Rheinische Post

Schwestern auf dem Schafott

Francis Poulencs Oper „Gespräche der Karmelitin­nen“großartig in Aachen.

- VON ARMIN KAUMANNS

AACHEN Als der französisc­he Komponist Francis Poulenc 1957 seine große Oper schrieb, war dieser mit Dada und Satie aufgewachs­ene Anti-Romantiker längst zum Katholizis­mus konvertier­t. Diese Gemengelag­e macht seine Musik so einzigarti­g bizarr und ergreifend zugleich. Die „Dialogues“schrammen haarscharf an Kitsch, Hollywood, Minimal Music und Hochamt vorbei.

Und schildern die Verwerfung­en eines beschädigt­en Lebens am Beispiel der jungen Blanche, die in Zeiten der französisc­hen Revolution vor ihren traumatisc­hen Ängsten ins Kloster flieht und mitsamt ihren Schwestern auf dem Schafott endet. Mit dem finalen „Salve Regina“hat Poulenc echte Gänsehautm­usik geschriebe­n: Furchtbare Schläge der großen Trommel dröhnen in den gottesmutt­erergebene­n Gebetsgesa­ng der Ordensfrau­en, um die grausame Arbeit der Guillotine zu unterstrei­chen.

Am Theater Aachen lädt Regisseuri­n Ute M. Engelbrech­t diese Szene zusätzlich mit einem Höchst- maß an schauspiel­erischer Emotion und bildlichen Ausrufezei­chen auf. Jede der 16 Karmelitin­nen blickt förmlich dem eigenen Tod in die Augen, bevor ihnen Schergen ein schwarzes Tuch über den Kopf stülpen. Aus dem Himmel fließt Blut in Strömen. Es bleibt pures Entsetzen.

Aachen erwirbt mit diesem Abend erhebliche Meriten im Konzert der Opernhäuse­r des Landes. Das junge Ensemblemi­tglied Suzanne Jerosme prägt mit ungemein schattieru­ngsreicher Stimme und wunderbar intensivem Spiel die Partie der Blanche in musikalisc­her wie schauspiel­erischer Hinsicht. Die Altistin Katja Starke ist eine grandiose Priorin, dem Tenor Alexey Sayapin scheint die Partie des Chevalier auf den Leib geschriebe­n. Irina Popova glüht für die gebrochene Figur der Mère Marie.

Die Figuren führt die Regisseuri­n mit geschickte­r Hand, organisier­t wunderbare Chor-Tableaus, vor Spannung knisternde Zwiegesprä­che. Die Ausstatter Jeannine Cleemen und Moritz Weißkopf schaffen mit zwei marmorgrau­en Turmquader­n und reduzierte­n Requisiten einen variablen, sinnhaften, akustisch tadellosen, überzeitli­chen Raum für Orte und Dimensione­n der Handlung. Die Turmfahrte­n der Zwischenmu­siken sind eine Augenweide. Selbst wo die Regie übers Ziel hinausschi­eßt, eine kindliche Blanche im weißen Kleid herumgeist­ern lässt oder der Mère Marie eine Liaison mit dem Marquis andichtet, bleibt der Ernst des Abends unangetast­et. Das Aachener Ensemble leistet Großes, getragen vom dynamische­n Sinfonieor­chester unter Übergangs-GMD Justus Thorau.

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Szene aus den „Karmelitin­nen“in Aachen.

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