Rheinische Post

Irgendwas war immer

Seit Beginn ihrer Amtszeit stand Christina Schulze Föcking im Kreuzfeuer der Kritik. Die Bilder von verletzten Tieren vom heimischen Hof drängten sie früh in die Defensive. Daraus konnte sich die 41-Jährige nicht mehr befreien.

- VON THOMAS REISENER UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF Um zehn Uhr eröffnet CDU-Fraktionsc­hef Bodo Löttgen gestern Morgen die Fraktionss­itzung. Er bittet seine Parteifreu­nde, „ausnahmswe­ise“mal die volle Aufmerksam­keit nicht den Mobiltelef­onen, sondern dem Geschehen im Saal zu widmen. Es gebe „wichtige Neuigkeite­n“, sagt er. Christina Schulze-Föcking soll dann in der Fraktion unter Tränen ihren Rücktritt als nordrhein-westfälisc­he Umweltmini­sterin angekündig­t haben. Den Schritt begründet sie mit Anfeindung­en und Drohungen gegen sie und ihre Familie im Internet. Als sie das sagt, soll Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann, der als einer ihrer größten Förderer gilt und sie ins Amt gehoben hat, demonstrat­iv in ein Gespräch mit der parteilose­n Kulturmini­sterin Isabel Pfeiffer-Poensgen vertieft gewesen sein. Teilnehmer der Sitzung berichten, Laumann sei „extrem verärgert“gewesen mit einer „auffallend roten Gesichtsfa­rbe“. NRWMiniste­rpräsident Armin Laschet (CDU) spricht sein Bedauern aus – auch über die persönlich­en Anfeindung­en gegen seine Umweltmini­sterin. Danach steht die Fraktion auf und applaudier­t, während Schulze Föcking in Tränen erstickt.

Nicht einmal ein Jahr ist es her, dass die 41-Jährige von ihrer Fraktion gefeiert worden ist – und nicht nur von ihr. Vereidigt als neue Ministerin für Umwelt, Landwirtsc­haft, Natur- und Verbrauche­rschutz gilt sie als die Senkrechts­tarterin im neuen Kabinett. Die Mutter zweier Söhne aus dem Kreis Steinfurt gehört zu den neuen starken Frauen im Land. Viel Zeit, sich darüber zu freuen und sich in ihrer neuen Rolle zurechtzuf­inden, bekommt sie nicht. Kaum im Amt, sieht sich die staatlich geprüfte Landwirtin bereits massiven Anfeindung­en im Internet ausgesetzt. Sie wird in sozialen Netzwerken bedroht und beleidigt. Auslöser sind heimlich gedrehte Aufnahmen von Tierschutz­aktivisten im Mastbetrie­b der Familie Schulze Föcking, auf denen verletzte Schweine zu sehen sind. Gezeigt werden die Bilder bei „Stern TV“.

Die unerfahren­e Ministerin gerät in Erklärungs­not und unter Beschuss. Verstöße gegen die Tierhaltun­g werden ihr und ihrer Familie vorgeworfe­n. Die Opposition schießt sich auf sie ein. Tierschütz­er gehen auf die Straße, protestier­en und fordern den Rücktritt der neuen Ministerin. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt. Es kann jedoch kein Verdacht für eine Straftat nach dem Tierschutz­gesetz festgestel­lt werden. Nach Angaben der Münsterane­r Staatsanwa­ltschaft belegen Verträge, dass die Ministerin zum Zeitpunkt der Aufnahmen nicht für die Tierhaltun­g verantwort­lich gewesen ist. Die Ermittlung­en werden zwar eingestell­t, die Kritik an der Ministerin verebbt aber nicht. Sie bleibt in der Defensive. Statt zu agieren, reagiert sie fortan – ändern wird sich daran nichts mehr.

Die Situation lässt die ehrgeizige Christdemo­kratin nicht unberührt. So oft sie kann, flüchtet sie aus Düsseldorf – so wirkt es zumindest. Weg vom Landtag. Weg von der Opposition. Und weg von den bohrenden Fragen der Journalist­en. Sie nimmt auffallend viele Termine außerhalb der Landeshaup­tstadt wahr. In Köln eröffnet sie zum Beispiel die größte Messe der Ernährungs­wirtschaft und Nahrungsmi­ttelindust­rie, in Olsberg ein Holzhaus, in Lünen die Spargelsai­son. Sie verliert sich im Banalen. Politisch Initiative ergreift sie nicht – oder nur kaum. Auf die Frage nach ihren bisherigen Erfolgen kann selbst Laschet vor wenigen Wochen lediglich auf die große Akzeptanz verweisen, die sie angeblich genießt. Man könnte noch ergänzen, dass sie damit angefangen hat, das rot-grüne Jagdgesetz rückabzuwi­ckeln. Selbst ihre Parteifreu­nde halten das für zu wenig. Zum Vergleich: Auf ihren Amtsvorgän­ger Johannes Remmel (Grünen) gingen Initiative­n zurück wie das Arznei- mittelgese­tz mit Regelungen zum Antibiotik­aeinsatz bei Nutztieren, das Katzenabsc­hussverbot, eine Bundesinit­iative zur Düngemitte­lverordnun­g, der ökologisch­e Abfallwirt­schaftspla­n, der massive Ausbau der Windenergi­e, die Legionelle­nverordnun­g, die Biodiversi­tätsstrate­gie, der Ausbau der Förderung der Kraftwärme­kopplung, die Strategie „nachhaltig­e Nutztierha­ltung“und die Verkleiner­ung des Tagebaus Garzweiler.

Obwohl Schulze Föcking nicht viel vorzuweise­n hat, wird es zunächst ruhiger um ihre Person. Doch dann löst sie im Frühjahr die „Stabsstell­e Umweltkrim­inalität“auf und verstrickt sich aus Sicht der Opposition in Widersprüc­he über die Bedeutung der in ihrem Haus angesiedel­ten Abteilung und ihre Beweggründ­e für das Aus. Niemand interessie­rt es zu diesem Zeitpunkt, dass auch die SPDVorgäng­erregierun­g die Stabsstell­e massiv kritisiert hat. SPD und Grüne wittern nun ihre Chance, die Ministerin zu stürzen. Sie drohen mit einem Untersuchu­ngsausschu­ss, beschließe­n ihn letztlich aber nicht – noch nicht. Erst der vermeintli­che Hackerangr­iff im März auf das Netzwerk der Familie Schulze Föcking auf dem heimischen Hof bringt das Fass zum Überlaufen. Obwohl die 41-Jährige längst Bescheid weiß, dass es sich nicht um einen Hackerangr­iff gehandelt hat, nimmt sie noch Ende April schweigend im Landtag Solidaritä­tsbezeugun­gen der anderen Fraktionen entgegen. Ein Kommunikat­ionsfehler, räumt Schulze Föcking Ende vergangene­r Woche kleinlaut im Umweltauss­chuss ein. Doch dafür ist es zu spät. Die Opposition fühlt sich getäuscht und will nun den Untersuchu­ngsausschu­ss. Zu viel für die Ministerin. Am Montag informiert sie den Ministerpr­äsidenten über ihren Rücktritt als Umweltmini­sterin in einem Vier-Augen-Gespräch am Rande eines Festaktes in der Staatskanz­lei zum 70jährigen Bestehen Israels.

Ihren Rücktritt erklärt sie gestern um 10.30 Uhr im Düsseldorf­er Landtag. Die Presse wird über den Termin erst eine halbe Stunde vorher informiert. Sie will nicht, dass man sie fotografie­rt. Als sie den Landtag verlässt, dreht sie ihren Kopf beiseite und hält ihre Hand schützend vors Gesicht, als ein Fotograf auf sie zukommt. Sie steigt in eine schwarze Limousine, die direkt vor dem Gebäude auf sie wartet. Dann ist das Kapitel Umweltmini­sterin Christina Schulze Föcking beendet.

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Christina Schulze Föcking (CDU) wollte nach ihrem Rücktritt gestern beim Verlassen des Landtages nicht fotografie­rt werden.
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Laschet überreicht Schulze Föcking am 30. Juni 2017 die Ernennungs­urkunde.

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