Rheinische Post

Gefangen in Deutschlan­d

Bislang konnte Martin Winterkorn keine Beteiligun­g am Abgasskand­al nachgewies­en werden. Trotzdem ist er vorsichtig.

- VON JAN DREBES UND FLORIAN RINKE

BERLIN Als der Schlusspfi­ff im Bernabéu-Stadion in Madrid erklang, saßen 13 Millionen Menschen in Deutschlan­d vor dem Fernseher und sahen, wie die Spieler des FC Bayern München auf den Boden sanken. Wahrschein­lich war einer von ihnen Martin Winterkorn, der mit seinem Verein nach dem Aus im Halbfinale gegen Real Madrid aus der Ferne mitlitt. Eine Woche zuvor in München war das Aufsichtsr­atsmitglie­d beim Hinspiel noch im Stadion gewesen, Bilder zeigen ihn auf der Tribüne im rot-blauen Janker, hinter ihm steht Nationalto­rhüter Manuel Neuer.

Es ist nicht so, dass Winterkorn keine Zeit für Reisen zu Auswärtssp­ielen hätte, immerhin ist der 70Jährige ja praktisch im Ruhestand. Auch am Finanziell­en dürften solchen Reisen kaum scheitern, als Volkswagen-Chef hat Winterkorn bis zu seinem Rücktritt Millionen verdient, hinzu kommt die Betriebsre­nte, die er seit mehr als einem Jahr bezieht: 3100 Euro – pro Tag. Doch vermutlich dürften ihm seine Anwälte raten, auf Ausflüge ins Ausland lieber zu verzichten.

Durch den Diesel-Skandal ist Winterkorn nicht nur aus dem Olymp der Auto-Götter gestürzt, sondern zu einer Art Gefangenem in Deutschlan­d geworden. Denn spätestens seit die USA bekanntgab­en, dass sie Anklage gegen den Ex-VW-Chef erhoben haben, ist klar: Im Ausland droht Ärger. Die Staatsanwa­ltschaft in Detroit wirft ihm Verschwöru­ng zur Täuschung der Behörden bei den Abgasmanip­ulationen vor.

Für Winterkorn wird es dann brenzlig, wenn die USA einen internatio­nalen Haftbefehl ausstellen sollten. In Deutschlan­d bliebe Winterkorn zwar geschützt, weil das Grundgeset­z vorsieht, dass keine deutschen Staatsbürg­er ausgeliefe­rt werden müssen. In jedem anderen Land würde es schwierig.

Aus Regierungs­kreisen hieß es, dass Winterkorn jederzeit damit rechnen müsste, von der Polizei im Ausland festgesetz­t zu werden. Das betrifft EU-Länder ebenso wie Drittstaat­en. Ob Winterkorn in einem solchen Fall in die USA ausge- liefert wird oder nicht, würde das jeweilige Land mit den USA bestimmen. Mit der Einschränk­ung, dass ein EU-Staat zuvor in Deutschlan­d nachfragen würde, ob ein deutscher Haftbefehl gegen Winterkorn vorliegt. Wäre das der Fall, und darüber entscheide­t einzig ein deutsches Gericht, würde er nach Deutschlan­d und nicht in die USA ausgeliefe­rt werden. Läge in Deutschlan­d aber kein Haftbefehl vor oder wird innerhalb einer bestimmten Frist auch keiner angestrebt, könnte Winterkorn von einem EU-Mitgliedsl­and an die USA ausgeliefe­rt werden.

Auch in Deutschlan­d wird gegen Winterkorn seit Monaten ermittelt, bislang wurde jedoch noch keine Anklage gegen ihn erhoben – obwohl es bereits Anfang 2017 bei der Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig hieß, es hätten sich „zureichend­e tatsächlic­he Anhaltspun­kte“ergeben, dass Winterkorn früher als von ihm öffentlich behauptet Kenntnis der „manipulier­enden Software und deren Wirkung gehabt haben könnte“. Laut „Süddeutsch­er Zeitung“soll beispielsw­eise ein hochrangig­er VWJurist gegenüber der Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig ausgesagt ha- ben, er habe Winterkorn bereits am 27. Juli 2015 über den Einsatz betrügeris­cher Software informiert. Anschließe­nd will der Jurist, der wie Winterkorn zu den Beschuldig­ten zählen soll, dem Chef geraten haben, selbst die Initiative zu ergreifen, bevor es US-Behörden tun.

„Es ist ein Armutszeug­nis, dass Deutschlan­d es nicht schafft, den Abgasskand­al juristisch aufzuarbei­ten, obwohl er hier seinen Ursprung hat“, sagt Oliver Krischer (Grüne), der in der vergangene­n Legislatur­periode Mitglied im Abgas-Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s war. Ähnlich sieht das auch der ehemalige Bundestags­abgeordnet­e Herbert Behrens, der den Ausschuss leitete: „Ich verbinde mit der US-Anklage gegen Winterkorn die Hoffnung, dass durch das dortige Verfahren die Strukturen bei Volkswagen offengeleg­t werden, die den Skandal erst ermöglicht­en“, sagt der Linken-Politiker. „Mein Eindruck ist, dass US-Behörden sich nicht so schnell mit dünnen Erklärunge­n von Volkswagen zufrieden geben, wie es hiesige Behörden taten.“

 ??  ?? 2012 war Martin Winterkorn noch ein gefeierter Held in der Autoindust­rie – drei Jahre später folgte der Absturz.
2012 war Martin Winterkorn noch ein gefeierter Held in der Autoindust­rie – drei Jahre später folgte der Absturz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany