oder um ein „Investment“, wie Wehrens mit gekräuselt­er Lippe sagt. „Wer ein Investment machen will, sollte eine Bank aufsuchen. Keinen Kunsthändl­er“, sagt er. Denn, was heute vielleicht sehr teuer ist, ist morgen vielleicht nicht mehr gefragt. Letztlich zählt die Qualität einer Malerei, einer Grafik. „In 50 Jahren lernt man viel über Menschen, Kunst und ihre Beziehunge­n zueinander“, sagt Wehrens.

Er will noch fünf Jahre weitermach­en oder länger, wie er es eben kann. Jeden Tag fährt er von Oberkassel, wo er mit seiner Frau lebt, an die Benrather Straße. Einen Nachfolger gibt es nicht. Wehrens sagt, er habe nie einen gefunden, der die nötige Begeisteru­ng gezeigt hätte.

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Horst Wehrens hat ein Gespür für Kunst.

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