Zwischen Spektakel und Spiritualität: Bonn ehrt Marina Abramovic.
Marina Abramovic wird in der Bundeskunsthalle in Bonn mit einer Ausstellung geehrt. „The Cleaner“versammelt das Lebenswerk der 71-jährigen Künstlerin. Eine reichhaltige Schau, die man mit gemischten Gefühlen verlässt.
Vielleicht ist ihre Biografie ihr eigentliches Hauptwerk, denkt man, als man sie durch die Ausstellung schreiten sieht. Marina Abramovic lässt ihr Haar über die linke Schulter fließen, wie fast immer ist sie schwarz gekleidet. Neben der 71-Jährigen geht ein schmaler Mann, es ist Ulay, ihr ehemaliger Gefährte. Er ist zu Gast, und sie erklärt ihm ihr Werk. Sie redet viel, und er hört wie ein Schüler zu, obwohl er große Teile dieses Oeuvres mitzuverantworten hat. Sie trafen einander 1975, und sie schufen großartige Bilder wie „Rest Energy“von 1980: Er hält einen Bogen, dessen Gift-Pfeil auf ihr Herz gerichtet ist, sie hängt sich an den Bogen und spannt ihn. Käme das Paar aus dem Gleichgewicht, würde sie womöglich sterben. Ihr letzte gemeinsame Aktion war dann 1988 „The Lovers“auf der Chinesischen Mauer. Sie gingen aufeinander zu, jeder 2500 Kilometer, und als sie sich in der Mitte trafen, beendeten sie ihre Beziehung. Ulay hatte sie mit seiner Übersetzerin betrogen.
Die Werke von Marina Abramovic sind nun in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen: Performance, aber auch Fotografie und Malerei aus 50 Jahren. „The Cleaner“ist eine reichhaltige Schau über ein spektakuläres und noch längst nicht abgeschlossenes Werk, tadellos kuratiert zudem. Dennoch verlässt man die Räume mit gemischten Gefühlen.
Die Kunst von Marina Abramovic ist dem Augenblick verpflichtet wie der Pop. Es geht um Ideen und den Moment, in dem man dem Neuen dabei zusehen kann, wie es in die Welt kommt. Ein Beispiel ist die Performance „Imponderabilia“, die sie 1977 mit Ulay in Italien verwirklichte. Sie stellten sich nackt in den Eingang einer Galerie. Die Besucher mussten sich an ihnen vorbeidrängen. Sie mussten ihre Scham überwinden, aus sich herausgehen, mit Fremden Intimität eingehen. Vielleicht würde sie dieses Erlebnis verändern, womöglich würden sie die Kunst, die sie danach zu sehen bekämen, anders betrachten. In Bonn wird die Aktion nun von zwei nackten Statisten nachgestellt. Sie seien von Abramovics Mitarbeitern dafür geschult worden, heißt es. Zum Training gehörte, sechs Tage nicht essen und reden zu dürfen. Kaum jemand nimmt indes den Weg zwischen den beiden hindurch, es gibt ja zum Glück eine alternative Route ohne Behelligung. „Warum traut sich niemand?“, fragt eine Dame, die es gewagt hat. „Stattdessen machen alle nur Fotos.“
Re-Performances heißen solche Neuauflagen. Das Problem ist, dass sie mitunter wie Coverversionen wirken, wie Karaoke. Sie sind weniger kraftvoll als Erzählungen über das Original. Aura wird lediglich behauptet. Ebenso geht es einem mit „Luminosity“, von Abramovic 1997 aufgeführt: eine Frau auf einem in zwei Meter Höhe befestigten Fahrradsattel. Sie verharrt 30 Minuten im Superlativ körperlicher Überwindungskraft. Ein Überwältigungsgebot steht im Raum. Nur: weswegen? „Ich würde sterben“, seufzt eine Besucherin. „So schnell stirbt man nicht“, sagt ihr Begleiter.
Das Werk von Marina Abramovic ist voller großartiger Details. Wun- derbar ist der nie verwirklichte Einfall, 14 Flugzeuge so zu koordinieren, dass ihre Kondensstreifen den Himmel wie eine Leinwand einfärben, auf die man dann malen kann. Am besten ist sie, wo sie sich am stärksten beschränkt. Man denke an die auf Video dokumentierte Aktion „Art Must Be Beautiful. Artist Must Be Beautiful“, in der sie den weiblichen Akt in der Malerei konterkariert. Sie kämmt sich das Haar, als sei sie ein Mädchen aus einem Gemälde von Degas. Aber sie macht es nicht anmutig, um dem Betrachter zu gefallen, sondern brutal und bis über die Schmerzgrenze hinaus. Das irritiert, es bringt einen dazu, die Tradition neu zu bewerten.
Performances hingegen wie jene, in der sie ein Kilo Honig aß, einen Liter Wein trank, sich ein Pentagramm in den Bauch schnitt, sich danach nackt auf ein Kreuz legte, das aus Eisblöcken gebaut war, und das Eis beim Schmilzen dann sozusagen blutete, muten heute doch arg theatralisch und spektakelig an. Die spirituelle Dimension und der Verweis auf das Schamanenhafte im Werk ihres Helden Joseph Beuys wirken ziemlich herbeizitiert. Dass das 1975 schockierend gewesen sein muss, erahnt man jedenfalls nurmehr. Überhaupt erscheint der Ausstellungsraum wie die Folterkam- mer der Marina A. Überall hört man sie schreien oder stöhnen. Am gruseligsten aber ist die Stille in der Installation „Rhythm 10“von 1973. Abramovic stach in schnellem Rhythmus mit dem Messer in die Räume zwischen ihren gespreizten Fingern: klack, klack, klack. Immer, wenn sie doch mal den Finger traf, blieb das beruhigende Klacken aus.
Seit einiger Zeit bringt Abramovic ihre Kunst einer größeren Öffentlichkeit dar. Ihr Durchbruch in dieser Hinsicht war die Aktion „The Artist Is Present“im MoMA 2010. 75 Tage lang saß sie an einem Tisch, für jeweils acht Stunden. Jeder konnte sich auf den Platz gegenüber setzen und ihr in die Augen blicken. 1565 Menschen taten das, 750.000 Besucher kamen, der Dokumentarfilm über das Ereignis erreichte Millionen. Es steht denn auch am Anfang der Bonner Ausstellung, und man sieht auf Videos Dutzende Gesichter von Menschen, die Abramovic anschauten. Diese Künstlerin, das steht in den Zügen geschrieben, hat etwas mit den Menschen gemacht. Jeder wirkt gerührt und bewegt. Beseelt. Als hätte er in einen Spiegel gesehen und sich selbst erkannt.
Abramovic lädt den Moment auf. Sie ist unheimlich präsent, man spürt das beim gemeinsamen Gang durch die Schau. Um sie herum steht Atmosphäre, das ist faszinierend. Sie ist das Kunstwerk, alles andere Konserve. Sie redet schnell und selbstbewusst, sie fordert heraus. Und natürlich inszeniert sie sich auch. So sitzt sie während der Pressekonferenz lange da, kerzengerade und mit geschlossenen Augen. Man sieht sie an und projiziert all das auf sie, was man aus ihrer dicken Autobiografie und aus den Kunstwerken weiß. Die emotional unterkühlte Kindheit im früheren Jugoslawien. Die Jahre, in denen sie mit Ulay ohne festen Wohnsitz im Lieferwagen durch Europa fuhr. Das Streben nach Transzendenz durch Leiden. Der Wille, durch Kunst die Gesellschaft zu beeinflussen. Die Pionierleistung. Die Kompromisslosigkeit. Die Inspiration. Der mächtige Erfolg, der Prominente wie Jay Z und Lady Gaga ihre Nähe suchen lässt.
Im Spätwerk gibt es einige modische Sachen, die ein bisschen banal wirken. Dass man sein Handy abgeben, einen Lärmschutz aufsetzen und sodann an einem langen Tisch Linsen und Reiskörner trennen und zählen soll, ist eher hygge als kontemplativ. Das spöttisch schmunzelnde Gesicht von Abramovic ist eine Marke, es hängt überlebensgroß über der Schau, die man als Franchise begreifen kann. Vieles gerät grell, und man muss abstrahieren, sich in die jeweilige Zeit versetzen und suchen, um zu finden, was die Künstlerin anstrebt: die Erleuchtung, die andere Bewusstseinsebene, den geänderten Sinn.
Etwas versteckt hängt eine Erdnuss an der Wand, Abramovic hat sie mit zwei Stecknadeln dort befestigt. „Cloud with its shadow“heißt die frühe Arbeit, und tatsächlich sieht der Schatten, den die Nuss wirft, wie eine Wolke aus.
Da schmunzelt man dann auch.