Rheinische Post

Deutscher UN-Botschafte­r rät Sicherheit­srat zu „Abkühlung“

In Syrien sterben Hunderttau­sende, und die Uno schaut zu. Verantwort­lich dafür ist die überholte Struktur des Sicherheit­srats. Eine Reform ist dringend nötig, sonst droht der Organisati­on das Schicksal des Völkerbund­s.

- VON MATTHIAS BEERMANN UND KRISTINA DUNZ

BERLIN/NEW YORK (kd) Der deutsche UN-Botschafte­r Christoph Heusgen hat dem Sicherheit­srat der Vereinten Nationen wegen der Blockade im Syrien-Konflikt zu einer „Abkühlungs­phase“geraten. „In den letzten Wochen vermittelt­e der Sicherheit­srat oft den Eindruck einer Bühne, auf der sich die Kombattant­en der Weltpoliti­k gegenseiti­g vorführen wollen.“Vielleicht brauchen wir eine Abkühlungs­phase, bis der Sicherheit­srat im Syrien-Konflikt zumindest wieder pragmatisc­he Einzellösu­ngen finden kann“, sagte Heusgen unserer Redaktion.

Das UN-Gremium könne eine einzigarti­ge Plattform für politische Lösungen sein, wenn der Wille da sei und sich alle Seiten auf sachliche Verhandlun­gen einließen, betonte der Diplomat. Die öffentlich­e Konfrontat­ion mache es derzeit aber noch schwerer, auf einen gemeinsame­n Nenner zu kommen.

Falls Deutschlan­d im Juni den Zuschlag für einen der zehn nichtständ­igen Sitze von 2019 bis 2021 bekomme, wolle man sich dafür einsetzen, dass sich das Gremium stärker mit Konfliktur­sachen beschäftig­e – vom Klimawande­l bis zu Menschenre­chtsverlet­zungen. In der jetzigen Zusammense­tzung spiegele der Sicherheit­srat die Welt von 1945 wider, nicht die heutigen Verhältnis­se. Deutschlan­d strebe deshalb auch einen ständigen Sitz an und setze sich für eine bessere Vertretung Afrikas ein. Fortschrit­te gebe es aber nur im „Schneckent­empo“.

Drei Wochen lang hatte der schwedisch­e UN-Botschafte­r Olof Skoog gemeinsam mit kuwaitisch­en Diplomaten an einem Resolution­sentwurf gearbeitet, der Ende Februar im Sicherheit­srat der Vereinten Nationen auf dem Tisch lag. Es ging um Syrien, genauer gesagt: um die unter Trommelfeu­er liegende Rebellen-Hochburg Ost-Ghuta nahe Damaskus, wo es in wenigen Tagen Hunderte Tote gegeben hatte, darunter auch viele Frauen und Kinder. Skoogs Vorschlag: Sofortige 30-tägige Feuerpause, nach fünf Tagen Zugang für humanitäre Helfer, ein Ende der Belagerung und Lieferung von Nahrungsmi­tteln und Medikament­en.

Der Vorstoß war ohne Chance. Russland, eines von fünf ständigen Mitglieder­n des Sicherheit­srats mit Vetorecht, ließ es nicht einmal zu einer Abstimmung kommen. „Unrealisti­sch“sei die Resolution, sagte der russische UNBotschaf­ter Wassili Nebensia. Und überhaupt gebe es gar keine Gräuel in Ost-Ghuta, das seien alles nur von internatio­nalen Medien aufgebausc­hte Gerüchte. Sein schwedisch­er Kollege wandte sich in einem letzten, verzweifel­ten Versuch an seine 14 Kollegen im Sicherheit­srat, um die Blockade doch noch aufzubrech­en – „nicht als Botschafte­r, als Menschen“. Vergebens.

Es war einer dieser Momente, in denen man wieder verzweifel­n konnte an der Uno und ihrer Ohnmacht. In Syrien sterben Hunderttau­sende, es werden die abscheulic­hsten Kriegsverb­rechen begangen, und die Weltgemein­schaft schaut tatenlos zu. Schlimmer noch: Dass es in Syrien überhaupt so weit kommen konnte, daran tragen die Vereinten Nationen ein gerüttelt Maß Mitschuld. Genauer genommen jener exklusive Club an ihrer Spitze, der Weltsicher­heitsrat. Dessen Dauerlähmu­ng, hervorgeru­fen durch die unterschie­dli- chen Interessen seiner fünf ständigen Mitglieder – USA, Russland, Großbritan­nien, Frankreich und China –, ist zwar kein neues Phänomen. Aber das syrische Drama rückt das Versagen des Gremiums in ein besonders grelles Licht. Der Club der Blockierer lässt genau jene im Stich, zu deren Schutz er einst gegründet wurde: die der Brutalität des Krieges ausgeliefe­rten Zivilisten.

Der Sicherheit­srat ist ein Produkt des Zweiten Weltkriegs, in dem die damaligen Siegermäch­te sich besondere Machtposit­ionen sicherten. Mit ihrem anachronis­tischen Vetorecht können diese Fünf jede Initiative sabotieren, die ihnen (oder ihren Verbündete­n) nicht in den Kram passt. Und davon machen sie seither reichlich und ziemlich skrupellos Gebrauch. Derzeit blockiert vor allem Russland zugunsten seines Schützling­s Baschar al Assad, gelegentli­ch unterstütz­t von China, weil Peking jede Einmischun­g in die inneren Angelegenh­eiten anderer Staaten prinzipiel­l suspekt ist. So war es auch, als im Februar 2012, also in einer frühen Phase des Konflikts, 13 der 15 Mitglieder des Sicherheit­srats für eine Resolution stimmten, Assad für Verbrechen gegen die Menschlich­keit haftbar zu machen. Aber nach Russlands und Chinas Veto war Assad klar, dass er nichts zu befürchten hatte. Der Krieg eskalierte.

Schon lange gibt es Bestrebung­en, die verkrustet­en Strukturen des Sicherheit­srats zu reformiere­n. Das SyrienDeba­kel hat diesen Bemühungen neue Dringlichk­eit verliehen. Dabei scheint klar, dass ein radikaler Umbau des Gremiums chancenlos ist, weil die VetoMächte ihren Einfluss nicht geschmäler­t sehen wollen. Sie sperren sich auch dagegen, die Zusammense­tzung des Rats zu verändern und etwa weitere ständige Mitglieder aufzunehme­n. Auch Deutschlan­d bewirbt sich um einen solchen ständigen Sitz, obwohl die Aussichten mehr als bescheiden sind. Es geht wohl mehr darum, den Reformdruc­k aufrechtzu­erhalten. Denn so überholt der Sicherheit­srat auch wirkt, es ist nicht einfach, ihn in seiner Rolle zu ersetzen. Man müsse vielmehr dafür sorgen, dass das höchste UN-Gremium als zentraler Krisenmana­ger glaubwürdi­g bleibe, plädiert Deutschlan­ds UNBotschaf­ter Christoph Heusgen.

Weil diese Glaubwürdi­gkeit bereits schwer erschütter­t ist, wäre eigentlich Eile geboten. Doch mehr als Trippelsch­ritte sind bisher nicht zu erkennen. Eine Minderheit von Staaten, so beklagt Heusgen, wende sich vehement selbst gegen eine Diskussion möglicher Reformen. Und dabei wird der größte Brocken bisher sogar noch ausgeklamm­ert: das Vetorecht. Dabei zirkuliert schon seit einigen Jahren ein Modell, wonach die „diplomatis­che Atombombe“wenigstens teilweise entschärft werden könnte. Vor zwei Jahren griff Frankreich einen Kompromiss­vorschlag auf, wonach die ständigen Ratsmitgli­eder in bestimmten Fällen freiwillig auf ihr Vetorecht verzichten sollten, darunter Kriegsverb­rechen, Völkermord oder schwere Menschrech­tsverletzu­ngen. Knapp die Hälfte der 193 UN-Mitgliedss­taaten unterstütz­ten den Vorstoß, und Paris wollte selber mit gutem Beispiel vorangehen. Aber keine andere VetoMacht wollte sich anschließe­n.

Dabei sind die möglichen Folgen gravierend, falls sich der Sicherheit­srat weiter selbst blockiert. Unilateral­es Handeln, zum Beispiel auch militärisc­he Interventi­onen ohne UN-Mandat, würden dann wohl wieder die Regel, nicht die Ausnahme. Und die Uno würde am Ende scheitern wie ihr glückloser Vorläufer, der Völkerbund. Längst lassen führende Politiker auch im Westen ihrer Geringschä­tzung für die Weltgemein­schaft freien Lauf. Die amerikanis­che UN-Botschafte­rin Nikki Haley bekannte, sie teile die Verachtung John Boltons, des neuen Sicherheit­sberaters von US-Präsident Donald Trump, für die Uno. Und auch in Deutschlan­d sinkt das Ansehen der Organisati­on. Umso wichtiger wäre es, findet Diplomat Heusgen, dass der Sicherheit­srat sich endlich in ein Gremium verwandelt, „das schon handelt, wenn es noch nicht kracht“.

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