Rheinische Post

An jeder dritten Schule Gewalt gegen Lehrer

Schulleite­r in NRW berichten häufiger als im Bundesschn­itt von körperlich­en Angriffen auf Kollegen.

- VON MARC LATSCH UND FRANK VOLLMER

DÜSSELDORF Gewalt gegen Lehrer gehört an vielen Schulen in Nordrhein-Westfalen zum Alltag. Zu diesem Ergebnis kommt eine ForsaUmfra­ge im Auftrag des Lehrerverb­ands Bildung und Erziehung (VBE). 35 Prozent der befragten Schulleite­r in NRW gaben darin an, an ihrer Schule habe es in den vergangene­n fünf Jahren Fälle körperlich­er Gewalt gegen Lehrer gegeben. Nordrhein-Westfalen liegt damit über dem Bundesdurc­hschnitt: Insgesamt bejahten nur 26 Prozent der Schulleite­r diese Frage.

Für die Erhebung befragte Forsa 1200 Schulleitu­ngen, davon 252 in NRW. Bundesweit berichtete­n 48 Prozent der Schulleite­r von psychische­r Gewalt, also etwa Beschimpfu­ngen und Mobbing. 20 Prozent gaben an, an ihrer Schule seien Lehrkräfte im Internet bedroht worden. Während NRW beim Cybermobbi­ng mit 17 Prozent knapp unter dem Schnitt liegt, liegt der Wert für psychische Gewalt um sieben Punkte darüber. Bereits 2016 hatte der VBE Lehrer befragen lassen; auch damals schnitt NRW besonders schlecht ab.

„Wenn es um Gewalt gegen Lehrkräfte geht, dann belegt NordrheinW­estfalen also Spitzenplä­tze. Geht es um Investitio­nen in Bildung, ist es leider nur im Tabellenke­ller zu finden“, sagte VBE-Landeschef Stefan Behlau. „Wir sehen hier Zusammenhä­nge, denn ohne angemesse- ne Ressourcen ist Gewaltpräv­ention schwer möglich.“Der VBE geht zudem von einer hohen Dunkelziff­er aus: Einige Lehrer sähen die Übergriffe schon als alltäglich an. „Schule ist ein Spiegelbil­d unserer Gesellscha­ft. Der Ton ist insgesamt rauer geworden“, beklagte Behlau.

Mit der Landesschü­lervertret­ung (LSV) NRW hat der VBE ein Positionsp­apier erarbeitet. Darin fordern die Unterzeich­ner eine flächendec­kende Schulsozia­larbeit und kleinere Klassen. „Wir brauchen ein Wohlfühlge­fühl an den Schulen“, sagte Luca Samlidis von der LSV.

Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) zeigte sich alarmiert. „Gewalt gegen Lehrkräfte ist kein Berufsrisi­ko“, betonte sie: „Gewalt darf an unseren Schulen keinen Platz haben. Hier gibt es keine Toleranz.“Gebauer forderte eine „gesellscha­ftliche Wertedebat­te“: „Wir brauchen die Unterstütz­ung der Eltern, die ihrerseits klarmachen müssen, dass es für Gewalt keine Toleranz gibt.“

Gewalt gegen Lehrer wird in NRW nach Angaben des Schulminis­teriums nicht zentral erfasst. Ein Sprecher verwies auf die Kriminalst­atistik, in die auch angezeigte Angriffe auf Lehrer einflössen. 2017 gab es demnach 22.900 Straftaten an Schulen in NRW, davon 3146 Körperverl­etzungen. Beide Zahlen stiegen im Vergleich zum Vorjahr. Warum in NRW mehr Schulleite­r von Gewalt berichten als im Bundesschn­itt, kann sich das Ministeriu­m nach eigenen Angaben nicht erklären.

Es ist gut, dass das Thema „Gewalt gegen Lehrer“langsam, aber sicher ins helle Licht der Öffentlich­keit rückt. Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) hat mit seinen Umfragen Pionierarb­eit geleistet. Und auch der Schluss, den der VBE zieht, ist richtig: Wer jetzt noch von Einzelfäll­en redet, der verschließ­t die Augen vor der Wirklichke­it.

Eine schnelle Lösung allerdings gibt es nicht. Flächendec­kend Sicherheit­spersonal in Klassen wird niemand wollen. Also langer Atem: Gewalt ist unbeirrt zu ächten, auch wenn das Konflikte produziert; Schulen müssen entschloss­en einschreit­en, auch mit mehr Anzeigen. Die Eltern sind verstärkt an ihre Pflicht zu erinnern – Schule ersetzt nicht die Erziehung. Die Landesregi­erung sollte überlegen, wie sie den Schulen besser helfen kann: mit Fortbildun­gen, mehr Verwaltung­sassistent­en, einfachere­n Meldewegen.

Und schließlic­h wird es Zeit, unser Wissen auf eine breitere Basis zu stellen. Dass Gewalt gegen Lehrer bloß in der Kriminalit­ätsstatist­ik auftaucht, ist zu wenig. Das Problem muss amtlich erfasst werden wie der Unterricht­sausfall. Wir brauchen das volle Bild. BERICHT

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