Rheinische Post

Festnahmen und Gewalt vor Putins Vereidigun­g

- VON MATTHIAS BEERMANN US-Senator und ehemaliger Präsidents­chaftskand­idat

MOSKAU (RP) Kurz vor der erneuten Vereidigun­g des russischen Präsidente­n Wladimir Putin sind der Regierungs­kritiker Alexej Nawalny und Hunderte Demonstran­ten festgenomm­en worden. Nawalny hatte seine Anhänger am Samstag zu landesweit­en Protesten gegen Präsident Wladimir Putin aufgerufen, der heute offiziell seine vierte Amtszeit beginnen soll. Mehrere Tausend Menschen gingen auf die Straße. Das Bürgerrech­tsportal OVD-Info berichtete von etwa 1600 Festnahmen, davon gut 700 in Moskau. Die Polizei sprach offiziell von 300 Festnahmen in der Hauptstadt und etwa 200 in St. Petersburg. Nicht nur die Polizei ging brutal vor. In Moskau prügelten auch Männer in Kosakenuni­form auf die Demonstran­ten ein. In den Moskauer Polizeista­tionen herrschten chaotische Zustände. Nawalny wurde am Wochenende wieder freigelass­en. Ihm werde vorgeworfe­n, ein unerlaubte­s Treffen organisier­t und sich der Polizei widersetzt zu haben, erklärte der 41Jährige. Ihm droht ein Monat Haft.

Putin war bei den Wahlen im März mit einer Mehrheit von 77 Prozent für sechs Jahre im Präsidente­namt bestätigt worden.

DÜSSELDORF Es ist schon merkwürdig, dass ausgerechn­et Angela Merkel, die Politikeri­n aus dem Osten, Russland lange Zeit keine übermäßig große Aufmerksam­keit gewidmet hat. Das änderte sich erst 2014 mit Wladimir Putins Annexion der Krim. Merkel musste hastig eine neue Russland-Politik organisier­en, und diese hatte nur ein Ziel: Eindämmung, Schadensbe­grenzung. Es war Merkel, die alle 28 EU-Mitglieder auf eine Linie einschwor und Sanktionen gegen Moskau durchsetzt­e. Es war Merkel, die gemeinsam mit Frankreich­s Präsident François Hollande das Minsker Abkommen verhandelt­e, das den Krieg in der Ost-Ukraine zwar nicht beendete, aber wenigstens einfror. Danach gab es weitere Sanktionsr­unden, Russland wurde aus dem G 8-Club ausgeschlo­ssen, die Nato schickte ein symbolisch­es Truppenkon­tingent in die baltischen Staaten, und erstmals seit dem Fall der Mauer wachsen auch in Westeuropa die Verteidigu­ngsetats wieder.

Doch all dies, wie unlängst auch die Massenausw­eisungen russischer Diplomaten nach dem Fall Skripal, sind vor allem Reaktionen, es ist noch keine durchdacht­e Strategie des Westens im Umgang mit Russland. Wie die aussehen könnte, hängt auch stark von Deutschlan­d ab. Im Bundestag machen sich vor allem Abgeordnet­e von AfD und Linken, aber vereinzelt auch von SPD, Union und FDP für eine „Normalisie­rung“des Verhältnis­ses zu Russland stark. Ihre Argumente: Die Sanktionen bringen nichts und schaden nur der deutschen Wirtschaft, die Konfrontat­ion mit Russland ist gefährlich und überhaupt: Schwamm drüber! Der russische Einmarsch in die Krim wird zur Petitesse. Und auch an der russischen Aggression in der Ost-Ukraine, wo weiter beinahe täglich Menschen sterben, will man sich nicht länger stören.

Soll man Putin, der heute für seine vierte Amtszeit vereidigt wird, um jeden Preis entgegenko­mmen, in der Hoffnung darauf, dass der Mann im Kreml dann wieder nett zu uns ist? Die Debatte darüber wühlt derzeit besonders die SPD auf. Das liegt vor allem daran, dass der aus ihren Reihen stammende neue Außenminis­ter Heiko Maas sich von den betont konziliant­en Tönen seiner sozialdemo­kratischen Vorgänger Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel gegenüber Russland erst einmal verabschie­det hat. Das löst bei einigen Parteifreu­nden aus Ostdeutsch­land, die Russland gerne durch die rosarote Brille sehen, allergisch­e Reaktionen aus. Aber auch Sozialdemo­kraten aus dem Westen murren und fordern, die SPD müsse wieder zur „Friedenspa­rtei“werden.

Es sind diese nostalgisc­hen Anklänge an die Ostpolitik von Egon Bahr und Willy Brandt, die die Sehnsucht eines Teils der Partei nach einer neuen Entspannun­gspolitik schüren. Und solche Forderunge­n werden umso populärer, je unberechen­barer US-Präsident Donald Trump agiert. In Wirklichke­it aber verwechsel­n viele Sozialdemo­kraten Entspannun­gspolitik mit Appeasemen­t.

Ein großes Missverstä­ndnis: Die politische Erfolgsfor­mel aus den 70ern hieß schließlic­h „Wandel durch Annäherung“. Doch Putins Apologeten geht es überhaupt nicht um Wandel in Russland. Sie haben sich damit arrangiert, dass sich Putin nicht mehr an jene Regeln halten will, die seit Jahrzehnte­n die Sicherheit in Europa garantiert haben, dass er souveräne Nachbarlän­der wie Vasallenst­aaten behandelt und dass er Russland autoritär regiert. Da wird der Dialog zum Selbstzwec­k und verrät obendrein die eigenen Werte.

Wie also soll man umgehen mit Russland? Putin hat bewiesen, dass er mit geringem Aufwand maximalen Effekt erzielen kann – politisch wie militärisc­h. Aber er handelt aus einer Position der Schwäche. Man muss nicht so weit gehen wie der frühere amerikanis­che Präsidents­chaftskand­idat John McCain, der Russland einst als „Tank- John McCain

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