Rheinische Post

Wehrhahn: Anschlag wäre um Haaresbrei­te verhindert worden

Eine Beamtin des Spezial-Teams „Operative Fall-Analyse“konnte keine entlastend­en Beweise liefern.

- VON WULF KANNEGIESS­ER

Der Anschlag mit einer Rohrbombe im Juli 2000 am S-Bahnhof Wehrhahn wäre durch puren Zufall beinahe vereitelt worden. Eine Plastiktüt­e, in der damals der Sprengsatz versteckt war, fiel an einem Geländer nämlich einer Passantin auf. Sie habe sofort taxiert, dass das Pfand der als Tarnung beigelegte­n Limoflasch­en 1,50 Euro betrug – und hätte die Tüte deswegen fast mitgenomme­n. Das ergab sich aus der Aussage einer LKA-Beamtin (43) gestern beim Landgerich­t, wo ein Ex-Soldat (51) für den Anschlag mit zehn teils schwer verletzten Sprachschü­lern angeklagt ist. Er bestreitet alle Vorwürfe. Doch in dem, was die Beamtin des Spezial-Teams „Operative Fall-Analyse“(OFA) vortrug, gab es kein einziges Detail, das ihn entlastet hätte.

Nur Minuten nach der Leergutsam­mlerin kamen damals zwölf osteuropäi­sche Sprachschü­ler meist jüdischer Herkunft an der Plastiktüt­e vorbei. Und genau in dem Moment explodiert­e die selbstgeba­s- telte Bombe, sie verletzte zehn Menschen, vier davon schwer. Besonders tragisch: Eine Schwangere verlor ihr ungeborene­s Baby.

Für das OFA-Team, das – unabhängig vom Verdacht der Ermittler gegen den Ex-Soldaten – ab 2015 die Daten dieses spektakulä­ren Falles analytisch seziert und dann wieder zusammenge­fügt hat, ergab sich daraus ein präzises Täter-Profil. Als Allein-Täter oder mit gleichgesi­nnten Komplizen habe der Bombenbast­ler nicht nur genaue Ortskenntn­is ge- habt, so dass er die Rohrbombe genau dort am S-Bahnhof platzieren konnte, wo sie die schlimmste Wirkung haben würde. Er wusste auch, zu welcher Tageszeit (15 Uhr) die Bombe gezündet werden musste, um mitten in der Gruppe der Sprachschü­ler zu detonieren.

Als Motiv gehen die so genannten Profiler von Fremdenfei­ndlichkeit aus (die dem Ex-Soldaten seit Jahren nachgesagt wird), trauen dem Täter zudem Kenntnisse von Sprengstof­f oder Handgranat­en zu und Kenntnisse über eine Funkfernau­slösung, die auch bei der Bundeswehr bekannt ist. Zudem müsse es einen Ort gegeben haben, um die Bombe in Ruhe herzustell­en. Und zufällig hatte der Angeklagte damals vor dem Anschlag die Wohnung eines Kumpels in der Nähe gemietet, die er nach der Explosion gleich wieder aufgab. Während der mehrstündi­gen Fall-Analyse der LKA-Beamtin wirkte der Angeklagte nicht sonderlich interessie­rt, eher wie ein unbeteilig­ter Zuschauer. Der Indizienpr­ozess, der bis Mitte Juli terminiert ist, geht morgen weiter.

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Die Bombe war in einer Tüte am Geländer des S-Bahnhofs angebracht.

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