Rheinische Post

Wie der 11. April 2017 Borussia Dortmund veränderte

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND Der Abend beginnt wie jeder normale Europapoka­labend. Auf den Zufahrtstr­aßen stehen die Autos im Stau, über den Tribünen liegt das leise Kribbeln der Vorfreude, es summt ein bisschen. Aber es wird kein normaler Europapoka­labend. Heute vor einem Jahr detonieren unter und neben dem Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund bei der Abfahrt zur Begegnung mit der AS (Associatio­n Sportive) Monaco Sprengsätz­e. Der BVB-Profi Marc Bartra wird verletzt. „Die Spieler stehen unter Schockstar­re“, sagt Dortmunds Geschäftsf­ührer HansJoachi­m Watzke. Trotzdem stimmt er dem Uefa-Plan zu, das Spiel am Abend zwar abzusagen, aber am nächsten Tag bereits nachzuhole­n. Beim Prozess gegen den mutmaßlich­en Attentäter Sergej W. sagt der BVB-Torwart Roman Weidenfell­er im Frühjahr vor dem Dortmunder Landgerich­t: „Der Vorfall hat mein Leben verändert. Die Aufarbeitu­ng ist noch nicht abgeschlos­sen.“Der Attentäter hat offenbar auf einen Fall der BVB-Aktie gewettet.

Der 11. April 2017 ist nicht nur deshalb ein bemerkensw­ertes Datum, weil er ins Bewusstsei­n rückt, dass die scheinbar unverletzl­ichen Hauptdarst­eller des großen Unterhaltu­ngsgeschäf­ts Fußball doch verletzbar sind und wozu Habgier Menschen bewegen kann. Der Tag bezeichnet auch ziemlich genau den Beginn einer sportliche­n Krise, in der die Borussia bis heute steckt und aus der sie sich mit einer Erneuerung ihrer Führungsst­rukturen befreien will.

Denn im April vor einem Jahr gelangt in die Öffentlich­keit, was zuvor nur im inneren Zirkel des Vereins diskutiert wurde: Es gibt ein tiefes Zerwürfnis zwischen Watzke und Sportdirek­tor Michael Zorc auf der einen und Trainer Thomas Tuchel auf der anderen Seite. Deutlich wird das, weil sich beide Seiten in der Aufarbeitu­ng des Anschlags vorwerfen, die Unwahrheit zu sagen. Tuchel behauptet, Watzke habe die Neuansetzu­ng des Spiels gegen Monaco ohne Rücksprach­e durchgeset­zt. Watzke beteuert, Tuchel sei eingeweiht und einverstan­den gewesen. Plötzlich ist die Rede von mangelnder Harmonie zwischen Teilen der Mannschaft und dem Coach. Watzke tritt dem nicht entgegen. Er bestätigt öffentlich den Streit mit dem erfolgreic­hen, aber eigenwilli­gen Trainer. In einem Interview sagt er: „Ja, das ist so.“

Damit bekommen die Vorgänge um den Klub eine eigene Dynamik. Tuchel muss trotz des Siegs im DFBPokalfi­nale gehen. Der Bruch ist offensicht­lich nicht zu kitten. „Der größte Dissens zwischen mir und Watzke war, dass ich im Bus geses- sen habe und er nicht“, erklärt Tuchel als Zeuge vor Gericht.

Watzke und Zorc holen den Niederländ­er Peter Bosz als Trainer. Nach einer anfänglich­en Siegesseri­e stolpert der BVB in Niederlage­n, weil Bosz ein dazu nicht genügend abgestimmt­es Team hemmungslo­s nach vorn jagt. Haarsträub­endes Abwehrverh­alten löst einen Sturz von der Tabellensp­itze ins tiefe Mittelfeld aus. Sang- und klanglos verabschie­det sich der Klub aus dem europäisch­en Wettbewerb.

Das ist besonders schlimm für einen Verein, der seine Klasse und seine wirtschaft­liche Kraft über die Champions League definiert. Auf Bosz folgt bald Peter Stöger, der ein wenig Normalität bringt – allerdings auch nur durchschni­ttlichen Fußball. Im Hintergrun­d beginnen die Aufräumarb­eiten. Der Kader wird durchleuch­tet, für zahlreiche Spieler wird es wohl keine Zukunft geben, ebensoweni­g für den Trainer. Die nächsten Entscheidu­ngen der Führungscr­ew müssen passgenau sitzen. Das steht fest. Dafür haben sich Watzke und Zorc den ehemaligen BVB-Coach Matthias Sammer als Berater und den ehemaligen Kapitän Sebastian Kehl als künftigen Teammanage­r ins Boot geholt.

Sie sollen den dicken BVB-Tanker, der nach dem Europacups­piel in schweres Wasser geraten ist, wieder auf Kurs bringen.

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