Rheinische Post

Brüchiger Friede in Nordirland

Das „Karfreitag­sabkommen“stoppte vor 20 Jahren das Morden. Doch nun könnte der Brexit neuen Zwist sähen.

- VON JOACHIM WITMANN

BELFAST George Mitchell wollte nach Hause. Lange genug, immerhin zwei Jahre lang, hatte der amerikanis­che Senator die Friedensve­rhandlunge­n in Nordirland geleitet, jetzt wollte er Ostern mit seiner Familie in den USA verbringen. Mitchell legte als Datum für die Unterzeich­nung den 10. April 1998 fest. Und so kam es, dass der britische Premiermin­ister Tony Blair und sein irischer Amtskolleg­e Bertie Ahern vor 20 Jahren einen historisch­en Friedensve­rtrag unterschri­eben, der seitdem als das Karfreitag­sabkommen bekannt wurde.

Das Abkommen beendete den nordirisch­en Bürgerkrie­g, der fast 30 Jahre gewütet und mehr als 3600 Menschenle­ben gekostet hatte, von den zigtausend Verletzten ganz zu schweigen. Der Bürgerkrie­g entbrannte, weil die katholisch­e Minderheit in Nordirland in den 60er Jahren auf die Straße ging, um die gleichen Rechte einzuklage­n, wie sie die Protestant­en hatten. Als die britische Armee 1969 am Blutsonn- tag von Londonderr­y ein Massaker unter protestier­enden katholisch­en Zivilisten anrichtete, führte das zur Wiederbele­bung der Untergrund­organisati­on IRA. Ein Zyklus von Morden und Vergeltung­smaßnahmen zwischen der IRA und protestant­isch-loyalistis­chen Terror-Organisati­onen begann.

Erst der Labour-Regierung unter Tony Blair gelang es, den Teufelskre­is zu durchbrech­en. Das Karfreitag­sabkommen enthält zwei zentrale Grundsätze, die die verfeindet­en Bevölkerun­gsgruppen befrieden konnten. Die britische Regierung erklärte, kein strategisc­hes Interesse an der Provinz zu haben und eine eventuelle Vereinigun­g von Nordirland mit der Republik Irland zuzulassen, sollte dies eine Mehrheit in Ulster wollen. Zugleich sollte Nordirland eine eigenständ­ige Regionalre­gierung bekommen, die nach dem Prinzip der Machtteilu­ng gebildet wird: Die jeweils stärksten Parteien im Regionalpa­rlament auf katholisch­er wie protestant­ischer Seite stellen zusammen die Exekutive. Die Dominanz einer einzigen Bevölkerun­gsgruppe konnte es nicht mehr geben. Nur im Miteinande­r war die politische Autonomie zu haben.

Das Abkommen führte nicht über Nacht zum einem Ausbruch des Friedens. Zwar sprachen sich einen Monat nach Unterzeich­nung in einem Referendum 71 Prozent der Nordiren für dessen Umsetzung aus. Aber zu Gewalttate­n, auf beiden Seiten, kam es immer noch. Zum Glück eskalierte­n sie nicht mehr, weil der Terror keine Unterstütz­ung in der Bevölkerun­g fand. Auch die Machtteilu­ng funktionie­rte erst einmal schlecht. Erst als die IRA ihre Waffenarse­nale 2005 endgültig zerstören ließ, kam es ein Jahr später zu der Doppelspit­ze von Ministerpr­äsident Ian Paisley von der protestant­ischen DUP und Stellvertr­eter Martin McGuinness von der katholisch­en Sinn Fein. Die beiden ehemaligen Erzfeinde verstanden sich so gut und wurden so oft miteinande­r lachend fotografie­rt, dass sie den Spitznamen „Kicherbrüd­er“erhielten.

Noch immer sind Sinn Fein und DUP die jeweils stärksten Parteien in Nordirland, aber die machtteile­nde Regierung ist seit mehr als einem Jahr suspendier­t, weil die DUP kein Gesetz zum Schutz der irischen Sprache erlauben will, was Sinn Fein verlangt. Innerhalb der Bevölkerun­g dauert die Spaltung weiter an. Eine aktuelle Umfrage fand heraus, dass 51 Prozent der Nordiren keinen oder kaum einen Freund haben, der nicht die gleiche Religion hat. Das Schulsyste­m spiegelt die Apartheid wieder. Gut 93 Prozent aller Schulkinde­r besuchen konfession­ell ausgericht­ete Schulen. Es gibt insgesamt nur 65 integriert­e Schulen im Land, in den protestant­ische und katholisch­e Schüler zusammen unterricht­et werden. Und in Belfast sind die sogenannte­n „peace lines“, die zehn Meter hohen Stahlzäune, die die Bevölkerun­gsteile voneinande­r absperren, nicht verschwund­en. Stattdesse­n sind es noch mehr geworden.

Aber immerhin, und das ist das große Verdienst des Karfreitag­sabkommens, ist der Terror nicht zurückgeke­hrt. Ob das so bleiben wird, wollen nicht alle glauben. Sollte es im Zuge des Brexit wieder zu einer harten Grenze zwischen der Provinz und der Republik Irland kommen, dann werden, so warnte Nordirland­s Polizeiche­f George Hamilton, auch wieder Anschläge auf Grenzeinri­chtungen ausgeführt und seine Polizisten zu Zielscheib­en. Trotz des Karfreitag­sabkommens ist der Frieden brüchig in Nordirland.

 ??  ?? Ex-Präsident Bill Clinton (li.) und der ehemalige US-Senator George Mitchell werden für ihren Beitrag zum Friedensab­kommen von 1998 geehrt.
Ex-Präsident Bill Clinton (li.) und der ehemalige US-Senator George Mitchell werden für ihren Beitrag zum Friedensab­kommen von 1998 geehrt.

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