Beste Freunde aus dem Internet
Was für Kinder und Jugendliche meist selbstverständlich ist, ist für Erwachsene oft schwierig: Freunde finden. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, neue Bekanntschaften zu knüpfen – zum Beispiel spezielle Angebote und Gruppen im Internet.
DÜSSELDORF Eigentlich wollte Lina Witzke weg aus Düsseldorf, der Stadt, in der sie geboren wurde und aufgewachsen ist. Mit Ende 20 wollte sie noch einmal etwas Neues entdecken: Hamburg. In der FacebookGruppe „Neu in Düsseldorf“schaltete Witzke (heute 32) eine Anzeige, in der sie nach Zugezogenen aus der Hansestadt suchte, um sich über ihre mögliche neue Heimat auszutauschen. Darauf meldete sich Ming Yu (34), die gerade für einen neuen Job aus Hamburg an den Rhein gezogen war. „Das erste Treffen war zwar direkt sehr nett, bis zum zweiten dauerte es aber trotzdem fast ein halbes Jahr“, erzählt Witzke, die dann doch in Düsseldorf geblieben ist. Heute treffen sich die beiden regelmäßig, gehen abends etwas trinken oder besuchen Ausstellungen – was Freundinnen eben gemeinsam so machen. Ihre Freundschaft ist für sie „ein Glücksfall“, sagt Yu.
Beide waren damals ungebunden und hatten online nach neuen Bekannten gesucht. Witzke, weil viele ihrer alten Freunde weggezogen waren oder eine Familie gründeten, Yu, weil sie in Düsseldorf „wirklich nicht einen einzigen Menschen kannte“. Jobwechsel, andere Lebenssituationen, Wegzug sind die häufigsten Gründe, warum es um einen Erwachsenen einsamer wird.
Älteren fällt es schwerer, Freunde zu finden, weil es häufig am Selbstbewusstsein mangelt, sagt Buchautor und Psychotherapeut Wolfgang Krüger. „Als Kind geht man unbefangen auf Leute zu, mit zunehmendem Alter wird man vorsichtiger und ist meist auch schon enttäuscht worden.“Zudem gebe es anders als im Kindergarten, in der Schule oder im Studium auch weniger zufällige Begegnungen, aus denen Freundschaften erwachsen könnten. Ab 30 hätten viele Leute bereits feste Freundeskreise, dazu Familie.
Doch das soziale Netzwerk Facebook ist nicht die einzige Möglichkeit, noch gute Freunde zu finden. Für ältere Menschen hat Marianna Exter 2005 die Internetseite 50plustreff.de gegründet. Dort können Menschen ab 50 Jahren auf Partneroder Freundesuche gehen. 520.000 Mitglieder hat das teilweise kostenpflichtige Portal laut Exter inzwischen. Es gibt Foren, eine Chatfunktion und regionale Untergruppen in mehr als 40 Städten. Die Düsseldorfer Gruppe etwa hat mehr als 450 Mitglieder, es gibt regelmäßige Treffen, zum Beispiel zu Jazzabenden, Marktbesuchen und Kneipenabenden sowie einen Stammtisch.
Das ist Teil des Konzepts, sagt Marianna Exter: „Wir verlängern unser Online-Angebot in die OfflineWelt.“Ebenfalls regional angelegt ist das Portal beste-freundin-gesucht.de, das seit 2015 online ist. Zudem können bei der Profilerstellung bereits Anregungen für das erste Gespräch geliefert werden: Dort werden laut Hagdorn Vorlieben wie der Lieblingsfilm oder das Lieblingsessen abgefragt.„Mit einer besten Freundin will man ja nicht nur chatten, sondern sie auch öfter mal zum Kaffee treffen“, sagt Gründerin Marie Hagdorn.
Krüger zufolge ist dieser persönliche Kontakt für eine tiefgehende Freundschaft unverzichtbar. Das Internet biete zwar eine gute und einfache Möglichkeit, erste Kontakte zu Menschen mit ähnlichen Inte- ressen zu knüpfen – es sollte aber nicht dabei bleiben: „Die Aura des anderen zu spüren, das direkte Gespräch, das ist nicht zu ersetzen.“
Deshalb empfiehlt Krüger neben Online-Portalen auch klassische Varianten, die sich an den eigenen Interessen orientieren sollten: einen Kirchenchor, eine Sportgruppe oder einen Kinokreis zum Beispiel. Unter Gleichgesinnten falle es vielen leichter, den ersten Schritt zu machen. „Und der muss nicht immer gleich tiefsinnig sein“, sagt der Psychologe, „man kann auch mit ganz einfachen Fragen eine enge Freundschaft beginnen.“
Auch bei Lina Witzke und Ming Yu drehte sich das erste Gespräch fast ausschließlich um Yus Heimat Hamburg. Überhaupt seien die Gespräche unter den „Nidus“, wie sich die Neu-Düsseldorfer Facebookfreunde nennen, oft oberflächlich, erzählt Witzke: „Bis man Leute findet, mit denen man nicht nur abends mal ein Bier trinken kann, dauert es.“Und irgendwann werde das ständige Kennenlernen auch anstrengend. „Letztlich redet man doch immer über dieselben Sachen“, sagt Yu – Beruf, Werdegang, Interessen. Bei ihr und Witzke sei das anders gewesen: „Schon beim dritten Treffen haben wir über sehr persönliche Dinge gesprochen.“
Solche Freundschaften sind laut Wolfgang Krüger für ein gutes Lebensgefühl unverzichtbar. „Es geht nicht darum, sich als besonders interessant zu präsentieren, sondern um Zuverlässigkeit und anhaltendes Interesse.“Eine Freundschaft müsse wie eine Beziehung gepflegt werden, etwa durch Nachrichten, gemeinsame Reisen oder große Feste. Es gebe viele Möglichkeiten, Freundschaft lebendig zu gestalten – und das sei wichtig: „Wer gute Freunde hat, lebt im Schnitt 20 Prozent länger – und erheblich glücklicher.“