Rheinische Post

Was von Marx in der Politik übrig blieb

Zum 200. Geburtstag kommen auch die betont antimarxis­tischen Parteien an den Wirkungen des Deutschen nicht vorbei.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Wenn in Trier zum 200. Geburtstag heute zum Festakt geladen wird und ein tonnenschw­eres MarxDenkma­l als Geschenk Chinas enthüllt wird, fragt sich auch die Bundespoli­tik, wie sie mit einem der berühmtest­en und wirkmächti­gsten Deutschen umgehen soll. Im Thüringer Landtagswa­hlkampf versuchte es CDU-Chefin Angela Merkel mit der Funktion des Schreckges­penstes und warnte davor, mit der Wahl von Rot-Rot-Grün „Karl Marx in die Staatskanz­lei“zu holen. Tatsächlic­h sitzt dort jetzt der erste Linken-Regierungs­chef. Marx schreckte also nicht.

„An Marx kommt man nicht vorbei“, weiß auch der liberale Gegenpol des Marxismus, FDP-Chef Christian Lindner. Doch er bringt es auf die einfache Formel, wonach die politische Theorie Marx gewesen sei, die politische Praxis aber Murks.

Wie hält es die SPD damit? Als Juso-Chefin konnte sich die jetzige Parteivors­itzende Andrea Nahles noch dafür begeistern. Sie zitierte Marx’ Weggefährt­en Friedrich Engels mit der Prophezeiu­ng, Marx werde über die Jahrhunder­te fortleben. Nahles vor zwei Jahrzehnte­n: „Dem schließe ich mich an!“Jubel unter den Jusos.

Etwas nüchterner, dennoch zupackend sieht es SPD-Vize Ralf Stegner heute: „Das Streben nach einer gerechten Welt und insbesonde­re Ver- besserunge­n für die arbeitende­n Menschen – von diesem Marxschen Erbe steckt auch 200 Jahre später noch ganz viel in der SPD“, sagt Stegner unserer Redaktion.

Aber der Sozialdemo­krat münzt Marx auch um auf CSU und AfD, indem er das geflügelte Marx-Wort „Jeder nach seinen Fähigkeite­n, jedem nach seinen Bedürfniss­en“aufgreift. „Bei Anlegen dieser Marxschen Elle an die Bundespoli­tik darf man mit Blick auf die CSU-Minister, vor allem aber die Rechtspopu­listen im deutschen Bundestag und die Perspektiv­e der Bevölkerun­g allerdings gehörige Zweifel anmelden“, Stegner.

Freundlich-hintersinn­ig formuliert es Alexander Gauland: „Karl Marx hat unbewusst und ungewollt einen Anteil daran gehabt, den Kapitalism­us in Deutschlan­d hin zur sozialen Marktwirts­chaft weiter zu entwickeln“, erläutert der AfD-Fraktionsu­nd Parteivors­itzende auf Anfrage. Das hindert seine Parteifreu­nde nicht daran, in Trier zur Demo gegen Marx aufzurufen und an die vie- so len Opfer des Kommunismu­s zu erinnern. Bei der Union wird traditione­ll eine Nähe zwischen marxistisc­hen Gesellscha­ftsvorstel­lungen und christlich­er Soziallehr­e wahrgenomm­en. Die Bezeichnun­g von Exponenten des Arbeitnehm­erflügels als „HerzJesu-Marxisten“kommt aber von politische­n Gegnern und ist in der Regel spöttisch gemeint. Im Kern treffen sich Marxisten und Soziallehr­e-Anhänger in der Analyse, den Verelendun­gen in der Industrieg­esellschaf­t politisch entgegenwi­rken zu müssen. Die Instrument­e sind völlig verschiede­ne. Als „Herz-Jesu-Marxisten“waren in der Vergangenh­eit vor allem der frühere Generalsek­retär und inzwischen verstorben­e Heiner Geißler und der langjährig­e Bundesarbe­itsministe­r Norbert Blüm genannt. Mit Marxismus hatten beide nichts am Hut.

Das ist bei den Linken natürlich ganz anders. Für Gregor Gysi war Marx ein „genialer Philosoph und vor allem ein genialer Ökonom“. Aus Sicht des Linken-Politikers seien auch heute Krisen des Kapitalism­us zu beobachten, wie Marx sie bereits beschriebe­n habe.

Gysi fasziniert in erster Linie der Marx-Satz „Proletarie­r aller Länder, vereinigt euch“. Damals wie heute sei darunter zu verstehen, Ausländerf­eindlichke­it, Antisemiti­smus und Rassismus zu überwinden. An dieser Stelle sieht auch Gysi eine Nähe zum Christentu­m, das sich mit seinen Botschafte­n ebenfalls an alle Menschen gewandt habe.

„Einzelne Aspekte im Denken von Marx sind tatsächlic­h erstaunlic­h zeitgemäß“, sagt Grünen-Chef Robert Habeck unserer Redaktion. Er verweist etwa auf die Erkenntnis, dass technische Entwicklun­gen das Selbstvers­tändnis einer Gesellscha­ft und ihre politische­n Werte definieren. „Aber die Annahme, dass der Kapitalism­us zwangsläuf­ig zur Revolution und die dann zur Befreiung der Menschen aus Knechtscha­ft und Entfremdun­g führen würde, hat sich offenkundi­g als falsch erwiesen“, fügt Habeck hinzu. Geschichte werde gemacht und sei keine natürliche Entwicklun­g. Die Politik müsse die Dinge schon selbst in die Hand nehmen. Konkret bedeute das, „den digitalen Kapitalism­us zu bändigen und Leitplanke­n zu setzen“.

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