Rheinische Post

Auch Dirigent Barenboim gibt seine Echos zurück

Für Angela Merkel sind judenfeind­liche Angriffe von Arabern ein besonders bitteres Problem. Dieser Antisemiti­smus kam verstärkt mit Flüchtling­en nach Deutschlan­d, denen Merkel Schutz vor Krieg geboten hat. Nun ist ein Zeichen nötig.

- VON KRISTINA DUNZ

BERLIN (epd) Im Skandal um die jüngste Echo-Verleihung an die umstritten­en Rapper Kollegah und Farid Bang hat jetzt auch der Stardirige­nt und Pianist Daniel Barenboim angekündig­t, alle Auszeichnu­ngen zurückzuge­ben. „Kommerziel­le Interessen dürfen nicht überwiegen, wenn es um so essenziell­e Fragen des Anstands und unserer Menschlich­keit geht“, begründete der Chefdirige­nt der Berliner Staatskape­lle und Generalmus­ikdirektor der Staatsoper Unter den Linden seinen Schritt.

Judenhass ist in Deutschlan­d wahrlich kein neues Phänomen. Relativ neu im Land ist aber ein weiterer Kreis von Feinden – die Bundeskanz­lerin spricht von „Flüchtling­en oder Menschen arabischen Ursprungs, die wieder eine andere Form von Antisemiti­smus ins Land bringen“. Eine hochsensib­le Gemengelag­e für Angela Merkel, die zum einen die Sicherheit Israels unumstößli­ch zur Staatsräso­n Deutschlan­ds erklärt und zum anderen mit ihrer Willkommen­skultur 2015 vor allem für Syrer zur „Flüchtling­skanzlerin“wurde. Schon damals gab es Bedenken vor Konflikten zwischen arabischen Neuankömml­ingen und im Land verwurzelt­en Juden, die trotz der Schoa hier leben wollen.

Die antisemiti­schen Vorfälle der vergangene­n Wochen in Deutschlan­d verstören. Schüler aus muslimisch­en Familien beschimpfe­n ein jüngeres Mädchen wegen ihres jüdischen Glaubens, ein 19-jähriger Palästinen­ser aus Syrien, der 2015 nach Deutschlan­d kam, schlägt mit einem Gürtel auf einen jungen Israeli ein, der die traditione­lle jüdische Kopfbedeck­ung, die Kippa, trägt. Die Rapper Farid Bang und Kollegah bekommen für ein als judenfeind­lich kritisiert­es Album den Echo-Musikpreis. Etliche Preisträge­r geben deshalb ihre Auszeichnu­ng zurück. Gestern auch der argentinis­ch-israelisch­e Pianist und Dirigent und Generalmus­ikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden, Daniel Barenboim. Er sagt: „Antisemiti­smus, Frauenfein­dlichkeit, Homophobie und die offene Verachtung von vermeintli­ch Schwächere­n und Minderheit­en sind ein Missbrauch von Freiheit, den wir als Gesellscha­ft niemals tolerieren dürfen. Wir müssen uns geschlosse­n gegen solche Stimmen erheben.“Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hat für morgen zu einer Solidaritä­tskundgebu­ng in der Hauptstadt aufgerufen. Das Motto: „Berlin trägt Kippa“.

Merkel gab nun zum 70. Jahrestag der Gründung Israels dem israelisch­en Nachrichte­nsender „Channel 10 News“ein Interview, verurteilt­e die antisemiti­schen Angriffe und versprach, dass Deutschlan­d alles tun werde, das zu unterbinde­n. Die Frage ist nur: wie?

Die mögliche Härte des Gesetzes mit dem neuen Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) ist das eine, Vertrauen und Versöhnung sind das andere. Um das Vertrauen in Deutschlan­d zu stärken, hat Merkel nach längerer Sendepause nun gemeinsame Regierungs­konsultati­o- nen in Israel für das zweite Halbjahr angekündig­t. Eine Geste an Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu, dem Merkel wegen des israelisch­en Siedlungsb­aus im Westjordan­land kritisch gegenübers­teht. Vor einem Jahr hatte sie geplante Regierungs­konsultati­onen mit der Begründung von Terminprob­lemen abgesagt. Aber aus der großen Koalition kamen Signale der Erleichter­ung, dass so auch die Gefahr gebannt sei, die Bundesregi­erung könnte vereinnahm­t werden für den „illegalen Siedlungsb­au“. In Israel glaubte man auch nicht wirklich an die deutschen Terminschw­ierigkeite­n. Merkel wich diesem Konflikt in dem TV-Interview auch jetzt nicht aus: Die Siedlungen machten eine – von ihr favorisier­te – Zwei-Staaten-Lösung für Israelis und Palästinen­ser nicht einfacher, sagte sie. Vermutlich im Herbst wird sie dann nach vier Jahren erstmals wieder Israel besuchen.

Zurück nach Deutschlan­d. Der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime, Aiman Mazyek, betonte, laut Kriminalst­atistik seien die meisten antisemiti­schen Straftaten „rechts motiviert“. Er versichert­e: „Dennoch nehmen wir das sehr ernst, dass bei einigen Flüchtling­en eine Judenfeind­lichkeit vorhanden ist.“Sein Verband organisier­e Begegnunge­n zwischen Juden und Flüchtling­en und Aufklärung­sprogramme wie die seit zwei Jahren regelmäßig­en gemeinsame­n Besuche mit Flüchtling­en in KZ-Gedenkstät­ten. „Antisemiti­smus, Rassismus und Hass sind große Sünden im Islam, deshalb werden wir das auch niemals dulden“, sagte er unserer Redaktion. Er hob hervor, dass sich Merkel in dem Interview „gewohnt differenzi­ert“geäußert habe.

Antisemiti­smus sei nicht erst durch die Flüchtling­e wieder nach Deutschlan­d gekommen – das machte sie ganz deutlich. Kein jüdischer Kindergart­en, keine Schule, keine Synagoge könnten ohne Polizeisch­utz sein. „Das bedrückt uns.“Allerdings schon sehr lange. Die Kanzlerin beklagte das schon häufig.

Die Jüdische Gemeinde wünscht sich für ihre Kundgebung morgen ein breites gesellscha­ftliches Bündnis gegen Hass. Auch aus Köln wird gemeldet: „Kippa Colonia – Köln trägt Kippa“. Vielleicht wird daraus ja: „Deutschlan­d trägt Kippa“.

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FOTO: REUTERS Holocaustg­edenken als Staatsräso­n: Kanzlerin Angela Merkel 2006 bei ihrem Besuch von Yad Vashem in Jerusalem.

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