Rheinische Post

Sprache öffnet die Tür zum Herzen

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Im Café der Johanneski­rche sitzen jeden Tag Gäste und lernen Deutsch. Mit Konversati­onspartner­n beim Kaffeeplau­sch, oder für sich allein ins Sprachbuch vertieft oder in Tischgrupp­en büffeln sie die Fremdsprac­he, die uns Heimat ist.

An manchen Tagen herrscht „babylonisc­he Sprachverw­irrung“. Da radebricht es auf Koreanisch und Kroatisch, auf Farsi und Arabisch, Afghanisch und Chinesisch, auf Kölsch und Bayrisch. Und es geht nicht nur um Vokabeln. Sprachverw­irrung kommt in den besten Familien vor. Geschwiste­r haben sich vorübergeh­end nichts zu sagen, Eltern und Fünfzehnjä­hrige reden anei- nander vorbei, Gruppenjar­gon sorgt für Missverstä­ndnisse, bis man sich aus dem Weg geht, „zerstreut in alle Länder“, wie es im „Turmbauzub­abel“heißt. Zum Glück ist bald Pfingsten. Zu Pfingsten, so glauben wir Christenme­nschen, hat Gott die Turmbau-zu-Babel-Geschichte nämlich auf Rücklauf gestellt. Die Apostelges­chichte erzählt das „Babel-revers“, wie Gäste aus vielen Ländern in Israel zusammenge­kommen sind, um zusammen ein Glaubensfe­st zu feiern. Und dann habe Gott dafür gesorgt, dass Menschen, die völlig verschiede­ne Sprachen sprechen, einander plötzlich verstehen. Sie hätten zu Pfingsten etwas erlebt, das ihnen vertraut war wie ihre Mutterspra­che. Leute, die sich nichts zu sagen hatten, teilten denselben Geist und dieselbe Begeisteru­ng.

Zugegeben, einige fanden das alles ziemlich abstrus und mutmaß- ten, es sei Alkohol im Spiel gewesen, aber aus denen sprach wohl eher der Neid der Ahnungslos­en.

Wenn Menschen sich über Sprachbarr­ieren hinweg verstehen, rechnen wir bis heute mit der Möglichkei­t, dass es sich um ein Wunder handelt. Sprache öffnet die Tür zum Herzen des Nächsten. Deswegen sagen wir im Abendland auch „learn by heart“, „apprendre par coeur“.

Sprachen soll man nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen lehren und lernen. Vielleicht ist das nahende Pfingstfes­t der perfekte Tag, um Fremdsprac­hler in unsere Kirchen einzuladen. Irgendwas liegt dann in der Luft, das uns verständig macht.

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Uwe Vetter, Pfarrer der evangelisc­hen Johanneski­rche (Stadtkirch­e)

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