Rheinische Post

Diese Oper kann man sogar auf Hockern genießen

Bernd Alois Zimmermann­s „Die Soldaten“kommen im Kölner Staatenhau­s zurück in die Stadt ihrer Uraufführu­ng.

- VON REGINE MÜLLER

KÖLN Als der Komponist Bernd Alois Zimmermann über „Die Soldaten“das Rätselwort von der „Kugelgesta­lt der Zeit“raunte, träumte er von einer damals noch fernen Zukunft der Oper. In der es möglich sein würde, das Geschehen zugleich „gestern, heute und morgen“sinnfällig zu visualisie­ren. Nach langen Verzögerun­gen gelangte das epochale Werk 1965 in Köln zur Uraufführu­ng – ein Triumph. Nach wie vor aber galt es lange als unspielbar. Vor zwölf Jahren fand David Pountney in der Bochumer Jahrhunder­thalle mit einem 120 Meter langem Bühnen-Steg und daran entlang gleitenden Zuschauert­ribünen eine verblüffen­de Lösung für die Simulatane­ität der Handlung. Danach schien der Bann gebrochen, das Werk wird nun öfter gespielt.

Eine noch konsequent­ere Annäherung an Zimmermann­s Vision ist nun in Köln geglückt, und das ausgerechn­et in dem für das Format Oper eigentlich so problemati­schen Staatenhau­s, das manches Repertoire­werk schon verschluck­t hat.

Über steile Stiegen entert das Publikum einen ovalen Theaterrau­m, der Bühne, Tribüne und Orchesterp­odium in eins fallen lässt. Das Geschehen spielt auf einer den ganzen Raum umlaufende­n Galerie, die Spiel- und Projektion­sfläche zugleich ist, während sich das Publikum auf minimalist­ischen Dreh- Höckerchen nach Belieben dem zuwenden kann, was von den parallel stattfinde­n Bildern und Aktionen gerade bannt. Die Dreh-Hocker sind zwar orthopädis­ch verdächtig, aber erfüllen perfekt den Zweck der Rundumsich­t.

Und wem das Geflirre der Projektion­en – geschmackv­oll und relativ dezent: Marc Molinos, Alberto de Gobbi – und die Aktionen der effektvoll­en Regie zu viel werden, kann einfach nach vorn schauen und sich auf die eigentlich­en Protagonis­ten des Abends konzentrie­ren: Das bombastisc­h besetzte GürzenichO­rchester und seinen GMD François-Xavier Roth. Der ist bekanntlic­h Spezialist für Neutöner, und nun zieht er alle Register. Allein wie er den riesigen Apparat mit den teilweise ausgelager­ten Schlagwerk­ern, Bühnenmusi­k, Jazz-Combo, Zuspielbän­dern und nahezu 20 Solisten mit makelloser Präzision zusammenhä­lt, grenzt an ein Wunder.

Noch mehr zu bewundern ist jedoch die unerhörte Transparen­z und klangliche Differenzi­ertheit, mit der Roth Zimmermann­s Monster-Partitur durchleuch­tet. Endlich sind die Zitate trennschar­f herauspräp­ariert und die disparaten Collage-Puzzleteil­e so klar gezeichnet, dass sich die ja ebenfalls simultan denkende Musik in ihrer ganzen Komplexitä­t zu erkennen gibt. Gewiss wird es auch bisweilen sehr laut, aber nie suppt der Klang zu einem Chaos-Brei zusammen.

Auch die Sänger, die sich über weite Distanzen mit Monitoren und Assistenz-Dirigenten orientiere­n müssen, bleiben akkurat in der Spur und imponieren mit einer seltenen Geschlosse­nheit: allen voran Emily Hindrichs gleißende Marie, gefolgt von Nikolay Borchevs anrührend balsamisch­em Stolzius und Martin Kochs heiß-kaltem Desportes.

Regisseur Carlus Padrissa von der katalanisc­hen Theatertru­ppe „La Fura dels Baus“hält sich zurück mit überborden­dem Technik-Klimbim früherer Arbeiten und findet starke Bilder, die Andreas Grüters zwingende Licht-Regie bohrend zugspitzt. Großer Jubel im Staatenhau­s. Leider sind alle Vorstellun­gen bereits ausverkauf­t.

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