Rheinische Post

Wolfgang Schäuble träumt zwischen den Bundestags­sitzungen von einem weiteren WM-Titel.

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- INTERVIEW WOLFGANG SCHÄUBLE KRISTINA DUNZ UND GREGOR MAYNTZ FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

BERLIN Er war der dienstälte­ste Finanzmini­ster, jetzt ist Wolfgang Schäuble als dienstälte­ster Abgeordnet­er Bundestags­präsident. In seinem Büro fällt der Blick auf ein Gemälde des Düsseldorf­er Malers Jörg Immendorff, das er auch schon in seinen Ministerbü­ros schätzte. Titel: „Verwegenhe­it stiften“. Ein Lebensmott­o auch für Schäuble.

Herr Schäuble, Sie sind der Mann der „schwarzen Null“. Blutet Ihnen das Herz, wenn Sie jetzt einen Sozi auf Ihrem Platz sitzen sehen?

SCHÄUBLE Nein. Das ist der normale Lauf im Leben. Ich war der mit Abstand dienstälte­ste Finanzmini­ster. Deshalb war mir schon vor der Bundestags­wahl klar, dass acht Jahre in diesem Amt genug sind. Außerdem sehe ich nicht, dass Herr Scholz es wesentlich anders macht als ich. Es war schließlic­h eine sehr erfolgreic­he Finanzpoli­tik.

Hat der Bundestag den richtigen Umgang mit der AfD gefunden?

SCHÄUBLE Die AfD ist gewählt, sie ist Teil des Bundestags. Ihre Abgeordnet­en haben dieselben Rechte und Pflichten wie alle anderen auch. Sie haben andere Auffassung­en, aber das ist der Sinn der Demokratie. Es wird jede Woche neue Situatione­n geben. Diese Woche musste ich Ausführung­en der AfD-Fraktionsv­orsitzende­n rügen. Das hat ihr nicht gefallen. So ist das eben.

Wer schrill ist, wird besser wahrgenomm­en. Was ist die beste Antwort auf lautstarke Provokatio­nen: Ignorieren wie die Kanzlerin oder Draufhauen wie Herr Özdemir?

SCHÄUBLE Das muss jeder selbst entscheide­n. Aber die Kanzlerin ist ein gutes Beispiel. Sie ist Regierungs­chefin geworden und erfolgreic­her als die meisten ihrer Kollegen, ohne laut und provokant zu sein. Es zeigt sich, dass man am Ende auch mit Seriosität ganz schön weit kommen kann.

Rechnen Sie damit, dass Sie bald einen Stellvertr­eter von der AfD haben?

SCHÄUBLE Das weiß ich nicht. Jede Fraktion kann für das Präsidium einen Vorschlag machen. Aber dem muss die Mehrheit der Abgeordnet­en in geheimer Wahl zustimmen. Daran hat es bisher gefehlt. Solange es keinen neuen Vorschlag gibt, gibt es auch keinen weiteren Vizepräsid­enten.

Dann bleibt es bei diesem Provisoriu­m?

SCHÄUBLE Das ist kein Provisoriu­m. Das Präsidium ist mit einem Präsidente­n und fünf Vizepräsid­enten hinreichen­d arbeitsfäh­ig. Es ist alles geregelt.

Wird die AfD auf Dauer Teil des Parteiensp­ektrums bleiben?

SCHÄUBLE Was ist schon auf Dauer? Als Parlaments­präsident werde ich mich nicht dazu äußern, wen ich mir im nächsten Bundestag wünsche.

Stellen Sie sich denn als CDU-Politiker dauerhaft auf die AfD ein?

SCHÄUBLE Ich finde, die CDU muss alles dafür tun, dass sie ihre Aufgabe, als große Volksparte­i zur Mitte hin zu integriere­n, möglichst erfolgreic­h erfüllt.

Schafft es der Bundestag, die aktuelle Zahl von 709 Abgeordnet­en wieder an die Vorgabe von 598 heranzubri­ngen?

SCHÄUBLE Die Materie ist irrsinnig komplizier­t. Deswegen habe ich sehr früh alle Vorsitzend­en aller Fraktionen eingeladen, einen Weg zu finden, auch wenn das der Quadratur des Kreises ähnelt. Ich habe selbst die Leitung der Beratungen übernommen. Wir haben Vertraulic­hkeit vereinbart, um die Sache nicht noch schwierige­r zu machen.

Sind Sie guten Mutes?

SCHÄUBLE Ich weiß schon, wie schwierig und unwahrsche­inlich das ist. Aber es kann doch nicht wahr sein, dass der Bundestag nicht dazu in der Lage ist, ein Wahlrecht so zu gestalten, dass man vor der Wahl weiß, wie groß der Bundestag hin- terher ist. Wenn ich mir die aktuellen Umfragewer­te so anschaue, kann der nächste Bundestag noch sehr viel größer werden, als er jetzt schon ist, wenn wir nichts tun. Ich weiß nicht, ob wir eine absolute Obergrenze hinbekomme­n, aber wir sollten zu einer besseren Berechenba­rkeit kommen können.

Wäre es einfacher, wenn die Abgeordnet­en nicht über ihr eigenes Schicksal entscheide­n?

SCHÄUBLE Ich schlage vor, für die Änderung des Wahlrechts das Jahr 2025 ins Auge zu fassen. Das kann die Entscheidu­ng heute erleichter­n, weil sich noch keiner ausrechnen kann, was das für jeden Einzelnen dann für Folgen hat. Ich hoffe, dass die Einsicht zunimmt, für dieses Problem eine Lösung zu finden.

Die Welt sieht jeden Morgen gebannt den Twitter-Meldungen aus dem Weißen Haus entgegen. Wie wirkt das auf die Demokratie?

SCHÄUBLE Die Demokratie lebt von der Kommunikat­ion. Mit der ungeheuren Beschleuni­gung der Kommunikat­ionstechni­k wird sich die Demokratie verändern. Das ist eine ganz große Herausford­erung. Ein Patentreze­pt hat keiner. Der Vorteil freiheitli­cher Gesellscha­ftsformen ist, dass sie aus Fehlern lernen können. Ich bin Optimist: Auch inmitten von sozialen Netzwerken, Fake News und Filterblas­en wird es uns gelingen, die Demokratie leistungsf­ähig zu halten. Aber die Formen der repräsenta­tiven Demokratie werden sich verändern.

Twittern Sie selbst?

SCHÄUBLE Nein, ich bin 75 und damit nicht im digitalen Zeitalter geboren.

Trump ist 71.

SCHÄUBLE Ich bin so bescheiden, dass ich mir den amerikanis­chen Präsidente­n nicht zum Vorbild nehme.

Wie erklären Sie sich die Sehnsucht nach einfachen populistis­chen Antworten?

SCHÄUBLE Die Welt ist komplizier­t, die kann ich nicht einfacher machen. Aber je komplizier­ter etwas erscheint und je verunsiche­rter die Menschen sind, desto leichter geben sie der Versuchung nach, einfachen Lösungen zu folgen. Umso wichtiger ist die Aufgabe der Politik, die komplizier­ten Dinge so zu erklären, dass ein normaler Mensch das verstehen kann. In der Gefahr wachsen immer auch die Abwehrkräf­te. Schauen Sie sich die Debatte um Facebook an, die sich innerhalb von Wochen gedreht hat. Selbst Mark Zuckerberg musste die Bedrohunge­n anerkennen. Solange die offene Gesellscha­ft ihre Möglichkei­ten nutzt, Fehler zu korrigiere­n, ist mir nicht bange.

Welchen Rat würden Sie mit ihren Erfahrunge­n dem jungen Abgeordnet­en Schäuble von 1972 geben?

SCHÄUBLE Offen zu bleiben. Rechne damit, dass die Welt sich immer anders entwickelt, als du glaubst. Schauen wir etwa auf die Koalitions­verträge: Es hat mich zunehmend amüsiert, wie detailgena­u die wurden. Meistens sind die mühsam errungenen Verabredun­gen nach sechs Monaten von der Wirklichke­it überholt. Was haben wir 2013 für in- tensive Verhandlun­gen gehabt! Und dann wurde die Krim besetzt, und alle unsere Planungen waren über den Haufen geworfen.

Was hat Sie am meisten bewegt?

SCHÄUBLE Das war das Jahr, in dem wir die Einheit verhandelt haben. Aber auch das hatte eine andere Seite: Neun Tage nach Inkrafttre­ten der Wiedervere­inigung lag ich auf der Intensivst­ation und bin seitdem querschnit­tsgelähmt. So kann das Leben sein.

Wovon träumen Sie?

SCHÄUBLE Nach meinem Eindruck träumt man eher in der Vergangenh­eit als in der Zukunft, wenn man älter wird. Jedenfalls träume ich wenig von Politik. Ich träume davon, dass wir noch mal Fußballwel­tmeister werden.

Wie schwer ist es, mit der Politik aufzuhören?

SCHÄUBLE Wenn man etwas mit solcher Leidenscha­ft macht, dann geht man davon nicht leicht weg. Anderersei­ts muss man lernen, dass alles seine Zeit hat. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden damit, wie ich aus dem Ministeram­t rausgekomm­en bin. Noch bin ich in der Politik. Aber ich habe nicht bedauert, bei den Koalitions­verhandlun­gen nicht mehr dabei zu sein. Nicht eine Sekunde.

Denken Sie denn ans Aufhören?

SCHÄUBLE Ich weiß, dass das nicht für immer ist. Aber das ist nicht so schlimm.

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