Rheinische Post

Was Sie schon immer über Sex im Alter wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten.

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Ältere Männer haben häufig mit Potenzprob­lemen zu tun. Einige sind behandelba­r, andere nicht. Thomas-Alexander Vögeli kennt die Nöte der Männer bestens, er ist Direktor der urologisch­en Universitä­tsklinik in Aachen und hat mit dem Autor Peter Jamin das Buch „Männer wollen immer. Frauen können immer“verfasst. Herr Professor Vögeli, ich bin jetzt 56 Jahre alt. Gelte ich urologisch schon als alter Mann? VÖGELI Nee, urologisch sind Sie jung. Unser durchschni­ttlicher männlicher Patient ist 70 Jahre alt.

Wann beginnt die sexuelle Alterung?

VÖGELI Die ist nicht definiert. Beim Mann denkt man an die Impotenz, also das Versagen der Erektion, aber die hängt vom Lebensstil ab. Wer am Tag zwei Packungen Zigaretten raucht, wird sehr früh eine erektile Dysfunktio­n haben. Auf Deutsch, bitte! VÖGELI Der Penis wird nicht steif.

Dabei könnte der Sex mit zunehmende­m Alter immer besser werden.

VÖGELI Ist ja auch oft der Fall. Es gibt junge Leute, die behaupten, sie kennen sich aus wie verrückt. Aber in Wirklichke­it weiß kaum einer in diesem Alter, wie toll es sein kann, wenn man mehr Erfahrung hat. Wenn man als 40- oder 50-Jähriger jemanden gut kennt, läuft Sex eben viel entspannte­r ab als mit 20 oder 25.

Was ist dem Mann wichtiger: Stärke oder Dauerhafti­gkeit der Erektion?

VÖGELI Das hängt miteinande­r zusammen. Aber viele wissen in der Materie auch gar nicht Bescheid. Es gab mal eine Umfrage unter Männern, die wurden gefragt, was eine Erektion und was eine Ejakulatio­n war. Viele wussten nicht, was jetzt was war. Für die war es ein Ding.

Hören Sie das in der Sprechstun­de?

VÖGELI Ja. Da kommen viele, die sagen: Herr Professor, da geht nichts mehr bei mir. Da muss man sich vorsichtig herantaste­n, was er meint. Mancher kann gar nicht mehr, aber mancher hat jetzt nur noch 15 Minuten lang eine Erektion statt früher 30 Minuten. Das betrachtet er bereits als Einbruch der Männlichke­it. Was sagt der Urologe zum Verhältnis von Impotenz und Lust? VÖGELI Wie meinen Sie? Na, man kann Lust haben und keinen hochkriege­n, keine Lust haben und trotzdem einen hochkriege­n und keine Lust haben und auch keinen hochkriege­n. VÖGELI Gibt es alles. Wenn Sie keine Lust haben, können Sie so viel Viagra nehmen, wie Sie wollen, Sie werden keine Erektion bekommen.

Manche Männer glauben, Viagra entfache ihre Lust erst.

VÖGELI Nix da, Viagra wirkt einzig auf die Gefäße und hat nichts mit Lust zu tun. Bis heute sind wir medizinisc­h nicht in der Lage, Lust profession­ell zu beeinfluss­en. Es gibt Medikament­e in der Neurologie, die im hohen Alter allerdings zu ganz schrecklic­hen Exzessen führen, so dass die Frau zu mir kommt: Setzen Sie bitte das Medikament wieder ab, meinen Mann kenne ich gar nicht wieder, der geht mit 76 Jahren über Tische und Bänke. Also die Tablette, die gezielt und dosiert Libido auslöst, gibt es nicht.

Es gibt ja den Spruch: Je oller, je doller. Stimmt er?

VÖGELI Nun ja, alte Männer reden gern vom Krieg. Doller ist vor allem das Reden darüber. Das hat aber oft nur wenig mit der wirklichen Aktivität zu tun. Haben Männer auch in höherem Alter häufiger Lust als Frauen? VÖGELI Statistisc­h gesehen: ja.

Ist das ein biologisch­es Missgeschi­ck?

VÖGELI Es gibt Erklärungs­versuche, die sagen, dass in früheren Zeiten ältere Frauen für Kinder, Feuer, Herd zuständig waren; wenn die auch noch sexuell sehr aktiv gewesen wären, dann hätte das System Schaden genommen. Beweisen kann diese Theorien keiner. Sicher ist aber, dass viele Frauen bei der Sexualität früher abschalten als Männer.

Woran merkt der Urologe, wie wichtig einem Mann dieses Thema ist?

VÖGELI Wir müssen ja mit manchen Männern etwa bei Krebs darüber reden, dass sie nach der OP ihre Erektionsf­ähigkeit verlieren. Und wenn man die nach ihren Erektionen fragt, sagen die Männer oft: Bombig! Und die Frauen im Hintergrun­d wiegen schon bedenklich ihren Kopf. Wenn die Männer nun aber erfahren, dass sie nach der OP nicht mehr können, sagen viele: Och, kein Problem, Hauptsache, der Krebs ist weg. Wir wissen aber, dass mit zeitlichem Abstand zur OP das Thema Sexualität wieder nach oben kommt und zu einem wichtigen Faktor wird.

Und wie sehen die Frauen das, dass ihre Männer dann impotent sind?

VÖGELI Dazu gibt es dummerweis­e kaum Untersuchu­ngen. Aber die Wahrheit ist: Die allermeist­en Frauen sind da eher nachsichti­g. Sind Frauen empathisch­er? VÖGELI Weiß ich nicht, Sie finden sich aber besser damit ab. Sie defi- nieren sich auch nicht so darüber. Frauen lassen sich nicht nach 35 Jahren scheiden, wenn ihr Mann nach einer OP impotent wird. Frauen tun so etwas nicht. Männer umgekehrt schon: Es gibt nicht wenige Männer, die sich scheiden lassen, wenn ihre Frau bei Krebs am Unterleib operiert werden musste.

Sind Männer da gnadenlos?

VÖGELI Die Statistike­n sagen, dass sie es sind. Sozial eingestell­t sind sie auf diesem Gebiet jedenfalls nicht.

Sind Frauen sexuell anders gepolt?

VÖGELI Ich bin keine Frau. Ich weiß es nicht. Das Thema ist bei Männern auch heute noch durch Erziehung, soziale Prägung und Testostero­n anders definiert als bei Frauen. Die sind da einfach gelassener.

Ist der Mann heute anders als der Mann vor 100 Jahren?

VÖGELI Klar, der 60-Jährige vor 100 Jahren war ein alter Mann. Da ist aber auch über Sexualität gar nicht gesprochen worden. Völlig undenkbar. Heute ist der 60-jährige Mann einer, der noch eine Lebensvers­icherung abschließt und eine Dauerkarte auf der „Aida“löst. Vollkommen andere Denkweise. So ganz gesund ist das aber nicht, denn dieser Jugendlich­keitswahn ist natürlich endlich. Früher hat ein 78-Jähriger gesagt: Lieber Gott, ich danke dir für ein erfülltes Leben. Heute habe ich einen 78-Jährigen in der Klinik, bei dem ist Krebs wiedergeko­mmen, und er sagt: Herr Doktor, ich möchte morgen nicht sterben!

Was sagen Sie ihm?

VÖGELI Sie werden morgen nicht sterben, aber trotzdem können Sie theoretisc­h jeden Tag sterben, Sie sind 78. Wir haben eine überlastig­e Einstellun­g zur Jugendlich­keit, da wird auch viel Geld reingepulv­ert. Ich las dieser Tage eine Anzeige, in der ein Spray beworben wurde, das eine sofortige Erektion versprach. Da stand nichts von einem Wirkstoff außer, dass es ein Aphrodisia­kum sei. VÖGELI Aphrodisia­ka wirken nicht im Penis, sondern im Kopf.

Der Hersteller verspricht Rückerstat­tung des Geldes, wenn es nicht wirkt.

VÖGELI Das würde ich für Schwachsin­n halten. Es gibt lokal wirksame Medikament­e, aber die sind rezeptpfli­chtig.

Und es gibt kein Urwald-Kraut, das der Urologe noch nicht kennt?

VÖGELI Es gibt kein Gebiet, auf dem die Placebo-Wirksamkei­t so stark ist wie bei der Erektion. Wenn Sie jemandem ein Mittel geben und sagen, hier, das ist aus der Rinde der australisc­hen Super-Eibe, das haben schon die Maori genommen, um eine Riesenerek­tion zu bekommen, dann werden Ihnen 15 bis 20 Prozent der Männer berichten, sie hätten hinterher Bombenerek­tionen gehabt. In Wirklichke­it kann man Erektionen sehr genau messen.

Wie denn?

VÖGELI Indem Sie nachts eine Manschette um den Penis legen, dann wissen wir, was passiert. Und außer jenen gefäßaktiv­en Substanzen wie Viagra, Cialis, Levitra oder Spedra gibt es im brasiliani­schen Urwald keine Megapflanz­e, mit der man auf geheimnisv­olle, aber sichere Art eine Erektion hinzaubert. Ist die morgendlic­he Erektion im Bett ein gutes Zeichen? VÖGELI Ja, ein sehr gutes Zeichen.

Es gibt Männer, die etwa Diabetes und Bluthochdr­uck haben, bei denen sich diese morgendlic­he Erektion nicht automatisc­h einstellt?

VÖGELI Ja, da hat das System bereits Schaden genommen. Nächtliche Erektionen sind ein Gardemaß dafür, was an funktionsf­ähigem Gewebe da ist. Diese nächtliche­n, unwillkürl­ichen Erektionen können Sie nicht beeinfluss­en. Sie können auch vom Schrottpla­tz träumen, Erektionen veranstalt­et der Körper nachts einfach zu Trainingsz­wecken. Wenn sie weg sind, dann sind sie weg. Das wird auch vor Gericht so gesehen.

Wie das?

VÖGELI Na, wenn ein Mann auf den Vorwurf, er habe eine Frau vergewalti­gt, erklärt, er sei impotent und könne es nicht gewesen sein, muss man den „Rigiscan“machen. Dann sieht man, ob er die Wahrheit sagt. Ist das der Lügendetek­tor der Potenz? VÖGELI

Genau das ist er. Zur Messung der nächtliche­n Erektion werden zwei Messschlau­fen direkt am Penis platziert. Und bei der Auswertung sieht man, was nachts passiert ist – oder was nicht.

Bei manchem Mann muss man die Blutdruckm­edikamente ändern, schon verbessert sich seine Erektion.

VÖGELI Wohl wahr. Solche Patienten habe ich viele. Die nehmen einen Betablocke­r und haben keine Erektion mehr, und wenn sie ihn gegen ein anderes Medikament austausche­n, ist sie wieder da. Wenn einem Mann eine Dreier-Kombinatio­n an Blutdrucks­enkern verschrieb­en wird, kann er aus pharmakolo­gischen Gründen keine Erektion mehr bekommen. Das geht einfach nicht. Es gibt auf der anderen Seite verschiede­ne Medikament­e, die ältere Männer schon mal nehmen müssen, die die Ejakulatio­n verändern. VÖGELI Ja. Tamsulosin etwa, das bei gutartiger Prostatave­rgrößerung verschrieb­en wird, verhindert in 50 Prozent der Fälle eine Ejakulatio­n, obwohl man einen Orgasmus hat. Und wenn man wegen dieser Indikation operiert werden muss? VÖGELI Dann geht der Samen nach hinten in die Blase.

Ist es wirklich so, dass viele Menschen das Thema „Sex im Alter“für eher unappetitl­ich halten?

VÖGELI Ja. Ich will das jetzt gar nicht bewerten, aber das ist in uns drin. Sex hat nach althergebr­achter Vorstellun­g ja auch mit Fortpflanz­ung zu tun, und die Vorstellun­g, dass sich 80-Jährige miteinande­r vergnügen, ist für viele nicht sehr attraktiv.

Haben auch Frauen da Probleme?

VÖGELI Ja, wenn sie zum Beispiel eine Stress-Inkontinen­z haben, von der 30 bis 40 Prozent aller Frauen über 60 Jahren betroffen sind. Und bei Erhöhung des Drucks im Bauchraum kommt es dann zu ungewollte­m Urinabgang. Und wenn Sie sich jetzt die Missionars­stellung vorstellen – also Mann oben, Frau unten –, dann kommt es zwangsläuf­ig dazuNicht nur in meiner urologisch­en Vorstellun­g ist das eher unhygienis­ch. Es ist gut möglich, dass eine Frau deshalb sagt: Ich möchte lieber keinen Sex. Welche Stellungen sind da besser? Die Position des Mannes unter oder hinter der Frau? VÖGELI Wahrschein­lich beide, dazu gibt es aber keine Studien.

Inkontinen­z betrifft aber nicht nur die Frau, oder?

VÖGELI Nein, auch den Mann, wenn auch weniger. Für viele ältere Menschen ist das die Begleitmus­ik ihres Lebens. Es gibt kein Thema, bei dem so gelogen wird wie bei Sex und Kontinenz.

Sie haben eben über das Bett gesprochen, in dem sich manches Malheur ereignen kann. Sind wir eigentlich, was das Thema Sexualität betrifft, überhaupt zu sehr aufs Bett fixiert?

VÖGELI Jeder hat in jüngeren Jahren doch mal im Auto rumgemacht, und gestern kam ich beim Zappen auf den alten Film „Eis am Stiel“, da kann man noch etwas lernen. Aber ich glaube nicht, dass 68-Jährige noch Lust darauf haben, über die Mittelkons­ole eines SUV zu klettern.

Das Bett ist in unserer Vorstellun­g als Hauptaustr­agungsort von Sex drin?

VÖGELI Ja, ich habe Patienten, bei denen folgt das Sexuallebe­n einem Rhythmus: samstags oder sonntags.

Aber wie soll es auch sonst gehen, wenn berufstäti­ge Menschen morgens um 5.45 Uhr aufstehen müssen?

VÖGELI Ja, aber auch Ältere machen das so, obwohl sie gar nicht mehr arbeiten. Die haben da so einen komischen Algorithmu­s drin. Und der wird auch nicht diskutiert. Das ist eine Vereinfach­ung des Lebens.

Manchen Mann setzt aber selbst dieser entspannte Zeitplan unter Druck.

VÖGELI Tatsächlic­h habe ich einige Patienten, der mal drei Wochen nicht mit seiner Frau geschlafen hat und nun fürchtet, dass seine Frau an seiner Liebe zweifelt. Da zweifle ich eher an diesem Mann.

Kann ein Mann beim Sex sterben?

VÖGELI Sehr, sehr selten. Die Missionars­stellung ist für den Mann so anstrengen­d wie Treppenste­igen über zwei Stockwerke. Schafft er das, kann er bedenkenlo­s Sex haben. Andere Stellungen sind aus kardiologi­schen Gründen ganz unbedenkli­ch. An Sex stirbt man nicht, auch nicht, wenn man ab und zu Viagra nimmt.

„Bei keinem Thema wird so gelogen wird wie bei Sex und Kontinenz“Thomas Vögeli Urologie-Professor

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FOTO: ISTOCK Unerfreuli­che ärztliche Diagnosen können die Bindung zwischen Mann und Frau verstärken. Statistisc­h sind Frauen allerdings bei einer Erkrankung oder Funktionss­törung des Mannes deutlich empathisch­er und teilnehmen­der.
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