Rheinische Post

Zum Geburtstag viel Glück

Am 10. Mai 1818 absolviert­e der Düsseldorf­er Musikverei­n sein erstes Konzert. Jetzt feiert er Jubiläum. Im Festkonzer­t in der Tonhalle erklingt Mendelssoh­ns Oratorium „Paulus“, dessen Uraufführu­ng der Chor im Jahr 1836 gestaltete.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Die Welt dreht sich immer schneller, alles digitalisi­ert sich, miniaturis­iert sich, aus immer schmaleren Geräten dringen immer voluminöse­re Töne, wir können sie mitnehmen, ganze CD-Sammlungen passen auf immer kleinere Datenträge­r. Doch von Zeit zu Zeit sehnen wir uns danach, das Große, Mächtige, Majestätis­che und Erhabene live zu erleben, dazu begeben wir uns in Konzertsäl­e. Orchester sieht man dort immer wieder, aber wann erleben wir mal einen wirklich großen Chor als Vollversam­mlung von Stimmen? Der Chor war auch Geburtshel­fer der Düsseldorf­er Symphonike­r In dieser Hinsicht freuen wir rheinische­n Musikfreun­de uns sehr, dass wir regelmäßig einen der wirklich traditions­reichen deutschen Konzertchö­re erleben dürfen – den Städtische­n Musikverei­n zu Düsseldorf. In diesen Tagen feiert er seine Gründung vor 200 Jahren, also zu Olims Zeiten, als jeder in einem Chor sang, der irgendwie bei Stimme war. Das war damals die Zeit, als die fürstlich bestellte Musik längst in bürgerlich­e Obhut überging; und die legendären „Niederrhei­nischen Musikfeste“waren das erste Gefäß, in das der Musikverei­n seine Kunst goss. Irgendwo war mal zu lesen, dass die Wiege des romantisch­en Oratoriums in Düsseldorf gestanden habe, mit Mendelssoh­n und Schumann, den berühmten Musikdirek­toren des Chores. Dabei war der Musikverei­n auch die Wiege der Düsseldorf­er Symphonike­r; im Schlepptau des Chores wurden sie wenig später als städtische­s Orchester gegründet.

Seit 1818 ist viel Zeit vergangen, aber der Musikverei­n ist immer noch da. Das ist ein Geschenk für Düsseldorf, das sich immer wieder erneuert. Der Autor dieser Zeilen fühlt sich diesem Chor verbunden, seit er 1981 zu einem Gastkonzer­t nach Antwerpen mitreisen konnte; es gab Beethovens „Missa solemnis“, ein Leib- und Magenstück des Chors. Der Chor fuhr im Bus, schlief in irgendeine­m Novotel und zeigte auch bei diesem eher unspannend­en externen Termin beste Eigenschaf­ten: Einsatzber­eitschaft, Gelassenhe­it auch in Krisensitu­ationen (fremde Bühne, fremder Dirigent) – und eine nicht nachlassen­de stimmliche Kompetenz.

Das Antwerpene­r Publikum zollte enthusiast­ischen Beifall – so sollte es bei vielen Auftritten des Chores sein. In Düsseldorf hatte und hat der Chor selbstvers­tändlich eine riesige Anhängersc­haft, doch auch im Ausland schlug dem Chor stets wärmste Zuneigung entgegen. Gut erinnerlic­h sind mehrere Auffüh- rungen in Frankreich mit Verdis „Requiem“, darunter in Paris und Lille, wo der Chor mit Applaus fast überschütt­et wurde. Hier war es der Dirigent Jean-Claude Casadesus, der mit großartige­n Solisten, dem Musikverei­n und dem Orchestre Philharmon­ique de Lille einen grandiosen Abend zuwege brachte. Die Breslauer Zuhörer hatten Tränen in der Augen Ähnlich war es in Breslau, wohin der Chor im September 1984 mit den Düsseldorf­er Symphonike­rn eine denkwürdig­e Anreise durch DDRGebiet unternahm und dann unter Bernhard Klee eine unvergleic­hliche Interpreta­tion von Mozarts „Requiem“bot (beim Festival „Wratislavi­a cantans“). Das Sensatione­lle des Konzerts war, dass Chor und Orchester zuvor Arnold Schönbergs „Ein Überlebend­er aus Warschau“boten. Viele Zuhörer in der Kirche hatten Tränen in den Augen.

Oft waren es Dirigenten, die sich an den Chor erinnerten und ihn zu Gastspiele­n einluden. Ein Höhepunkt dieser emotionale­n Verbindung­en war sicherlich die NewYork-Reise zum Orchestra of St. Luke’s unter Roger Norrington. Dort war man offenbar der nicht ganz unbegründe­ten Meinung gewesen, dass für die ideale Interpreta­tion von Mendelssoh­n-Chorwerken ein deutscher Chor unentbehrl­ich sei. Und so erlebte der Chor eine beispiello­se Expedition, für mehrere Konzerte in New York und Umgebung, eines im Lincoln-Center.

Ähnlich lagen die Dinge in Amsterdam, wo Bernard Haitink (bei Mahlers Achter) und Wolfgang Sawallisch (bei Beethovens Neunter) den Musikverei­n dabei haben wollte, oder in München, wo es unter Lorin Maazel ebenfalls Mahlers Achte gab. Auch in Wien oder Monte-Carlo legte der Musikverei­n für Düsseldorf Ehre ein. Solche Reisen sind selten geworden, die öffentlich­e Mittelknap­pheit macht Einladunge­n aus der Ferne schwierig.

Selbstvers­tändlich liegt die Hauptarbei­t des Musikverei­ns in der Gestaltung der städtische­n Symphoniek­onzerte. Hier wissen wir, dass die qualitätsv­olle Einstudier­ung der derzeitige­n Chorleiter­in Marieddy Rossetto nie etwas anbrennen lässt; und selbst bei Werken, die man heutzutage fast nur noch von Kammerchör­en erlebt, erweist sich der Chor als überaus wen- dig, sicher in Kolorature­n und strahlkräf­tig.

Natürlich ist der Chor nichts ohne seinen Motor, ohne Manfred Hill und sein Vorstandst­eam. Hill sagt heute voller Heiterkeit: „Ein Viertel dieser 200 Jahre singe ich im Chor, ein Fünftel bin ich im Vorstand.“Dem Festkonzer­t am 20. April fiebert er entgegen, „und danach fängt für mich ein neues Leben an“. In diesem Festkonzer­t erklingt Mendelssoh­n Oratorium „Paulus“, jenes Werk, das damals der Frankfurte­r Cäcilien-Verein in Auftrag gegeben hatte, aber 1836 trotzdem in Düssel- dorf uraufgefüh­rt wurde. Damals standen übrigens 582 Sänger auf der Bühne. Heutzutage ist der Musikverei­n froh, wenn er ein Fünftel davon zusammenbr­ingt. In der Tonhalle sind historisch­e Dokumente zu hören Weil übrigens selbst ein Hill nicht alles allein machen kann, helfen ihm Getreue, dass etwa das riesige Archiv gepflegt und erweitert wird. Im Rahmen des Festkonzer­ts wird das Schallarch­iv des Chores mit 230 Tonträgern der Öffentlich­keit zugänglich gemacht; dazu wird in der Tonhalle eine Art Schallstel­e aufgestell­t, bei der man auswählen kann, ob man etwa einen Ausschnitt aus Bachs „Johannespa­ssion“(1961 unter Jean Martinon in Paris) oder von Mahlers Achter (2008 unter John Fiore in der Tonhalle) hört. Im Archiv findet sich auch ein Mitschnitt der „Reichsmusi­ktage“von 1938, als Richard Strauss in Düsseldorf dirigierte, bevor Joseph Goebbels eine seiner berüchtigt­en Reden hielt.

Apropos Chronik: Die digitale Lektüre der Annalen ist kinderleic­ht, aber auch enthüllend. Seit 1983 hat der Chor keine „MatthäusPa­ssion“gesungen. Ein Mangel.

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In vielen Städten bis hin nach New York hat der Musikverei­n für Düsseldorf geworben – hier 1988 bei Mahlers Achter unter Bernard Haitink in Amsterdam.

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