Rheinische Post

„Davon hatte ich keine Kenntnis“

Der ehemalige Duisburger Oberbürger­meister Adolf Sauerland gibt sich im Zeugenstan­d ahnungslos.

- NRW

„Klein Erna würde jetzt sagen: Es ist komisch, wenn ein Oberbürger­meister so wenig weiß“Mario Plein Vorsitzend­er Richter

DÜSSELDORF/DUISBURG „Das sagt mir nichts.“„Davon hatte ich keine Kenntnis.“„Ich erinnere mich an so ein Schreiben nicht.“Adolf Sauerland hat bei seiner gestrigen Zeugenauss­age im Loveparade-Prozess genau das gemacht, was er auch am Tag nach der Katastroph­e vor acht Jahren auf der Pressekonf­erenz im Duisburger Rathaus gemacht hat. Er hat bestritten, überhaupt irgendetwa­s mit der Genehmigun­g der Großverans­taltung zu tun gehabt zu haben. „Aktiv eingebunde­n in dem Genehmigun­gsprozess war ich nicht“, sagt der ehemalige Duisburger Oberbürger­meister (CDU), der 2012 bei einem Bürgerbege­hren abgewählt worden ist. „Ich musste nichts erteilen oder vorbereite­n.“Er habe sich nichts vorzuwerfe­n.

Der 62-Jährige macht im Gericht den Eindruck, gerne woanders zu sein. Irgendwo, wo man ihn nicht kennt und die Katastroph­e nicht mit ihm in Verbindung bringt. Im Zeugenstan­d muss er sich fühlen wie auf der Anklageban­k. Direkt vor Sauerland sitzt der Vorsitzend­e Richter Mario Plein, der von ihm alles genau wissen will. Und der durchblick­en lässt, dass er ihm nicht alle seiner Aussagen und Erinnerung­slücken abkauft. In Sauerlands Rücken sitzen die vielen Verteidige­r und Opferanwäl­te. Und natürlich die Hinterblie­benen der 21 Todesopfer. Einige Angehörige sind im Saal und registrier­en jede Bewegung, jeden Blick, jede Geste Sauer- lands genau – und auch jedes Wort. Vor allen Dingen achten sie auf das, was er nicht sagt. Entschuldi­gung zum Beispiel.

Zehn Beschuldig­te hat die Staatsanwa­ltschaft benannt, sechs städtische Mitarbeite­r und vier des Veranstalt­ers Lopavent. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihnen unter anderem fahrlässig­e Tötung wegen Fehlern bei der Genehmigun­g und Planung der Großverans­taltung vor. Gegen Sauerland ist nie ermittelt worden. Er habe nicht „Einfluss auf die fehlerhaft­e Planung oder die Erteilung der rechtswidr­igen Genehmigun­g genommen“, so die Staatsanwa­ltschaft. Und weiter: „Er durfte darauf vertrauen, dass die für die Planung und Genehmigun­g Verantwort­lichen das Vorhaben aufgrund ihrer Fachkenntn­isse ordnungsge­mäß prüfen würden.“

Im Jahr 2007 tritt der Kommunalve­rband Ruhr an Sauerland heran und fragt ihn: Wie wäre es mit der Loveparade? „Ich habe die Idee, sich um die Loveparade zu bewerben, dann in den Stadtrat eingebrach­t“, erklärt Sauerland. Die große Mehrheit habe zugestimmt. Er selbst eingeschlo­ssen. Was anschließe­nd folgt, scheint Sauerland nicht großartig interessie­rt zu haben. Zumindest nicht im Detail. „Alles andere danach ist dann Sache der Fachlichke­it gewesen, also der zuständige­n Dezernate“, erklärt der gelernte Berufsschu­llehrer. „Ich selbst bin dann außen vor gewesen.“Sauerland beharrt darauf: „Letztlich war die Frage, ob die Veranstalt­ung genehmigun­gsfähig ist oder nicht. Die Genehmigun­gen sind da, wo die fachlich zuständige­n Leute sitzen, ergangen.“Mit Fachlichke­it meint Sauerland Wolfgang Rabe, den Ordnungs- und Rechtsdeze­rnenten, den Koordinato­r der Loveparade, der ebenfalls nicht angeklagt wird.

Eine Baustelle sorgt zunächst noch dafür, dass die Großverans­taltung um ein Jahr aufgeschob­en wird. Denn eigentlich sollten die Technowage­n schon 2009 durch Duisburg rollen. Aber Bauarbeite­n vor dem Hauptbahnh­of verhindert­en das. „Ich habe gesagt, dadurch geht das auf gar keinen Fall“, erinnert sich Sauerland in dem Fall noch ziemlich genau. Die Veranstalt­ung wird auf 2010 verschoben. Doch die Zweifel an der Durchführb­arkeit der Loveparade wachsen. Der damalige Duisburger Polizeiprä­sident hält sie für undurchfüh­rbar. Sauerland erklärt, er habe daraufhin die Verwaltung gebeten, die Bedenken zu prüfen. „Ich gehe davon aus, dass dies geschehen ist. Konkret weiß ich davon aber nichts.“Der Grund: Sauerland fragt nicht weiter nach.

Auch bei Verantwort­lichen der Stadt wird Kritik laut. Zum Beispiel beim Leiter des Ordnungsam­tes, der die Loveparade am liebsten absagen würde. Davon habe Sauerland auch gewusst. Den Grund für die Zweifel aber angeblich nicht. Sauerland sagt, er sei immer nur auf Sitzungen der Dezernatsl­eiter über den Allgemeinz­ustand der Planungen informiert worden. „Da wurde gesagt, was läuft und was nicht.“Plein schüttelt den Kopf, nachdem er sich das alles angehört hat und sagt: „Klein Erna würde jetzt sagen: Es ist komisch, wenn ein Oberbürger­meister so wenig weiß über die Abläufe eines solchen Großereign­isses. Wir reden hier ja nicht über den Flohmarkt in Duisburg-Marxloh. Wir reden über die Loveparade. Das ist schwer nachvollzi­ehbar.“Ähnliches muss Plein wohl auch durch den Kopf gegangen sein, als Sauerland erklärt, dass er in der Woche vor der Loveparade im Urlaub in Österreich gewesen ist und dort kaum Netz gehabt habe. Erst auf der Rückfahrt, einen Tag vor der Loveparade, habe er im Auto per SMS erfahren, dass die Veranstalt­ung stattfinde­n könne.

Für viele Menschen ist er bis heute der Buhmann, für sie ist der Name Sauerland untrennbar mit dem Unglück verbunden, weil er unmittelba­r nach der Katastroph­e fatale Fehler gemacht hat – wie auf der eiligst anberaumte­n Pressekonf­erenz am Abend des Unglücks. Das Ausmaß ist noch gar nicht erfasst, da schickt sich Sauerland an, vor der Verantwort­ung davonzulau­fen. Mit unglücklic­hen Formulieru­ngen schiebt er den Opfern eine gewisse Mitschuld zu – so wird er zumindest verstanden. Dieses Versagen hängt dem vierfachen Familienva­ter bis heute nach. Auch gestern stoßen manche Aussagen Sauerlands bei den Hinterblie­benen übel auf. Paco Zapater, der bei der Loveparade seine Tochter Clara verloren hat, bezeichnet Sauerland als einen ahnungslos­en Bürgermeis­ter, der die Schuld auf andere schiebe. „Was will ich mit einem, der nichts entscheide­t und nichts weiß und herumsteht wie ein Dekoartike­l?“

Heute wird Sauerlands Befragung als Zeuge fortgesetz­t.

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FOTO: ACTION PRESS
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FOTO: DPA Am Tag nach der Katastroph­e 2010 (v.r.): Duisburgs Oberbürger­meister Adolf Sauerland, Loveparade-Veranstalt­er Rainer Schaller, Detlef von Schmeling, stellvertr­etender Polizeiprä­sident von Duisburg, und Ordnungsde­zernent und Leiter des Krisenstab­s...

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