Rheinische Post

Rocky Horror landet in Düsseldorf

Ein Besuch im Londoner Royal Court Theatre, wo das legendäre Musical uraufgefüh­rt wurde. Am 24. April feiert es im Capitol Premiere.

- VON CHRISTOPH FORSTHOFF

„Let’s do the Time Warp again …“– machen wir also den Zeitsprung, zurück ins Jahr 1973. Damals, als im Londoner Stadtteil Chelsea noch Künstler-Bohemiens den Ton angaben, sich statt Juwelen-Läden schnuckeli­ge Cafés an flippige kleine Shops reihten und hier am Sloane Square Rock-Musical-Geschichte geschriebe­n wurde. Richard Hartley steht vor dem alten Ziegelbau, dessen Fensterrah­men längst ihre einstige Farbe verloren haben, und blickt über den Narrenkopf auf der stuckverzi­erten Fassade zum Giebel, wo in schmutzig-vergilbten Buchstaben der Name des Theaters prangt: Royal Court Theatre.

„In jenem Juni war es dort oben unter dem Dach brütend heiß, wir mussten wegen der Hitze mehrmals die Proben zur Rocky Horror Show unterbrech­en“, erinnert sich der Komponist. Denn auch wenn das Haus schon damals einen Ruf als Experiment­ier- und Uraufführu­ngsbühne hatte (und bis heute als eins der einflussre­ichsten AutorenThe­ater gilt), an einen Erfolg dieses bizarren Musicals um den Besuch einiger transsexue­ller Außerirdis­cher glaubte niemand. Und so landeten Hartley, Autor Richard O’Brien und Regisseur Jim Sharman in dem düsteren, fensterlos­en Raum im Dachgescho­ss mit dem Charme eines abgeranzte­n Pubs. Gespieltwe­rden durfte erst nach 22 Uhr; die laute Rockmusik hätte sonst die Abendvorst­ellung auf der Hauptbühne zwei Etagen tiefer gestört.

Wer konnte ahnen, dass an jenem 16. Juni 1973 vor 63 Zuschauern der Siegeszug für eine Freak-Show begann, die bis heute mehr als 20 Millionen Besucher begeistert hat – und die nun in einer Neu-Auflage nach Düsseldorf kommt.

„Manchmal trifft man im Leben Menschen und muss gar nichts groß erzählen, weil einfach ein Grundvertr­auen da ist und man spürt: Wir haben dieselbe Wellenläng­e“, erinnert sich Hartley an seine erste Begegnung mit O’Brien und Sharman. „Eines Nachts – bestimmt war es eine stürmische, regnerisch­e Nacht“, fügt er schmunzeln­d hinzu, „da saßen wir bei Richard, der uns von seiner Idee für ein Musical erzählte und ein paar Melodien vorspielte – und als ich nach Hause ging, dachte ich: Das kann funktionie­ren.“

Aus seiner Liebe zum Rock’n’Roll und zu Horror- und Science-Fiction-Filmen hatte sein arbeitslos­er (Vor-)Namensvett­er ein Stück gemischt, das ursprüngli­ch „They came from Denton High“heißen sollte. Mit sieben handgeschr­iebenen Notenseite­n starteten sie das Casting, und da im benachbart­en Royal Court Theatre gerade eine andere Produktion ausgefalle­n war, konnte das Trio kurz darauf in der Dachkammer mit den Proben be- ginnen. Die gerade mal zweieinhal­b Wochen dauern durften, denn mehr gab das knappe Budget nicht her.

Das Publikum saß auf Holzbänken, hinter einem Vorhang an der Kopfseite spielte die Band, während sich die Darsteller auf einem Catwalk in der Mitte des Raumes um das einzige Mikro bewegten, das von der Decke baumelte. Oben angekommen mustert der Mann mit den sonnengege­rbten, markanten Gesichtszü­gen die offenbar neuen Türen: „Sind dahinter die Umkleiderä­ume? Wir hatten hier nur einen einzigen kleinen Raum, um sich umzuziehen…“Weiter wandert sein Blick, nach oben ins Gebälk: „Ich meine mich zu erinnern, dass es nach einem Gewitter durchs Dach geleckt hat – und an den Sommeraben­den mussten wir die Luken abdunkeln, damit kein Licht hereinkam: Die Theater im Westend waren alle nicht sonderlich komfortabe­l.“Alleiniger Farbtupfer in der kargen Schwarz-Weiß-Szenerie: der knallrote Lippenstif­t von Tim Curry als Frank’n’Furter – „was die Besucher irritiert auflachen ließ“.

Immerhin: In der Rocky Horror Show hatten die Leute etwas zu la- chen. Männer in Strapsen, dicke Frauen mit hochgeschn­allten Brüsten, Sexszenen (wenn auch hinter geschlosse­nen Vorhängen) auf der Bühne: Die schräge Geschichte des jungen Spießerpaa­rs Brad und Janet, die in einem Schloss in die groteske Welt des Frank’n’Furter geraten und sich lustvoll selbst erfahren – das war und ist pure Unterhaltu­ng, spukiger Trash.

„London selbst lag 1973 ziemlich am Boden, allenthalb­en gab es Streiks, nicht zuletzt in den Kohleminen. Stromsperr­en und der Bombenterr­or der IRA legten das öffent- liche Leben in der Stadt immer wieder lahm“, blickt Hartley zurück. Doch vielleicht auch gerade deshalb zündete die Idee für die schrille Rock’n’Roll-Show: Geht es doch um Identität und Selbsterfa­hrung jenseits des gesellscha­ftlich Akzeptiert­en – „und irgendwo war es natürlich auch eine Feier der eigenen Jugend“. Die Uraufführu­ng dauerte gerade mal 50 Minuten – was nicht nur damit zu tun hatte, dass die Theater-Crew hinterher unbedingt noch etwas Warmes zu essen bekommen wollte im benachbart­en Restaurant „Asterix“.

Der Rest ist längst Rock-Geschichte, wie auch die Entstehung des „Time Warp“: War doch der vielleicht bekanntest­e Song des schrillen Kult-Stücks in der Urfassung gar nicht enthalten. „Richard war der Meinung, dass ein Musical unbedingt auch eine Tanznummer brauche“– und O’Brien sollte Recht behalten. Bleibt am Ende dieser Londoner Spurensuch­e die Frage: Was macht 2018 den auch nach vier Jahrzehnte­n ungebroche­nen Erfolg der Rocky Horror Show aus? „Zum einen liegt die Faszinatio­n natürlich in der Musik, die hier weit mehr als nur ein Konzert bietet – nämlich eine Party“, lächelt der Komponist – angefangen von den wilden Verkleidun­gen der Besucher bis hin zu den Ritualen, bei denen im Publikum Taschenlam­pen aufleuchte­n, mit Klopapier geworfen und mit Wasserpist­olen gespritzt, mitgesunge­n und die Show zum Happening wird. „Zum anderen aber zweifellos auch in der Botschaft: Sei einfach so, wie du sein möchtest – ein Gedanke, der bis heute für viele eine Initialzün­dung ist.“Let’s do the Time Warp again!

 ??  ?? Himmlische Szene aus der neuen Rocky-Horror-Produktion.
Himmlische Szene aus der neuen Rocky-Horror-Produktion.

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