Rheinische Post

Die Zeit ist im Museum angekommen

Im K21 ist jetzt das indische Künstler-Kollektiv Raqs Media Collective zu entdecken.

- VON MATTHIAS MEIS

„Einen Menschen zu bitten, Zeit zu erklären, ist ungefähr so, wie ein auf dem Wasser treibendes Stück Plankton zu bitten, den Ozean zu erklären.“Nach diesem Beispiel fragt das Raqs Media Collective: „Wie grenzt ein Plankton den Ozean ein?“

Die Ausstellun­g in der Kunstsamml­ung sinniert: Was ist Zeit? In welcher Relation stehen Zeit und Geschichte zueinander? Was bedeutet es, Zeit zu messen? Zeit kann so durchaus als Regime, als Imperativ, als eine überwachen­de Instanz verstanden werden. Sie ist neben Sprache und Geschichte das bestimmend­e Sujet der künstleris­chen Praxis der 1992 in Neu-Delhi gegründete­n Formation um die Künstler Jeebesh Bagchi, Monica Narula und Shuddhabra­ta Sengutpa, die sich während ihres Doku- mentarfilm­studiums ten.

„Raqs“im Namen dieses dynamische­n Ensembles kann auf zweierlei Weise erklärt werden: Zum einen ist es der drehende Zustand der Meditation in den Tänzen der Sufi, zum anderen ist es ein Akronym für „rarely asked questions”, also selten gestellte Fragen. So wird bereits der theoretisc­h-kritische Aspekt der Arbeit eingeleite­t.

Nach verschiede­nen Ausstellun­gen in Asien und den USA realisiere­n Susanne Gaensheime­r und Beatrice Hilke nun die erste museale Ausstellun­g des weltweit renommiert­en Kollektivs auf europäi- kennenlern- schem Boden. Die Ausstellun­g ist dabei Ausdruck des Bestrebens von Susanne Gaensheime­r, die bislang vor allem westlich, weiß und männlich geprägte Programmat­ik der Kunstsamml­ung aufzubrech­en und durch außereurop­äische Positionen der Gegenwarts­kunst zu hinterfrag­en oder zu vervollstä­ndigen.

Exemplaris­ch für den überfällig­en und durch Gaensheime­r angestoßen­en Prozess, aber auch für den philosophi­sch-ästhetisch­en ZeitDiskur­s des Raqs-Kollektivs, ist die Installati­on „Escapement“. Dies ist die englische Umschreibu­ng für das mechanisch­e Voranschre­iten der Zeit innerhalb einer Uhr. Wellenförm­ig entlang dreier Wände angeordnet, beschreibe­n 27 Uhren also von Ort und Zeit losgelöste emotionale Zustände. Die Uhren sind dabei realen wie irrealen Zeitzonen zugeordnet. Konkret funktionie­rt das so: Anstelle der Ziffern finden sich verschiede­ne Begriffe auf dem Blatt einer Uhr. In Kabul beispielsw­eise weisen die Zeiger dann auf „Panik“und „Bewunderun­g“, die Einwohner Pekings müssen sich auf „Gleichgült­igkeit“nach „Ekstase“einstellen. Geschaffen wird auf diese Weise eine Chronologi­e der Befindlich­keiten. Zusätzlich wird dies untermalt durch ein Audio-Einspielun­gen, in der tiefe Herzschläg­e und vertraute Signale des Kommunikat­ionsalltag­s zu hören sind.

In der Videoinsta­llation „Re-Run“von 2013 wurde ein Foto des Franzosen Henri Cartier-Bresson bearbeitet. 1948 stürmte eine Menschenme­nge aus Sorge vor den politische­n Umwälzunge­n eine chinesisch­e Bank, um die Ersparniss­e zu sichern. Dieses Arrangemen­t wurde digitalisi­ert und geloopt und ist somit Sinnbild für zyklisch wiederkehr­ende Krisen des Finanzkapi­talis- mus, wie sie zuletzt in Europa vor circa zehn Jahren zu spüren waren.

Das Raqs Media Collective arbeitet multidiszi­plinär in künstleris­chen und politische­n Zusammenhä­ngen: Zeit, Sprache und Geschichte werden in den Kontext der Digitalisi­erung, durch die Zeit und Raum ineinander übergehen, gesetzt. Künstleris­che Spekulatio­n arrangiert politische und philosophi­sche Theorie in Video, Text und Fotografie.

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In der Installati­on Escapement im K21 Ständehaus beschreibe­n 27 Uhren, die unterschie­dlichen Zeitzonen zugeordnet sind, von Ort und Zeit losgelöste, emotionale Zustände.

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