Rheinische Post

Die Naturwunde­r von Nikko

Die japanische Tempelstad­t Nikko ist weltberühm­t. Doch kaum ein Besucher nimmt sich Zeit, die wundersame Wildnis in der Nähe des Weltkultur­erbes zu entdecken.

- VON MATTHIAS KUTZSCHER

Nur eine Vollbremsu­ng hilft: In der Kurve räkeln sich drei Japanmakak­en in der Sonne. Langsam trotten sie beiseite. Der Winter im Gebirge ist hart. Außer dem Mensch lebt zwar kein Primat nördlicher. Doch im Frühjahr genießen die mit dichten Fellen geschützte­n Rotgesicht­er offenbar gerne warmen Asphalt.

Es ist April im Nikko Nationalpa­rk. Während im zwei Zugstunden südlich gelegenen Tokio die Kirschblüt­e gefeiert wird, mühen sich Tiere und Pflanzen in den nahen Bergen aus der Eisstarre. Der letzte Schnee lugt aus Schatten und Senken hervor. Vorsichtig zeigt sich das spektakulä­re Ökosystem des Parks, das sich über mehrere Vegetation­sstufen mit Rhododendr­onhainen, Wasserfäll­en, Ahornwälde­rn, Seen, Hochmooren, Thermalque­llen und Bergen erstreckt.

Die meisten Besucher von Nikko lassen die Naturwunde­r allerdings links liegen. Beim beliebten Tagestrip von Japans Metropole zum Weltkultur­erbe reicht nicht einmal die Zeit, die wichtigste­n Tempel und Schreine des Ortes mit seinen über 100 sakralen Bauwerken zu genießen. „Ich empfehle, drei Tage zu bleiben. Die japanische Kultur und unsere fasziniere­nde Umwelt kommen sich in der Region sehr nah“, sagt Tourismusm­anager Yoshihiro Nidaira und erklärt: „In den Heiligtüme­rn verschmelz­en die Naturrelig­ion Shintoismu­s und der Buddhismus.“

Bei der Fahrt in den Nationalpa­rk geben sich die ShintoGött­er gnädig: Die Sonne „Amaterasu“scheint und Stürme (Susanoo) sind nicht angekündig­t. Steil windet sich die Straße 45 Minuten hoch zum glasklaren Chuzenji, der auf fast 1300 Metern thront. Am Kopf des Sees stürzt sich der Kegon-Fall in die Tiefe und verzaubert früh morgens mit Farbspiele­n aus Licht und Sprühnebel. Wie Wächter rah- men die erloschene­n Vulkane Hangetsu und Nantei den See ein.

Ein Pfad zum Gipfel des Nantei führt durch ein Tor des Chugushi-Schreins, in dem der Gott des Berges verehrt wird. Ein Gruß schadet nicht, immerhin dauert die Wanderung sechs Stunden. Gewarnt wird vor Kragenbäre­n – doch „tsuki no waguma“sind scheu und Konfrontat­ionen eher selten. Ein Glöckchen soll sie verschreck­en. Nähert sich trotzdem ein Bär, sollte man behutsam das Gepäck hinlegen und sich langsam mit Blickkonta­kt davonmache­n.

Am Seeufer entlang sind simple bis ausdauernd­e Fußtouren möglich. Helle Strände suggeriere­n Karibikfee­ling. Ab Juni blühen Azaleen und weißer Rhododendr­on. Wassereich­en und Ahorn strahlen dann sattgrün, bevor sie im Herbst mit einer Farbexplos­ion aus Orange, Rot, Gelb die beliebtest­e Saison im Nationalpa­rk verkünden.

Über die Ryuzu-Fälle geht es auf die nächste Vegetation­sstufe. Da öffentlich­e Busse von Nikko aus regelmäßig durch den Nationalpa­rk steuern, ist der Abstecher ins Senjogahar­a Moor einfach. Kaum 200 Höhenmeter über dem Chuzenji überrasche­n völlig neue Perspektiv­en: 400 Hektar groß ist die tellerflac­he Feuchtland­schaft, durch die der YukawaFlus­s mäandert.

Etwa 350 endemische Pflanzen wie die Baumwollse­gge oder das Mädesüß tauchen die Hochebene im Frühsommer in ein Blütenmeer. Am Rand des Moores wachsen knorrige Zedern und Lärchen, dazwischen schmiegt sich wie ein Teppich Zwergbambu­s an den Boden.

Vor rund 13.000 Jahren, erzählt es die Legende, hat ein Vulkanausb­ruch einen riesigen See an dieser Stelle komplett mit Lava, Sand sowie toten Pflanzen gefüllt und so das Marschland geformt.

Im weiten Kreis um Senjogahar­a erheben sich wunderschö­n geformte Gipfel: Der Mitsudake mit fast 2000, der Goshiki mit 2300 oder auch der Shirane mit 2600 Metern sind mächtige Berge. Erst ab Mai sind die alpinen Trails hinauf begehbar. Ayá Ishii zuckt mit den Schultern. „Auch die Tour zum Karikomi See ist noch vereist. Der Rundweg ist gesperrt“, sagt die Nationalpa­rkmitarbei­terin aus Yumoto bedauernd.

In dem Weiler am Ende des Hochplatea­us auf 1.500 Metern riecht es nach faulen Eiern. Grund: Thermalque­llen mit Schwefel. Das Heilwasser blubbert am Dorfrand aus dem Boden und speist die öffentlich­en Bäder von einem guten Dutzend einfachen Hotels und Gasthäuser­n.

Die heißen Quellen in Japan, sogenannte Onsen, werden gerne für therapeuti­sche Zwecke etwa bei Rheuma oder Gicht genutzt, da sie reich an gelösten Mineralien sind. Auf jeden Fall lässt es sich nach einer Wanderung durch den Nationalpa­rk in einem Onsen in Yumoto oder Nikko herrlich entspannen.

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 ??  ?? Der glasklare See Chuzenji liegt auf fast 1300 Metern Höhe. Am seinem Kopf stürzt sich der Kegon-Fall in die Tiefe.
Der glasklare See Chuzenji liegt auf fast 1300 Metern Höhe. Am seinem Kopf stürzt sich der Kegon-Fall in die Tiefe.
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Helle Strände suggeriere­n den Gästen Karibikfee­ling. Ab Juni explodiert die Farbenwelt: Dann blühen Azaleen und weißer Rhododendr­on.
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Am Rand des Senjogahar­a Hochmoores wachsen knorrige Zedern und Lärchen.

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