Die Gefahr lauert im Boden
2017 gab es allein in den Regierungsbezirken Düsseldorf und Köln 111 Bombenfunde. Jede Entschärfung birgt ein Risiko. Besonders wenn ein Blindgänger mit einem Langzeitzünder ausgerüstet ist. Dann wird gesprengt.
VIERSEN Von seinem Büro im Kindermodengeschäft „Kinderstube“aus blickt Inhaber Peter Vonwirth direkt auf den Parkplatz, auf dem seine Kunden parken dürfen. Nichts erinnert dort an der Gartenstraße in Viersen noch an den September vor sechs Jahren, als Tausende Schaulustige aus ganz Deutschland gekommen waren, um den gewaltigen Trichter zu sehen, der damals nach einer missglückten Bombensprengung entstanden ist. Die Rückwand des Kindermodengeschäfts ist bei der Explosion zerstört worden. Ebenso andere angrenzende Gebäude. nicht entschärft werden. Auf dem Gebiet der Bezirksregierung Köln gab es 2017 41 Funde ab 50 Kilogramm (im Vergleich 2016: 54), davon waren 16 (2016: 11) ohne Zünder. Demnach gab es zusammengerechnet im vergangenen Jahr mindestens 111 Bombenfunde in NRW. Die Bezirksregierung Arnsberg will die Zahlen noch nicht bekanntgeben. „Das Innenministerium möchte die Angaben selbst veröffentlichen. Deshalb halten wir sie zurück“, sagte ein Sprecher.
Jede Entschärfung birgt ein Risiko. Zunächst muss bei jedem Fund ein Experte bewerten, ob der Zustand des Blindgängers und des Zünders einen Transport zulassen. Oder ob er entschärft werden muss. Oder gesprengt – wie damals in Viersen. Die Blindgänger verfügen in der Regel entweder über einen Aufschlag- oder einen Langzeitzünder. „Letztere werden von uns aufgrund der Unberechenbarkeit meist nicht entschärft, sondern direkt nach dem Fund gesprengt“, erklärt eine Sprecherin der Aufsichtsbehörde.
Die Langzeitzünder verfügen über einen besonders empfindlichen Zündmechanismus. Dabei tritt ein Lösungsmittel aus einer Glasampulle aus und löst eine Kunststoffscheibe auf, die einen vorgespannten Schlagbolzen zurückhält. „Ein gefahrloses Entfernen des Zünders ist nicht möglich“, erklärte die Sprecherin. Von alleine detonieren die Sprengkörper äußerst selten. „Verbleiben Blindgänger unentdeckt und unbewegt im Erdreich, ist damit eigentlich nicht zu rechnen“, so die Sprecherin.
Trotz der Risiken kommt es nur sehr selten zu tödlichen Unfällen; den letzten gab es in NRW 1965 bei einer Entschärfung. Vor vier Jahren ist jedoch ein Baggerfahrer in Euskirchen durch die Detonation einer Luftmine ums Leben gekommen, 13 weitere Menschen sind verletzt worden. Der Blindgänger ist damals beim Recycling von Bauschutt explodiert. Die meisten Unfälle ereignen sich beim Auffinden von Brandmunition. Dabei gibt es fast jedes Jahr Unfälle, bei denen Personen durch das Einatmen von Phos- phordämpfen und Brandgasen verletzt werden.
Beim Aufspüren von Bomben spielt die Auswertung von Luftbildern der Alliierten eine wichtige Rolle. Den Kampfmittelräumdiensten in NRW stehen inzwischen rund 330.000 dieser Bilder zur Verfügung, die früher in US-amerikanischen und britischen Archiven gelagert waren. Die Bilder zeigen, wo damals schwerpunktmäßig Bomben abgeworfen wurden. Auf sie greifen die Behörden und von ihnen beauftragte Privatunternehmen zurück, wenn bei Neubaumaßnahmen präventiv nach im Boden schlummernden Bomben gefragt wird. Das ist in NRW etwa 20.000 Mal pro Jahr der Fall.
In Viersen ist die Bombe damals bei Bauarbeiten für einen Anbau des Kindermodengeschäfts gefunden worden. Peter Vonwirth sagt mit viel Abstand heute augenzwinkernd: „Die von der Bombe weggesprengte Wand hätte eh weggemusst für die Vergrößerung des Geschäfts. Darum war es eigentlich gar nicht so schlimm.“