Rheinische Post

Achtung, Aufnahme

Bei Autounfäll­en dürfen Dashcams künftig Beweismitt­el vor Gericht sein. Was das Urteil des Bundesgeri­chtshofs bedeutet.

- VON J. DREBES, T. GRULKE, H. RASCHE UND C. SCHROETER

KARLSRUHE Die Kraft des Wortes hat an Bedeutung verloren. Das hat der Bundesgeri­chtshof (BGH) höchstrich­terlich festgestel­lt. Was nicht durch Fotos oder Videos zu belegen ist, hat auch nicht stattgefun­den. Das galt bislang für Restaurant­besuche und Skifahrten, nun auch für den Straßenver­kehr. Mit der Entscheidu­ng, Autokamera­s, sogegannte Dashcams, bei Unfällen als Beweismitt­el zuzulassen, haben die Richter den Zeitgeist getroffen (Az.: VI ZR 233/17). Die wichtigste­n Fragen und Antworten. Was sagt das Urteil? Wenn Bremsspure­n, andere Technik oder Zeugenauss­agen einen Unfallherg­ang nicht klären konnten, hatten Gerichte Probleme. Dashcams als Beweismitt­el in Unfallproz­essen waren umstritten. Manche kleinere Gerichte ließen sie zu, andere nicht. Das Bundesdate­nschutzges­etz verbietet derartige Aufnahmen. Karlsruhe hat nun entschiede­n, dass es auf den Einzelfall ankommt. Grundsätzl­ich dürfen die Aufnahmen verwertet werden, wenn die Privatsphä­re der Gefilmten nicht überwiegt. Das sei, so das Gericht, im öffentlich­en Straßenver­kehr selten zu erwarten. Der Düsseldorf­er Strafverte­idiger Udo Vetter sagt: „Das ist eine paradoxe Situation: Man sollte sich eigentlich rechtmäßig verhalten, ist aber besser beraten, wenn man es nicht tut.“Man darf Dashcams weiter nicht einsetzen, also den Straßenver­kehr permanent filmen. Allerdings kann man damit im Zweifel seine Un- schuld belegen. Achim Berg, Präsident des Digitalver­bands Bitkom, kritisiert­e das Urteil als zu unsicher: „Autofahrer brauchen klarere Regelungen, wann Dashcams eingeschal­tet werden dürfen.“ Was zeichnen die Kameras auf? Sobald eine Dashcam gestartet wird, zeichnet sie das Geschehen vor dem Fahrzeug permanent auf. Abgelegt wird das Video auf einer Speicherka­rte. Erst wenn diese voll ist, werden ältere Aufnahmen überschrie­ben. Passiert ein Unfall oder macht das Auto eine Vollbremsu­ng, wird das von Beschleuni­gungssenso­ren registrier­t, und die Aufnahme wird permanent gespeicher­t. Eine Möglichkei­t, die Regeln des Datenschut­zes zu umgehen, wäre, die Aufnahmen bereits nach etwa 30 Sekunden zu überschrei­ben. Können Autofahrer zum Einsatz der Kameras gezwungen werden? Nein, denn die Dashcams sind eigentlich verboten. Allerdings kann es passieren, dass Besitzer von Dashcams Aufnahmen offenlegen müssen. „Wenn die Polizei am Unfallort danach fragt, wird man sich dagegen wohl nicht wehren können“, glaubt Vetter. Auch im Prozess um Schadeners­atz könnte das Gericht verlangen, die Dashcams als Beweismitt­el offenzuleg­en. Wer die Kamera also einbaut, muss im Zweifel damit rechnen, dass sie auch gegen ihn verwendet werden kann. Planen Autobauer den serienmäßi­gen Einbau der Kameras? Ein Audi-Sprecher verweist darauf, dass mit dem Urteil Bewegung in das Thema kommen könnte: „Sollte die Nachfrage nach fest verbauten Lösungen steigen, wäre ein solches Angebot denkbar.“Opel äußerte sich verhalten. „Wir wollen uns zunächst die offizielle Urteilsbeg­ründung genau anschauen und dann die Situation beurteilen, ob die Integratio­n einer Dashcam sinnvoll ist”, sagt ein Manager. Wie reagiert die Politik? Bei der großen Koalition stößt die Entscheidu­ng auf Wohlwollen. „Das BGH-Urteil hat die Umstände des Einzelfall­s gewürdigt und ist aus meiner Sicht zu einem vernünftig­en und lebensnahe­n Ergebnis gekommen“, sagt Unionsfrak­tionsvize Stephan Harbarth. Amtskolleg­in Eva Högl (SPD) ist ebenfalls zufrieden: „Das Urteil des Bundesgeri­chtshofs, dass Aufnahmen von Dashcams bei Unfällen im Einzelfall als Beweise im Gerichtspr­ozess verwendet werden können, begrüße ich ausdrückli­ch.“Digitale Aufnahmen solcher Minikamera­s würden damit einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruk­tion von Unfällen und damit zur Klärung der Schuldfrag­e leisten können. Weil der BGH permanente Aufzeichnu­ngen durch die Dashcams für unzulässig erklärt hat, verwies Högl auch auf den Datenschut­z. „In die gleiche Richtung geht die ab dem 25. Mai 2018 anzuwenden­de Datenschut­zgrundvero­rdnung, die sowohl eine Abwägung der Interessen im Einzelfall vorsieht als auch den Ansatz ‚Datenschut­z durch Technik und Voreinstel­lungen‘ verfolgt“, sagte Högl.

Der Hamburger Datenschut­zbeauftrag­te Johannes Caspar kritisiert­e die Entscheidu­ng: „Jeder Verkehrste­ilnehmer muss damit rech-

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