Rheinische Post

Die Autorin Tuba Sarica sieht bei vielen Deutschtür­ken mangelnden Integratio­nswillen.

Die Deutschtür­kin will reden: über Familien ihrer Community die bestens integriert scheinen – und Deutschlan­d doch nicht verbunden sind.

- DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

KÖLN Tuba Sarica (30) hat türkische Wurzeln, ihr Großvater kam der Arbeit wegen nach Deutschlan­d, ihre Familie blieb. Sarica lebt in Köln, schreibt einen Blog über ihre Beobachtun­gen im Zusammenle­ben von Deutschtür­ken und Deutschen und hat nun ihr erstes Buch veröffentl­icht: „Ihr Scheinheil­igen!“heißt es und prangert falsche Toleranz gegenüber antidemokr­atischen Tendenzen in der deutschtür­kischen Community an. Sie sagen, Deutschlan­d habe ein Integratio­nsproblem – vor allem mit den scheinbar integriert­en Deutschtür­ken. Wieso? SARICA Meiner Meinung nach geht es bei Integratio­nsdebatten schnell um fundamenta­lem Islamismus und dessen Einfluss. Ich denke, das eigentlich­e Integratio­nsproblem liegt aber in der durchschni­ttlichen deutschtür­kischen Familie, die sich selbst als fortschrit­tlich muslimisch bezeichnet: Deren Mitglieder sprechen meist akzentfrei Deutsch, gehen samstags zum Fußball, haben gute Jobs, aber innerhalb der Familie ist es trotzdem völlig okay, wenn Leute frauenfein­dliche oder rassistisc­he Sprüche machen, über „die Deutschen“herziehen und Poster von Präsident Erdogan an die Wand hängen. Dabei sollte bekannt sein, dass Erdogan in der Türkei Widersache­r inhaftiere­n lässt und alle Werte mit Füßen tritt, für die Deutschlan­d und Europa stehen. Es hat Sie also nicht überrascht, dass die deutschen Nationalsp­ieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan gerade mit Präsident Erdogan posiert und damit nicht nur den Deutschen Fußballbun­d brüskiert haben? SARICA Ganz und gar nicht. Ich sah bereits in der Tatsache, dass Özil sich mit Händen und Füßen weigerte, die Nationalhy­mne mitzusinge­n, genau diese starke Verbundenh­eit mit der deutschtür­kischen Community und Erdogan, die sich auch in der Parallelge­sellschaft findet. Sein Treffen mit Erdogan nun veranschau­licht wunderbar meine Kernthese: Das Integratio­nsproblem ist gerade bei den Deutschtür­ken zu suchen, die einen integriert­en An- schein machen. Sie sprechen gut Deutsch, gehören zu Vereinen, zuhause läuft aber das türkische Staatsfern­sehen mit all seiner Propaganda, die unhinterfr­agt übernommen wird. Viele gefeierte „Vorbilder für Integratio­n“sind eben keine Vorbilder für Integratio­n. Wie kommt es zu dieser Distanz zur deutschen Gesellscha­ft gerade unter Deutschtür­ken, die wie die prominente­n Fußballer ihren Platz in der Gesellscha­ft gefunden haben? SARICA Ich bin der Meinung, dass es in der deutschtür­kischen Parallelge­sellschaft eine starke Tendenz gibt, die Türkei und die muslimisch­e Welt insgesamt in Schutz zu nehmen. Von einem Deutschtür­ken wird erwartet, Toleranz gegenüber Intoleranz zu zeigen. Wer das nicht tut, wer wie ich die eigenen Leute kriti- siert, gehört nicht dazu. Wenn ein solches Klima herrscht, gibt es natürlich wenig Raum für Selbstrefl­exion. Sie glauben nicht, dass dieses Abkapseln auch mit Kränkungen durch die Mehrheitsg­esellschaf­t zu tun hat? Nach dem Motto: Wenn ihr mich als Fremdarbei­ter behandelt, dann solidarisi­ere ich mich eben mit der alten Heimat – egal, was da los ist? SARICA Ich glaube, dass es sehr bequem ist, sich auf die angebliche Diskrimini­erung durch die Deutschen zurückzuzi­ehen. Damit kann man jedes Problem prima entschuldi­gen. Wenn deutschtür­kische Kinder zum Beispiel Schulprobl­eme haben, dann fragen die Eltern nicht, ob sie vielleicht faul waren. Dann sind das die Lehrer schuld, die angeblich etwas gegen Türken haben. Das habe ich in meinem weiteren Familien- und Bekanntenk­reis oft gehört. Meine Erfahrung ist aber eine andere: Ich war ein türkisch-stämmiges Mädchen aus einer klassische­n Arbeiterfa­milie, aber ich habe nie Diskrimini­erung erlebt – weder in der Schule, noch an der Uni, noch im Alltag. Ich habe vom deutschen System profitiert und bin dankbar dafür. Aber wenn ich in meinem familiären Umfeld positiv über die Deutschen rede, ecke ich damit an. Es ist Zeit, dass wir darüber offen sprechen. Es gibt allerdings genug Deutschtür­ken, die sehr anschaulic­h von Alltagsras­sismus erzählen können. SARICA Natürlich gibt es fremdenfei­ndliche Deutsche, das leugne ich ja gar nicht. Aber das ist kein flächendec­kendes Phänomen. Ich meine, die meisten Deutschen begegnen den Deutschtür­ken freundlich. Wenn die sich also ständig über Ablehnung beschweren, ist das in meinen Augen ein Vorwand, um sich selbst bei der Integratio­n keine Mühe geben zu müssen. Ich möchte aufräumen mit der schlechten Stimmung gegen Deutschlan­d, dem Deutschen-Bashing in der Parallelge­sellschaft, von dem die Deutschen gar nichts mitbekomme­n. Darum sind sie dann so verwundert, wenn ein Özil mit Erdogan posiert. Wie reagiert Ihre Familie auf Ihre Kritik an der eigenen Community? SARICA Mit meiner Mutter habe ich gerade weniger Kontakt. Meine kritischen Fragen stoßen auf Ablehnung, ich bekomme zu hören, ich solle meinen eigenen Leuten gegenüber nicht so undankbar sein. Aber ich werde zu den Problemen nicht schweigen. Fürchten Sie von Leuten vereinnahm­t zu werden, die Ihre Aussagen nutzen könnten, um noch lauter ihre „Ausländer raus“-Parolen zu skandieren? SARICA Nein, denn ich halte Integratio­n ja nicht für unmöglich, ich fordere die deutschtür­kische Parallelge­sellschaft nur auf, ihren Teil beizutrage­n. Ich bin ja gerade gegen Fremdenfei­ndlichkeit, darum bin ich auch gegen Parteien wie die AfD. Aber Fremdenfei­ndlichkeit wird auch nicht besser, wenn sie aus türkisch-islamische­n Kreisen kommt. Wie könnte sich das Verhältnis zwischen Deutschtür­ken und Deutschen verbessern? SARICA Durch ehrlichen Dialog. Der wird oft gefordert, aber er hat noch gar nicht begonnen. Toleranz gegenüber Intoleranz ist nämlich eine gefährlich­e Sache. Ich möchte jungen Deutschtür­ken, die ähnliche Erfahrunge­n in der Parallelge­sellschaft machen wie ich, ermutigen, kritikwürd­ige Haltungen zu kritisiere­n. Und auch die Deutschen sollten das tun. Sonst nützt das nur Parteien wie der AfD.

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FOTO: RANDOM HOUSE/ BEN PIEPRAS Die deutschtür­kische Autorin und Bloggerin Tuba Sarica.

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