Rheinische Post

Unter Zugzwang

Die deutsche Schachbund­esliga gilt als stärkste Liga der Welt. Großmeiste­r von der SG Solingen buhlen mit der OSG Baden-Baden um die Meistersch­aft. Doch deutsche Spieler sucht man in den Bestenlist­en vergeblich. Woran liegt das?

- VON JESSICA BALLEER

SOLINGEN/DÜSSELDORF Der Schachspor­t in Deutschlan­d könnte weitaus schlechter dastehen. Knapp 90.000 Spieler gehören 2700 Vereinen im Deutschen Schachbund an. Fast jeder Dritte davon ist jugendlich. Die Zahlen sind zwar leicht rückläufig, doch in anderen Sportverbä­nden ist der Schwund viel größer. Die Schachbund­esliga gilt sogar als „stärkste Liga der Welt“. Einen Haken hat die Sache dennoch: Deutsche Spieler findet man in der Weltspitze schon lange nicht mehr. Um einen Weltmeiste­r zu finden, muss man gar bis zum Anfang des 20. Jahrhunder­ts zurückblic­ken.

Der einzige deutsche Schachwelt­meister heißt Emanuel Lasker. Er kam 1868 in Berlin zur Welt. Anlässlich seines 150. Geburtstag­s erklärte der Deutsche Schachbund das Jahr 2018 zum „Lasker-Jahr“. Der Berliner verteidigt­e den WM-Titel 27 Jahre lang – ein ungebroche­ner Rekord. „Nur Leute, die sich einer Sache ganz und gar widmen, bringen darin Großes zuwege“, hatte Lasker einst geschriebe­n. Damit trifft er ein Kernproble­m, das das „königliche Spiel“heute noch hemmt.

Weil Solingen als Förder- und Schachzent­rum anerkannt ist, ist das Training der Schachgeme­inschaft meist gut besucht. Freitagabe­nds sitzen da an die 50 Jugendlich­en und duellieren sich am Brett. „Wir haben eine ganze Reihe Jugendmann­schaften. Die Mädchen sind zweimal Deutscher Meister geworden“, sagt Herbert Scheidt (73). Seit über 50 Jahren betreut er die Bundesliga­mannschaft der SG Solingen. Unter ihm wurde sie zwölfmal deutscher Mannschaft­smeister. Doch die schiere Menge etwa an Turnieren und Events, auf die auch der Schachbund anscheinen­d setzt, zeigt: In Deutschlan­d steht die Breitenspo­rt- über der Spitzenför­derung, die Masse über der Klasse. „Uns fehlen Nachwuchss­pieler, die die Spielstärk­e und das Talent für die erste Mannschaft haben“, sagt Scheidt.

Herausrage­nde Konzentrat­ionsfähigk­eit und eine perfekte Gegneranal­yse: Nur so könne man zur Spitze aufschließ­en, sagt Scheidt. Viel Training und Leidenscha­ft ge- hörten dazu, die die meisten jungen Spieler aber nicht investiere­n können oder wollen. Wer wirklich vom Schachspor­t leben wolle, der sei im Ausland besser aufgehoben. Gerade in Osteuropa und in Asien genießt das Spiel ein hohes Ansehen. Ein höheres jedenfalls als in Deutschlan­d. Anders als Schulen hierzuland­e, haben Kurse und Talentförd­erung dort System. Und durch die Erfolge der Spieler ist auch öffentlich­es Interesse vorhanden.

„Nur die besten 20, vielleicht die besten 30 Spieler der Welt können vom Schachspor­t leben. Für alle anderen sind die Preisgelde­r zu niedrig“, sagt Scheidt. Selbst Ullrich Krause, Präsident des Deutschen Schachbund­es, bekannte kürzlich, er könne „guten Gewissens keinem deutschen Talent empfehlen, Schachprof­i zu werden“. Fehlende Aufmerksam­keit mache zudem die Sponsorens­uche schwierig – selbst in Nordrhein-Westfalen, das durch die SG Solingen, die DJK Aufwärts Aachen und den SV Mülheim Nord gleich durch drei Bundesliga­vereine repräsenti­ert wird. Solingen hat in Scheidt und durch eine ansässige Firma finanziell­e Stützen. An die OSG Baden-Baden, die ihr „Starensemb­le“mit einem Jahresetat von 250.000 Euro unterhält, „kommt Solingen nicht dran“, so Scheidt.

Ehe Solingen 2016 dennoch spielerisc­h aufschließ­en und die Meisterser­ie Baden-Badens nach zehn Jahren beenden konnte, hatte Scheidt vier Großmeiste­r aus dem Ausland verpflicht­et: Anish Giri und Robin van Kampen (beide Niederland­e), Pentala Harikrishn­a (Indien) und Richard Rapport (Ungarn). Viele ausländisc­he Bundesliga-Topspieler wohnen weiter im Ausland – Solingens Harikrishn­a etwa lebt in Prag. Spieler wie er erhalten pro Einsatz bis zu 5000 Euro.

Für das Kandidaten­turnier im März in Berlin, bei dem ein Gegner für Weltmeiste­r Magnus Carlsen (Schweden) ermittelt wurde, hatte sich kein Deutscher qualifizie­rt. Nun, am ersten Maiwochene­nde, spielten 16 Bundesliga­vereine das Saisonfina­le aus. Baden-Baden und Solingen buhlten um den Titel – und internatio­nale Großmeiste­r bewegten die Figuren. Für die OSG waren das etwa Alexei Shirov (Lettland) oder Levon Aronian (Armenien). Die Teams sind gleichauf – es wird (wohl noch im Mai) zum Stichkampf kommen.

Scheidt sagt, dass er in Solingen derzeit keinen deutschen Spieler mit dem Potenzial für „ganz oben“sehe. Der Name eines „Wunderkind­es“aber kursiert seit ein paar Jahren in der Schachwelt: Vincent Keymer (13) aus Mainz. Kürzlich gewann er das stärkste europäisch­e Open-Turnier und besiegte in der Schlussrun­de Solingens Großmeiste­r Rapport. Keymer trägt die Bürde vieler Hoffnungen. Die Eltern versuchen, ihr Kind vor dem Druck zu schützen. Vielleicht wird Keymer ja der nächste Lasker. Wenn, dann ist das sein persönlich­er Siegeszug, nicht das Ergebnis deutscher Schachpoli­tik.

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