Gegen den „Dunst des Scheiterns“
Die Gladbacher blicken auf viele verpasste Gelegenheiten zurück. In Hamburg soll nun eine Chance genutzt werden.
MÖNCHENGLADBACH Eines ist sicher vor diesem Finale voller Unwägbarkeiten und Was-wäre-wenn-Szenarien: Wenn die Familie Hecking nach dem letzten Spieltag zusammenkommt, ist es ausgeschlossen, dass alle Mitglieder im Reinen sind mit dieser Bundesliga-Saison. Vater Dieter kann den Lieblingsverein seines Sohns Aaron, den Hamburger SV, in die 2. Bundesliga schicken. Borussia Mönchengladbach, Heckings Arbeitgeber, muss dafür nur einen Punkt holen. Aber der HSV kann im direkten Duell auch verhindern, dass Borussia sich auf den letzten Drücker ein Ticket für den Europapokal sichert. Dafür benötigt Gladbach einen Sieg und Schützenhilfe aus München (wo der VfB Stuttgart nicht gewinnen darf), Gelsenkirchen (wo Eintracht Frankfurt am besten verlieren muss) und Berlin (wo RB Leipzig auf keinen Fall punkten darf).
Die Polarisierung im Kreise der Familie Hecking deutet an, was heute auf dem Spiel steht, wird der realen Tragweite aber natürlich nur unzureichend gerecht. Es wäre ein historischer Tag, wenn der HSV als Gründungsmitglied erstmals aus der Bundesliga absteigen würde. Egal wie man es dreht, die Borussen sind in diesem Endspiel, in dem beiden nur ein Sieg hilft, Nebendarsteller. Aber das macht ihre Belange noch lange nicht nebensächlich. „Wir müssen unser eigenes Ding durchziehen“, sagt Hecking. „Wir können noch einiges schaffen.“
Die Qualifikation für den Europapokal, nachdem die Saison nach einem 1:5 gegen die Bayern vor vier Wochen so gut wie abgehakt war, ist das eine. Ein versöhnlicher Abschluss, nachdem Borussia ziemlich durch diese Saison mäandert ist, das andere. Mit einem Sieg würde Heckings Mannschaft doch noch die 50-Punkte-Marke erreichen, die in den vergangenen Jahren zum Symbol besserer Zeiten geworden ist. Mit drei Punkten in Hamburg würde Borussia erst zum dritten Mal in dieser Saison zwei Siege in Folge schaffen und erst zum zweiten Mal vier Spiele in Folge ungeschlagen bleiben. Klappt es für den aktuell Neunten nicht mehr mit dem sechsten oder siebten Platz, würde die Suche nach den verlorenen Punkten beginnen – mit einem Sieg heute wären zumindest die vergangenen Monate fein raus. Seit dem 18. Februar gab es nur zwei Niederlagen, davor allerdings vier hintereinander ohne eigenes Tor.
Borussia muss sich heute in gewisser Weise untreu werden. Manager Max Eberl hat zuletzt vom „Dunst des Scheiterns“gesprochen, der allen – Vereinsvertretern wie Fans – noch in den Klamotten hän- ge. Wer über verpasste Chancen spricht, kommt in Gladbach nicht an einem fast schon traumatischen Dreiklang aus dem Frühjahr 2017 vorbei. Nach einem starken Start unter dem neuen Trainer Hecking scheiterte Borussia unglücklich und ungeschlagen im Europa-LeagueAchtelfinale am FC Schalke, verlor das DFB-Pokal-Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt im Elfmeterschießen und hätte es in der Bundesliga mit zwei Siegen aus drei Spielen gegen Abstiegskandidaten noch nach Europa geschafft, spielte aber dreimal nur unentschieden. Die Inkonstanz der aktuellen Saison hat immer wieder die Tür zuge- schlagen, wenn die Klamotten mit dem „Dunst des Scheiterns“zum Lüften rausgehängt werden sollten.
Ein erfolgreicher Endspurt inklusive bestandenem Nerven- und Charaktertest heute in Hamburg wäre ein wichtiges Signal für die nächste Saison, die Borussia definitiv mit Hecking bestreiten will. Auf das Duell mit dem HSV schauen an einem letzten Spieltag, an dem es in acht von neun Spielen noch um etwas geht, sicherlich die meisten Fans. Gladbach wird von 8000 begleitet. Um die versöhnt in die Sommerpause zu schicken, wird Hecking auch keine Rücksicht auf die Familie nehmen.