Rheinische Post

Zwischen Spektakel und Spirituali­tät: Bonn ehrt Marina Abramovic.

Marina Abramovic wird in der Bundeskuns­thalle in Bonn mit einer Ausstellun­g geehrt. „The Cleaner“versammelt das Lebenswerk der 71-jährigen Künstlerin. Eine reichhalti­ge Schau, die man mit gemischten Gefühlen verlässt.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Vielleicht ist ihre Biografie ihr eigentlich­es Hauptwerk, denkt man, als man sie durch die Ausstellun­g schreiten sieht. Marina Abramovic lässt ihr Haar über die linke Schulter fließen, wie fast immer ist sie schwarz gekleidet. Neben der 71-Jährigen geht ein schmaler Mann, es ist Ulay, ihr ehemaliger Gefährte. Er ist zu Gast, und sie erklärt ihm ihr Werk. Sie redet viel, und er hört wie ein Schüler zu, obwohl er große Teile dieses Oeuvres mitzuveran­tworten hat. Sie trafen einander 1975, und sie schufen großartige Bilder wie „Rest Energy“von 1980: Er hält einen Bogen, dessen Gift-Pfeil auf ihr Herz gerichtet ist, sie hängt sich an den Bogen und spannt ihn. Käme das Paar aus dem Gleichgewi­cht, würde sie womöglich sterben. Ihr letzte gemeinsame Aktion war dann 1988 „The Lovers“auf der Chinesisch­en Mauer. Sie gingen aufeinande­r zu, jeder 2500 Kilometer, und als sie sich in der Mitte trafen, beendeten sie ihre Beziehung. Ulay hatte sie mit seiner Übersetzer­in betrogen.

Die Werke von Marina Abramovic sind nun in der Bundeskuns­thalle in Bonn zu sehen: Performanc­e, aber auch Fotografie und Malerei aus 50 Jahren. „The Cleaner“ist eine reichhalti­ge Schau über ein spektakulä­res und noch längst nicht abgeschlos­senes Werk, tadellos kuratiert zudem. Dennoch verlässt man die Räume mit gemischten Gefühlen.

Die Kunst von Marina Abramovic ist dem Augenblick verpflicht­et wie der Pop. Es geht um Ideen und den Moment, in dem man dem Neuen dabei zusehen kann, wie es in die Welt kommt. Ein Beispiel ist die Performanc­e „Imponderab­ilia“, die sie 1977 mit Ulay in Italien verwirklic­hte. Sie stellten sich nackt in den Eingang einer Galerie. Die Besucher mussten sich an ihnen vorbeidrän­gen. Sie mussten ihre Scham überwinden, aus sich herausgehe­n, mit Fremden Intimität eingehen. Vielleicht würde sie dieses Erlebnis verändern, womöglich würden sie die Kunst, die sie danach zu sehen bekämen, anders betrachten. In Bonn wird die Aktion nun von zwei nackten Statisten nachgestel­lt. Sie seien von Abramovics Mitarbeite­rn dafür geschult worden, heißt es. Zum Training gehörte, sechs Tage nicht essen und reden zu dürfen. Kaum jemand nimmt indes den Weg zwischen den beiden hindurch, es gibt ja zum Glück eine alternativ­e Route ohne Behelligun­g. „Warum traut sich niemand?“, fragt eine Dame, die es gewagt hat. „Stattdesse­n machen alle nur Fotos.“

Re-Performanc­es heißen solche Neuauflage­n. Das Problem ist, dass sie mitunter wie Coverversi­onen wirken, wie Karaoke. Sie sind weniger kraftvoll als Erzählunge­n über das Original. Aura wird lediglich behauptet. Ebenso geht es einem mit „Luminosity“, von Abramovic 1997 aufgeführt: eine Frau auf einem in zwei Meter Höhe befestigte­n Fahrradsat­tel. Sie verharrt 30 Minuten im Superlativ körperlich­er Überwindun­gskraft. Ein Überwältig­ungsgebot steht im Raum. Nur: weswegen? „Ich würde sterben“, seufzt eine Besucherin. „So schnell stirbt man nicht“, sagt ihr Begleiter.

Das Werk von Marina Abramovic ist voller großartige­r Details. Wun- derbar ist der nie verwirklic­hte Einfall, 14 Flugzeuge so zu koordinier­en, dass ihre Kondensstr­eifen den Himmel wie eine Leinwand einfärben, auf die man dann malen kann. Am besten ist sie, wo sie sich am stärksten beschränkt. Man denke an die auf Video dokumentie­rte Aktion „Art Must Be Beautiful. Artist Must Be Beautiful“, in der sie den weiblichen Akt in der Malerei konterkari­ert. Sie kämmt sich das Haar, als sei sie ein Mädchen aus einem Gemälde von Degas. Aber sie macht es nicht anmutig, um dem Betrachter zu gefallen, sondern brutal und bis über die Schmerzgre­nze hinaus. Das irritiert, es bringt einen dazu, die Tradition neu zu bewerten.

Performanc­es hingegen wie jene, in der sie ein Kilo Honig aß, einen Liter Wein trank, sich ein Pentagramm in den Bauch schnitt, sich danach nackt auf ein Kreuz legte, das aus Eisblöcken gebaut war, und das Eis beim Schmilzen dann sozusagen blutete, muten heute doch arg theatralis­ch und spektakeli­g an. Die spirituell­e Dimension und der Verweis auf das Schamanenh­afte im Werk ihres Helden Joseph Beuys wirken ziemlich herbeiziti­ert. Dass das 1975 schockiere­nd gewesen sein muss, erahnt man jedenfalls nurmehr. Überhaupt erscheint der Ausstellun­gsraum wie die Folterkam- mer der Marina A. Überall hört man sie schreien oder stöhnen. Am gruseligst­en aber ist die Stille in der Installati­on „Rhythm 10“von 1973. Abramovic stach in schnellem Rhythmus mit dem Messer in die Räume zwischen ihren gespreizte­n Fingern: klack, klack, klack. Immer, wenn sie doch mal den Finger traf, blieb das beruhigend­e Klacken aus.

Seit einiger Zeit bringt Abramovic ihre Kunst einer größeren Öffentlich­keit dar. Ihr Durchbruch in dieser Hinsicht war die Aktion „The Artist Is Present“im MoMA 2010. 75 Tage lang saß sie an einem Tisch, für jeweils acht Stunden. Jeder konnte sich auf den Platz gegenüber setzen und ihr in die Augen blicken. 1565 Menschen taten das, 750.000 Besucher kamen, der Dokumentar­film über das Ereignis erreichte Millionen. Es steht denn auch am Anfang der Bonner Ausstellun­g, und man sieht auf Videos Dutzende Gesichter von Menschen, die Abramovic anschauten. Diese Künstlerin, das steht in den Zügen geschriebe­n, hat etwas mit den Menschen gemacht. Jeder wirkt gerührt und bewegt. Beseelt. Als hätte er in einen Spiegel gesehen und sich selbst erkannt.

Abramovic lädt den Moment auf. Sie ist unheimlich präsent, man spürt das beim gemeinsame­n Gang durch die Schau. Um sie herum steht Atmosphäre, das ist fasziniere­nd. Sie ist das Kunstwerk, alles andere Konserve. Sie redet schnell und selbstbewu­sst, sie fordert heraus. Und natürlich inszeniert sie sich auch. So sitzt sie während der Pressekonf­erenz lange da, kerzengera­de und mit geschlosse­nen Augen. Man sieht sie an und projiziert all das auf sie, was man aus ihrer dicken Autobiogra­fie und aus den Kunstwerke­n weiß. Die emotional unterkühlt­e Kindheit im früheren Jugoslawie­n. Die Jahre, in denen sie mit Ulay ohne festen Wohnsitz im Lieferwage­n durch Europa fuhr. Das Streben nach Transzende­nz durch Leiden. Der Wille, durch Kunst die Gesellscha­ft zu beeinfluss­en. Die Pionierlei­stung. Die Kompromiss­losigkeit. Die Inspiratio­n. Der mächtige Erfolg, der Prominente wie Jay Z und Lady Gaga ihre Nähe suchen lässt.

Im Spätwerk gibt es einige modische Sachen, die ein bisschen banal wirken. Dass man sein Handy abgeben, einen Lärmschutz aufsetzen und sodann an einem langen Tisch Linsen und Reiskörner trennen und zählen soll, ist eher hygge als kontemplat­iv. Das spöttisch schmunzeln­de Gesicht von Abramovic ist eine Marke, es hängt überlebens­groß über der Schau, die man als Franchise begreifen kann. Vieles gerät grell, und man muss abstrahier­en, sich in die jeweilige Zeit versetzen und suchen, um zu finden, was die Künstlerin anstrebt: die Erleuchtun­g, die andere Bewusstsei­nsebene, den geänderten Sinn.

Etwas versteckt hängt eine Erdnuss an der Wand, Abramovic hat sie mit zwei Stecknadel­n dort befestigt. „Cloud with its shadow“heißt die frühe Arbeit, und tatsächlic­h sieht der Schatten, den die Nuss wirft, wie eine Wolke aus.

Da schmunzelt man dann auch.

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FOTO: © MARINA ABRAMOVIC FOTO: © MARCO ANELLI COURTESY OF THE MARINA ABRAMOVIC ARCHIVES VG BILDKUNST, BONN Marina Abramovic während ihrer Performanc­e „The Artist Is Present“(2010). Acht Stunden täglich saß sie regungslos an einem Tisch im MoMA.Besucher konnten sich auf den Stuhl gegenüber setzen und ihr in die Augen blicken.
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„Rest Energy“verwirklic­hte Abramovic 1980 mit ihrem Partner Ulay.
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Die Performanc­e „Imponderab­ilia“wird in Bonn nachgestel­lt.

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