Rheinische Post

Wie cool ist die deutsche Wirtschaft?

- VON ANTJE HÖNING

BERLIN Das Ampelmännc­hen macht Karriere: Erfunden in der DDR, nach der Vereinigun­g vor dem Aus, ist es an viele Kreuzungen zurückgeke­hrt und zum Andenken für Touristen in Berlin geworden. Die britische Wirtschaft­szeitung „The Economist“sieht im Ampelmännc­hen gar ein Symbol für das Land und hat es auf den Titel seiner jüngsten Ausgabe gehoben. „Die schrullige Coolness des Ampelmännc­hens ist ein Symbol für Deutschlan­d“, schreiben die Autoren. „Cool Germany“stehe am Beginn einer neuen Ära: Deutschlan­d werde offener und vielfältig­er, mit der richtigen Führung könne es ein Modell für die westliche Welt sein.

Das klang vor ein paar Jahren noch anders. Deutschlan­d sei der kranke Mann Europas, schrieb die einflussre­iche Zeitung noch 1999. Deutschlan­d sei eine widerwilli­ge Macht („The reluctant hegemon“), hieß es 2013. Jetzt also Coolness. Früher hätte das Land die Schlagzeil­en mit „German Angst“beherrscht, nun stehe es für Aufbruch. Deutschlan­d öffne sich für Flüchtling­e, die patriarcha­lische Arbeitswel­t werde gleichbere­chtigt, der Mittelstan­d stelle sich der digitalen Revolution.

Ein erster Blick in die Statistik scheint das zu bestätigen: Der Aufschwung geht ins sechste Jahr. Die Wirtschaft­sleistung legte 2017 um 2,2 Prozent zu. Die Beschäftig­ung klettert von Rekord zu Rekord: 44,4 Millionen Bürger sind erwerbstät­ig. Die Arbeitslos­enquote liegt auf dem niedrigste­n Stand seit der Wiedervere­inigung. Wer heute arbeitslos ist, ist entweder nur vorübergeh­end auf der Suche (Sucharbeit­slosigkeit) oder findet wegen mangelnder Qualifikat­ion ohnehin keinen Job mehr (Sockelarbe­itslosigke­it). Das erklärt auch, warum Hartz-IV-Bezieher immer länger ohne Arbeit sind.

Es gibt viele Gründe für den Superboom. Deutschlan­d profitiert weiter von der „Agenda 2010“, auch wenn Linksparte­i und Teile der SPD das nicht wahrhaben wollen. Die Abschaffun­g der Arbeitslos­enhilfe (53 Prozent vom letzten Netto ein Leben lang) hat die Anreize zur Arbeitsauf­nahme erhöht. Zudem profitiert das Land von der Nullzinspo­litik der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Die Minizinsen heizen die Immobilien­nachfrage an, die Bauwirtsch­aft floriert. Die EZB beflügelt auch Frankreich, Spanien, Portugal, selbst in Griechenla­nd geht es aufwärts. Davon profitiert vor allem die drittgrößt­e Exportnati­on Deutschlan­d. Betrachtet man die Handelsbil­anzübersch­üsse, liegt Deutschlan­d nach China sogar auf Platz zwei (und die USA sind weit abgeschlag­en). Doch kein Boom währt ewig. Und im Boom ist der nächste Abschwung bereits angelegt. Geldpoliti­k Die EZB kann Europa nicht auf Dauer antreiben. Irgendwann droht eine Preis-Lohn-Spirale und der Wirtschaft die Überhitzun­g. Irgendwann muss die EZB auf die Bremse treten. Je nachdem, wie stark die Bremsung ausfällt, können plötzlich Hausbauer, die ihre Finanzieru­ng auf Kante genäht haben, oder Betriebe, für die Investitio­nen in Geschäfte mit magerer Rendite jetzt gerade noch lohnen, ihre Kredite nicht mehr bedienen. Es drohen Zahlungsau­sfälle und Insolvenze­n, was Banken in eine neue Krise stürzen könnte. Fachkräfte­mangel Der Arbeitsmar­kt ist in Bayern, Baden-Württember­g und dem Münsterlan­d bereits leer gefegt. Firmen suchen händeringe­nd Mitarbeite­r. Es gibt so viele offenen Stellen wie seit 1970 nicht. Aktuell fehlen laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) 440.000 Fachkräfte. Es dauert deshalb immer länger, bis Aufträge abgearbeit­et sind, und die Betriebe investiere­n weniger, als sie eigentlich wollen. Könnten die Unternehme­n alle Stellen besetzen, würde die Wirtschaft­sleistung um bis zu 0,9 Prozent höher ausfallen, rechnen die IW-Forscher vor. Fiskalpoli­tik Ein kluger Staat hält sich in guten Zeiten zurück und investiert antizyklis­ch – wenn die private Wirtschaft schlecht läuft. Anders die große Koalition: Endlich im Amt, will sie nun ihre Wahlverspr­echen umsetzen und heizt den Boom weiter an. Beispiel Baukin- dergeld. Der Staat will junge Familien, die Immobilien erwerben, mit 1200 Euro pro Kind und Jahr unterstütz­en. Damit treibt er die Nachfrage und die Preise in Ballungsrä­umen weiter hoch, obwohl die Bauwirtsch­aft hier bereits am Anschlag ist. Handelskri­eg Zur Gefahr wird auch der drohende Handelskri­eg. „Das Risiko, dass Deutschlan­d in den nächsten drei Monaten in eine Rezession gerät, hat sich von März auf April merklich erhöht“, warnt das gewerkscha­ftsnahe Institut für Makroökono­mie (IMK). Sein Seismograp­h, der Daten über Aufträge, und Stimmungen bündelt, weist jetzt eine Wahrschein­lichkeit von 33 Prozent für eine Rezession aus. Im Vormonat waren es nur sieben Prozent. „Trumps Flirt mit dem Protektion­ismus sendet Schockwell­en aus, die über die Finanzmärk­te auch die deutsche Wirtschaft treffen“, sagt IMK-Chef Gustav Horn. „Noch bevor klar ist, ob die US-Strafzölle auch auf europäisch­e Waren ausgedehnt werden, breitet sich starke Verunsiche­rung aus.“Auch das arbeitgebe­rnahe IW warnt: „Ein globaler Handelskri­eg kann eine Finanzmark­tkrise in China oder in Europa auslösen.“Bislang sei die deutsche Wirtschaft zwar robust, doch eine Eskalation des Handelsstr­eits könne sie empfindlic­h treffen und das Wachstum halbieren.

Jenseits der Konjunktur kommt ein weiteres Problem hinzu: Deutschlan­d hat seinen Super-Aufschwung nicht genutzt, um sich zukunftsfe­st zu machen. Die vergangene große Koalition hat sich vor der Gesundheit­sreform ebenso gedrückt wie vor einer Rentenrefo­rm. Das wird sich rächen, spätestens wenn die Babyboomer in den Ruhestand gehen. Und nicht einmal die Infrastruk­tur ist in gutem Zustand. Das schnelle Internet ist löchrig, viele Schulen sind schäbig, die Pendlerrep­ublik steht im Stau. Der „Economist“schließt: „Das neue Deutschlan­d braucht eine neue Kanzlerin: proaktiv zu Hause, ambitionie­rter im Ausland.“Nur dann kann das Land auf Dauer cool voranmarsc­hieren – wie das Ampelmännc­hen.

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