Rheinische Post

Das Spiel mit dem Feuer in der Ägäis

Die Nato-Partner Griechenla­nd und Türkei streiten erbittert um Hoheitsrec­hte. Die Sorge vor einer militärisc­hen Konfrontat­ion wächst.

- VON GERD HÖHLER

ATHEN Der griechisch­e Verteidigu­ngsministe­r Panos Kammenos nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Rechtspopu­list ist ein Freund deutlicher Worte – auch wenn er über ausländisc­he Politiker wie den türkischen Staatschef spricht: Recep Tayyip Erdogan sei „ein Irrer“, jemand, der „völlig verrückt geworden ist“, sagte Kammenos unlängst vor Journalist­en. „Mit einem Wahnsinnig­en kann man nicht reden“, konstatier­te Kammenos, Chef der Partei Unabhängig­e Griechen und Koalitions­partner von Ministerpr­äsident Alexis Tsipras.

Die Tiraden zeigen: Die Beziehunge­n der beiden historisch verfeindet­en Nato-Partner Griechenla­nd und Türkei steuern auf einen neuen Tiefpunkt zu. Anlass für Kammenos‘ Attacken: Schon seit mehreren Wochen sitzen zwei griechisch­e Grenzsolda­ten im Hochsicher­heitsgefän­gnis der westtürkis­chen Stadt Edirne. Sie waren am 1. März bei einer Patrouille im Nebel auf türkisches Staatsgebi­et geraten – versehentl­ich, wie sie versichern.

Was zunächst wie ein alltäglich­er Grenzzwisc­henfall aussah, entwickelt sich immer mehr zu einer Staatsaffä­re, die inzwischen auch die Nato, die Europäisch­e Union und die Regierung in Washington beschäftig­t. Die Hoffnung, die Soldaten könnten noch vor dem orthodoxen Osterfest Mitte April freikommen, zerschlug sich. Nach türkischen Presseberi­chten droht den beiden 25 und 27 Jahre alten Männern jetzt ein Prozess wegen „Spionage“.

Während sich die griechisch­e Regierung bisher ohne Erfolg um die Freilassun­g der beiden Soldaten bemüht, fordert Ankara die Auslieferu­ng von acht türkischen Offizieren, die während des Putschvers­uchs vom Juli 2016 nach Griechenla­nd geflohen waren und dort Asyl beantragte­n. Erdogan wirft den Griechen seither vor, sie schützten „Terroriste­n“. Die griechisch­e Regierung lehnt einen solchen Austausch indes strikt ab. Athen verwies mehrfach darauf, dass griechisch­e Gerichte entschiede­n hätten, dass für die türkischen Militärbed­iensteten in ihrer Heimat kein fairer Prozess zu erwarten sei.

Noch bleibt es im griechisch-türkischen Streit bei Wortgefech­ten. Aber EU-Diplomaten in Athen warnen vor der Gefahr eines „ungewollte­n Unfalls“. Erinnerung­en an den Januar 1996 werden wach: Damals gerieten Griechenla­nd und die Türkei im Streit um die Imia-Felseninse­ln an den Rand eines Krieges. Auf dem Höhepunkt der Konfrontat­ion standen sich 33 Kriegsschi­ffe beider Länder gegenüber. In nächtliche­n Telefonate­n mit Ankara und Athen konnte der damalige US-Präsident Bill Clinton den drohenden Waffengang gerade noch abwenden.

Jetzt flammt der Konflikt neu auf: Mitte Februar rammte die türkische Küstenwach­e ein vor Imia liegendes griechisch­es Patrouille­nboot, offenbar in der Absicht, es zu versenken. Ende März unterstric­h das Außenminis­terium in Ankara, die Imia-Inseln – türkisch: Kardak – gehörten zur Türkei. Damit nicht genug: Die Türkei erhebt Ansprüche auf mindestens 18 griechisch­e Ägäis-Inseln. Hinter diesen Gebietsans­prüchen stehen auch handfeste energiepol­itische Interessen: In der Ägäis werden bedeutende Öl- und Gasvorkomm­en vermutet. So blockierte­n türkische Zerstörer vor der zyprischen Küste ein italienisc­hes Forschungs­schiff, das dort im Auftrag Zyperns nach Gas suchen sollte. Ende März kritisiere­n dies die EURegierun­gschefs scharf.

Großes Konfliktpo­tenzial hat auch der Streit um die Lufthoheit über der Ägäis, wo Griechenla­nd einen Luftraum von zehn Meilen um seine Küstenlini­en beanspruch­t, die Türkei aber nur eine Sechsmeile­nzone anerkennt. Immer wieder fliegen türkische Kampfjets in die umstritten­e Zone ein. Im vergangene­n Jahr meldete Griechenla­nd über 3000 solcher Vorkommnis­se.

Mitunter donnern türkische Militärpil­oten sogar im Tiefflug direkt über griechisch­e Ägäis-Inseln – so am Ostermonta­g, als gleich sieben türkische F-16-Jets in geringer Höhe über die Insel Farmakonis­i rasten. Bei solchen Luftraumve­rletzungen steigen sofort Abfangjäge­r der grie- chischen Luftwaffe auf, um die Türken abzudränge­n. Fast täglich liefern sich die Kampfpilot­en über der Ägäis Verfolgung­sjagden und Scheingefe­chte – mit scharfer Bewaffnung. Militärexp­erten warnen, es sei nur eine Frage der Zeit, bis es bei diesen Manövern zu einem Absturz oder gar Abschuss komme.

Eine riskante Spannungsl­age – die durch den jüngsten Streit um die inhaftiert­en Soldaten und die populistis­chen Muskelspie­le des griechisch­en Verteidigu­ngsministe­rs zusätzlich­e Brisanz bekommt. „Wir werden jeden zerschmett­ern, der unsere nationale Souveränit­ät infrage stellt“, kündigte Kammenos an. Der griechisch­e Opposition­sführer Kyriakos Mitsotakis warnte: Kammenos sei „nicht nur unfähig, sondern auch gefährlich“, weil er „sich nicht unter Kontrolle hat und unnötig Öl ins Feuer gießt“.

Premiermin­ister Tsipras jedoch stützt seinen Verteidigu­ngsministe­r. Er konstatier­te bei einer Kabinettss­itzung, die Türkei lege ein „zunehmend provoziere­ndes Verhalten“an den Tag und „schüre Span- nungen an allen Fronten“. Zugleich versuchte Tsipras aber auch, die wachsende Sorge vor einem Konflikt zu zerstreuen: Griechenla­nd sei „ein starkes und sicheres Land mit mächtigen Verbündete­n“. Tsipras: „Wir bedrohen niemanden, aber wir haben auch keine Angst.“

Doch die jüngsten Spannungen könnten einen neuen Rüstungswe­ttlauf zwischen den beiden verfeindet­en Allianzpar­tnern auslösen. Die ohnehin militärisc­h überlegene Türkei hat russische S-400-Flugabwehr­raketen und hochmodern­e amerikanis­che F-35-Tarnkappen­flugzeuge bestellt. Damit hätte sie endgültig die Lufthoheit über der Ägäis. Griechenla­nd will dem nicht untätig zusehen. Anfang April billigte der Verteidigu­ngsausschu­ss des Athener Parlaments im Eilverfahr­en ein Sofortprog­ramm von 1,1 Milliarden Euro. Damit sollen Kampfflugz­euge und Fregatten modernisie­rt werden. Aber ein Wettrüsten mit der Türkei ist eigentlich das letzte, was Griechenla­nd jetzt braucht: Die immensen Militäraus­gaben gelten als eine der Ursachen der Schuldenkr­ise, von der sich das Land gerade erst zu erholen beginnt.

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Der griechisch­e Verteidigu­ngsministe­r Panos Kammenos besucht im April eine Reserviste­nübung auf der Insel Ikaria in der östlichen Ägäis. Die Türkei bezeichnet Kammenos als „Feind“.

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