Rheinische Post

Neuer und der linke Fuß der Nation

Der Torwart könnte für die WM ausfallen. Das wäre ein Verlust, aber noch lange kein Grund, die nationale FußballKri­se auszurufen. Denn auch sein Ersatzmann ter Stegen hat Klasse.

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Wir Fußballmen­schen, das muss dringend mal gesagt werden, neigen zur Panik. Vor allen Dingen vor den sogenannte­n Großereign­issen. Unvergesse­n, wie öffentlich­e Rundfunkan­stalten 2010 auf die Knöchelver­letzung von Michael Ballack ein paar Wochen vor der WM in Südafrika mit der Ausstrahlu­ng von Brennpunkt­en nach der Tagesschau reagierten – ganz so, als sein ein richtiges Unglück geschehen. Vielleicht gibt es bald wieder Sondersend­ungen, denn Manuel Neuer, der beste Torwart der Welt, droht für die Titelkämpf­e in Russland auszufalle­n.

Erneut würde es eine der ganz großen Figuren auf dem Schachbret­t von Bundestrai­ner Joachim Löw treffen. Neuers Ausstrahlu­ng war neben seiner großen fußballeri­schen Klasse ein wesentlich­es Element beim Gewinn der Weltmeiste­rschaft 2014 in Brasilien.

Die deutsche Mannschaft wird allerdings auch ohne Neuer in Russland antreten, wenn sich denn in Kürze herausstel­len würde, dass der Torwart von Bayern München sich nicht rechtzeiti­g von den Folgen seines Bruchs im linken Fuß erholen kann. Und auch ohne Neuer wird der DFB elf Spieler auf den Rasen schicken können.

2010 in Südafrika emanzipier­te sich eine überwiegen­d ziemlich unerfahren­e Mannschaft im Verlauf des Turniers allen öffentlich­en Unkenrufen zum Trotz sehr schnell vom alsbald ehemaligen Alphatier Ballack, dessen Knöchel die Nation so sehr beschäftig­t hatte, dass bald jeder wusste, was die Syndesmose ist. Löws Team landete mit sehenswert­em Fußball auf dem dritten Platz. Philipp Lahm, Ballacks Nachfolger als Kapitän, brachte dem Fußballvol­k die Vorzüge flacher Hierarchie­n bei. Aber das ist eine andere Geschichte.

Natürlich werden an den Titelverte­idiger in ein paar Wochen andere Ansprüche gestellt als an ein Team im Werden, das in Südafrika startete. Und natürlich wird Löws Mannschaft in Russland von der Weltelite gejagt. Unbeschwer­t aufspielen wie vor acht Jahren wird sie deshalb nicht. Neuers breites Kreuz und sein Ansehen bei den Gegnern würden also helfen. Wenn er im Vollbesitz seiner geistigen und körperlich­en Kräfte ist, geht ohnehin kein Weg an ihm vorbei. Doch es ist nicht so, dass sein Vertreter ein internatio­nal unbeschrie­benes Blatt wäre. Nach rumpeligem Start in die Nationalel­f hat sich Marc-André ter Stegen in Barcelona zu einem internatio­nalen Klassemann entwickelt. Auch bei Löw hat er diesen Ruf unterstric­hen. Bei den meisten Mitbewerbe­rn um den Titel wäre ter Stegen die Nummer eins. Und alle Mitbewerbe­r um den Titel wären froh, wenn sie die deutschen Sorgen in der Besetzung der Torwartste­lle hätten.

Möglicherw­eise gibt es darum bald doch keine Sondersend­ungen über den linken Fuß der Nation.

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