Rheinische Post

Wird der Nil zur Mutter aller Konflikte?

Ein Staudamm in Äthiopien bedroht die Wasservers­orgung in Ägypten. Überall in der Region spitzt sich der Streit ums Wasser zu.

- VON THOMAS SEIBERT

ADDIS ABEBA Baukräne, Massen von Beton und fast 10.000 Arbeiter: Am Blauen Nil im Westen Äthiopiens entsteht ein gigantisch­er Staudamm, der nach seiner Fertigstel­lung eine Hauptrolle bei der Modernisie­rung des ostafrikan­ischen Landes spielen soll, zugleich aber das 1500 Kilometer entfernte Ägypten das Schlimmste befürchten lässt. Der Damm werde die Wasservers­orgung der 100 Millionen Ägypter gefährden, sagt Kairo. Gespräche zwischen Ägypten, Äthiopien und dem Sudan über eine faire Nutzung des Nilwassers endeten Anfang April ohne Ergebnis. Der Streit wirft ein Schlaglich­t auf den chronische­n Wassermang­el im Nahen Osten, der sich schon bald noch einmal erheblich verschärfe­n könnte.

Der „Große Damm der Äthiopisch­en Wiedergebu­rt“ist zu etwa wasservers­orgung voraus – und mit dem äthiopisch­en Riesendamm werde sicherlich alles noch schlimmer, prognostiz­iert die Regierung in Kairo.

Streit gibt es vor allem um die Zeitspanne, die es dauern wird, bis sich der äthiopisch­e Stausee gefüllt hat. Die Experten von der Geologisch­en Gesellscha­ft der USA schätzen, dass die in Ägypten ankommende Wassermeng­e des Nils während dieser Auffüllper­iode um 25 Prozent zurückgehe­n könnte.

Wenn Äthiopien den See innerhalb von drei Jahren füllt, um möglichst rasch mit der Stromgewin­nung beginnen zu können, wird in Ägypten rund die Hälfte des Ackerlands verdorren, heißt es in einer Studie der Universitä­t Kairo. Sollte es sechs Jahre dauern, beträgt der Verlust demnach immer noch 17 Prozent: Die Ägypter befürchten, dass der Damm ihnen buchstäbli­ch den Wasserhahn zudreht.

An den bisherigen Vereinbaru­ngen zur Aufteilung der Wassermeng­e aus den Jahren 1929 und 1959 war Äthiopien nicht beteiligt. Nun soll wegen des Staudammba­us ein neues Vertragswe­rk ausgehande­lt werden. Doch unlängst endete in Khartum die erste Verhandlun­gsrunde seit zwei Jahren ohne erkennbare Fortschrit­te. Im Mai soll es einen neuen Anlauf geben, doch derzeit zeichnet sich keine Lösung ab, die sowohl Äthiopien als auch Ägypten zufriedens­tellen könnte.

Dass Kairo selbst mit dem 1971 fertiggest­ellten Assuan-Damm mit schlechtem Beispiel vorangegan­gen ist, macht die Sache nicht einfacher. Der Assuan-Damm hält wichtige Nährstoffe im Nilwasser zurück – ein Trend, der sich durch den neuen Damm in Äthiopien noch verstärken könnte.

Der Nil liefert fast das gesamte Trinkwasse­r in Ägypten, jede Verringeru­ng der Wassermeng­e ist für das Land eine potenziell­e Katastroph­e. Bei dem Treffen in Khartum nannte Ägyptens Bewässerun­gsminister Mohamed Abdel Aty die Zukunft des Nilwassers eine Frage der nationalen Sicherheit für sein Land. Selbst wenn die in Ägypten ankommende Menge nur um zwei Prozent sinken sollte, würde das dem Minister zufolge in seinem Land eine Million Arbeitsplä­tze in der Landwirtsc­haft kosten. Vor fünf Jahren hatte Kairo den Äthiopiern wegen des Dammprojek­ts sogar mit Krieg gedroht.

Schnelles Bevölkerun­gswachstum, intensive Landwirtsc­haft und der Klimawande­l beschwören in Ägypten und anderen Nahost-Ländern die Gefahr einer Wasserkris­e herauf. Der Nahe Osten sei Heimat von sechs Prozent der Weltbevölk­erung, besitze aber nur ein Prozent der Frischwass­ervorräte, sagt Nahost-Experte Paul Salem vom Middle East Institute in Washington. Außerdem stamme das meiste Oberfläche­nwasser von außerhalb der Region: Der Nil kommt aus Ostafrika, Euphrat und Tigris entspringe­n in der Türkei.

Das Ergebnis sind Knappheit und Abhängigke­iten. Ähnlich wie im Streit zwischen Ägypten und Äthiopien werfen die Nachbarn der Türkei den Behörden in Ankara hin und wieder vor, mit Hilfe eines Netzwerks aus Staudämmen in Anatolien die Durchfluss­mengen von Euphrat und Tigris auch aus politische­n Gründen zu reduzieren. Der iranische Vize-Außenminis­ter Abbas Araghchi stufte künftige Kriege um Wasservorr­äte als „wahrschein­lich“ein.

Ob die Meerwasser-Entsalzung die Antwort auf die Probleme sein kann, ist ungewiss. Derzeit ist die Technologi­e für Länder wie Ägypten viel zu teuer, um eine Alternativ­e zum Nilwasser bilden zu können. Nach Angaben der Hilfsorgan­isation The Water Project befinden sich 70 Prozent aller Entsalzung­sanlagen der Welt jetzt schon im Nahen Osten. Doch Experten verweisen darauf, dass beim Entsalzung­sprozess wichtige Mineralien verlorenge­hen. Zudem erhöht der hohe EnergieEin­satz beim Entsalzen die Wasserprei­se. Engere Kooperatio­n zwischen den betroffene­n Ländern und ein sparsamere­r Umgang mit Wasser, etwa durch effiziente­re Bewässerun­gstechnike­n, bieten auf lange Sicht bessere Chancen. Doch davon ist die Region noch weit entfernt.

 ??  ?? Nomaden graben mit der Hand nach Wasser in einem ausgetrock­neten Flussbett im äthiopisch­en Awash, um ihre Dromedare zu tränken.
Nomaden graben mit der Hand nach Wasser in einem ausgetrock­neten Flussbett im äthiopisch­en Awash, um ihre Dromedare zu tränken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany