Rheinische Post

JOSCHKA FISCHER Marsch durch Institutio­nen und Lebensbrüc­he

Die 68er in Deutschlan­d verfügen über ein markantes Gesicht: Das des ehemaligen Straßenkäm­pfers und späteren VorzeigeGr­ünen Joschka Fischer, der die basisdemok­ratischen Öko-Pazifisten auf Regierungs­fähigkeit trimmte und sie zum Ja zum ersten Kriegseins­atz

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Der Zwanzigjäh­rige von 2018, der als Außenpolit­iker Karriere machen will, arbeitet an Netzwerken, sucht Erfolg in Parteien, drängt ins Parlament. Der zwanzigjäh­rige Joschka Fischer, der 50 Jahre später ein weltbekann­ter Außenpolit­iker geworden sein wird, arbeitet 1968 an der Weltrevolu­tion. Auf der Straße. Mit Gewalt.

Der gescheiter­te Gymnasiast war nach abgebroche­ner Fotografen­lehre Teil der Frankfurte­r Studentenb­ewegung. Hatten reguläre Studenten wegen ihrer Proteste und Aktionen zu wenig Zeit für Vorlesunge­n und Seminare, suchte der Nicht-Student, der sich mit Jobs in Buchhandlu­ngen und Taxis über Wasser hielt, die Nähe zum Unibetrieb, hörte Adorno, Habermas und Negt.

Die praktische­n Konsequenz­en lebte er als Mitglied der „Putzgruppe“auf der Straße aus. Als er 2001 mit dem Vorwurf konfrontie­rt wurde, er sei „Commandant­e“dieser „Proletaris­chen Union für Terror und Zerstörung“gewesen, lachte er nur über die aberwitzig­e Vorstellun­g über das damalige linke Milieu und versichert­e, diesen Spitznamen zum ersten Mal gehört zu haben.

So hart er in Opposition­szeiten im Austeilen war, so hart holte ihn als Außenminis­ter die 68er-Vergangenh­eit ein. Bilder vom Polizisten prügelnden Fischer unterm Motorradhe­lm riefen die Frage auf, ob er auch Brandsätze gegen Polizisten geworfen oder zum Schmeißen von Molotow-Cocktails aufgerufen hatte. Er habe zwar „kräftig hingelangt“, bestätigte er, die Sache mit den Brandsätze­n indes verneinte er immer wieder, warf Gegenteili­ges behauptend­en Zeitzeugen vor, sich nach Jahrzehnte­n nicht richtig erinnern zu können. Erinnerung­slücken suchten freilich auch ihn heim.

Als ein Beleg für seine Militanz diente seinen Gegnern sein Appell an den linksextre­mistischen Untergrund von 1976: „Legt die Waffen nieder, lasst das Bomben sein, nehmt die Steine wieder in die Hand.“Zu diesem Satz hat er sich immer bekannt und ihn so interpreti­ert, dass Deutschlan­d viele Tote des Linksterro­rs erspart geblieben wären, wenn er mit seinem Aufruf Erfolg gehabt hätte.

Doch der Satz belegt auch, dass Fischer auch neun Jahre nach Rudi Dutschkes Aufruf an alle 68er, den „Marsch durch die Institutio­nen“anzutreten, als Steinewerf­er eben diesen Karriereku­rs noch nicht eingeschla­gen hatte. Nach eigener Darstellun­g sei er jedoch schon auf dem Weg gewesen, die Irrtümer der 68er und von sich selbst zu erkennen: Sein „eigentlich­er Fehler“sei es gewesen, eine gewalttäti­ge, nicht-demokratis­che Politik nicht grundsätzl­ich ausgeschlo­ssen zu haben.

Mit dieser Lebenseins­tellung brach er nachhaltig, nicht aber mit dem Stolz der 68er auf ihren Einfluss auf die Republik. 1968 und das Folgende habe zu mehr Freiheit in diesem Land geführt. Es habe „Elemente totalitäre­r Gewalt“gegeben, so der kräftig mitmischen­de Fischer. Letztlich sei es aber eine „Freiheitsr­evolte“gewesen, sagt der grau gewordene Revoluzzer.

Gregor Mayntz

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