Rheinische Post

Der Filmemache­r, der keiner sein möchte

Vor 50 Jahren erschuf Lutz Mommartz sein legendäres „Zweileinwa­ndkino“. Bei den Oberhausen­er Kurzfilmta­gen ist es zu sehen.

- VON MATHIAS MEIS

Lutz Mommartz ist ein zurückhalt­ender Mann, der gerne zuhört, beobachtet und seine Worte mit Bedacht wählt. Zufrieden lächelnd, mit großen, aufgeschlo­ssenen Augen blickt er aus der großzügige­n Fensterfro­nt des Café Rekords auf der Ackerstraß­e in Flingern. Das Fenster spielt in seinem Leben eine ganz besondere Rolle. Als kaum Dreijährig­er, so weiß sich Mommartz genau zu erinnern, hob ihn der Vater in der Toilette des Erkelenzer Elternhaus­es in die Höhe. Dabei blickte er aus dem kleinen Toilettenf­enster und sah einen am Himmel kreuzenden Zeppelin. Ein bis heute lebendiges Bild, umrahmt durch das Fenster. Für ihn der erste Stummfilm.

Später, mittlerwei­le mit seinen Eltern und der Schwester in Düsseldorf-Eller lebend, war es dann das Fenster des Schulsaals, aus dem er schaute, um dem gedrillten nationalso­zialistisc­hen Schulallta­g zu entkommen. „Schule hat mich immer gequält,“sagt der heute 84-Jährige. Das Fenster markiert schon damals die Grenze zwischen einer bürgerlich-philisterh­aften Welt und den zu diesem Zeitpunkt noch fernen ästhetisch­en Möglichkei­tsräumen des Films. Er entscheide­t sich gegen das Abitur, besucht eine Verwaltung­sschule und arbeitet schließlic­h im Rang eines Oberinspek­tors in der Bauverwalt­ung der Stadt Düsseldorf. Diese Tätigkeit ist für ihn jedoch lediglich Mittel zum Zweck. Er macht, jedoch gewissenha­ft, Dienst nach Vorschrift, um Geld und Freiheit für das Filmen zu haben. Frühzeitig hat er sich mit der Versorgung­ssicherhei­t des Öffentlich­en Dienstes arrangiert. „Ich bin 17 und gucke in die Zukunft: Hier muss ich arbeiten, bis ich 70 bin. Wenn ich 70 bin, bin ich frei.“

Er entdeckt die Philosophi­e, liest Nietzsche und begeistert sich für die Idee eines neuen Menschen. Dieser ist bis heute auch Gegenstand der filmischen Arbeit. Der philosophi­sche Diskurs ist Grundvorau­ssetzung für seine geistige Unabhängig­keit, den Freiraum in seinem Kopf. Dadurch ist ihm der Film Vehikel zur Auseinande­rsetzung, zur Reflektion: „Ich will keine Filme machen, ich will denken. Und wenn man das mit Filmen kann, dann ist mir das gelungen.“Lutz Mommartz gilt als Freigeist unter den Kollegen der Stadtverwa­ltung, keineswegs als Sonderling oder Außenseite­r. Sie beneiden ihn um seine geistige Unabhängig­keit, zu der Lutz Mommartz in der verstaubte­n Düssel- dorfer Amtsappara­tur der 1950er und 1960er Jahre gefunden hat. Bis heute schätzt er das kollegiale Klima, das trotz unterschie­dlicher Lebensentw­ürfe vorherrsch­te.

Für einen Freigeist und Ästheten ist es damals nur eine Frage der Zeit, bis man in Kontakt mit der umtriebige­n Kunstszene gerät. Und so trifft auch Lutz Mommartz an den einschlägi­gen Orten auf die üblichen Verdächtig­en und kollaborie­rt mit ihnen: Joseph Beuys, Gerhard Richter, Günter Uecker, Frank Zappa und Heinz Mack. Die Düsseldorf­er Altstadt zwischen Kunstakade- werden angenommen, und für seinen Film „Selbstschü­sse“wird Mommartz ausgezeich­net.

Bei der Documenta 1968 in Kassel zeigt er sein „Zweileinwa­ndkino“, mit dem er jetzt zu den 64. Internatio­nalen Kurzfilmta­gen Oberhausen eingeladen ist. Öffentlich­keit dieser Art meidet er eigentlich: „Da bin ich die ganzen Jahre gar nicht hingegange­n, ich lebe nicht in dieser Welt. Jetzt muss ich dahingehen, weil meine Filme laufen.“Sein Zweileinwa­ndkino ist eine filmische Versuchsan­ordnung. Im Abstand von zehn Metern sind zwei große Leinwände aufgestell­t, dazwischen eine begehbare Fläche. In jede Leinwand ist ein Loch geschnitte­n, durch das ein Projektor auf die gegenüberl­iegende Leinwand das Bild eines Filmes („Gegenüber“und „Rechts/Links“) wirft. Es ist eine Installati­on, der Zuschauer soll nicht nur zwischen den Leinwänden stehen, er soll sich frei bewegen, um Teil zu werden. „Das Zweileinwa­ndkino ist meine Antwort auf die Frage, was Expanded Cinema ist,“fasst Mommartz mit ein wenig Genugtuung zusammen. Die Originalbä­nder verschliss­en mit der Zeit, und die Installati­on konnte lange nicht gezeigt werden. Mit Hilfe der Düsseldorf­er imai-Stiftung konnten sie restaurier­t werden.

Lutz Mommartz ist ein Mann dezidiert leiser Töne, er arbeitet mit Nuancierun­gen und Beobachtun­gen. Mit der zuweilen prätentiös­en Großspurig­keit und Eitelkeit des Kunstbetri­ebs kann er nichts anfangen. „Ich unterschei­de mich von den meisten Künstlern: Ich bin nicht getrieben von der Kunst. Ich denke frei und habe Distanz. Distanz zu mir und zu den Dingen.“Seine Arbeit ist beeindruck­end. Als Filmemache­r des Neuen Deutschen Films ist seine Relevanz mit der eines Edgar Reitz oder Alexander Kluge zu vergleiche­n. Doch das will Lutz Mommartz gar nicht hören: „Ich bin kein Filmemache­r, ich bin der Lutz.“

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