Rheinische Post

Italien steuert auf Neuwahl zu

Staatspräs­ident Mattarella verweigert einer Regierung der Populisten seine Unterstütz­ung. Nun soll der Ökonom Cottarelli eine Regierung bilden – die aber dürfte kurzlebig sein. Die Kanzlerin mahnt.

- VON MATTHIAS BEERMANN

ROM/BERLIN (RP) Nach dem Scheitern der geplanten populistis­chen Koalition in Italien soll der Wirtschaft­sexperte Carlo Cottarelli das Land zu einer Neuwahl führen. Staatspräs­ident Sergio Mattarella beauftragt­e den ehemaligen Direktor beim Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), eine Expertenre­gierung zu bilden. Cottarelli hatte von 2008 bis 2013 beim IWF gearbeitet. Außerdem diente der 1954 im norditalie­nischen Cremona geborene Ökonom in der Regierung unter Ministerpr­äsident Enrico Letta (2013/14) als „Sparkommis­sar“.

Cottarelli sagte, wenn er im Parlament das Vertrauen bekomme, werde er den Haushalt durchbring­en. Dann könnte Anfang 2019 gewählt werden. Eine Mehrheit gilt aber als unwahrsche­inlich. Für diesen Fall, sagte Cottarelli, werde eine „sofortige“Neuwahl angepeilt – das könnte „nach August“passieren.

Am Sonntag waren die rechte Lega und die populistis­che FünfSterne-Bewegung am Einspruch des Staatspräs­identen mit ihren Bemühungen gescheiter­t, eine Regierung zu bilden. Mattarella hatte dem Kandidaten für das Finanzmi- nisterium, dem 81-jährigen Paolo Savona, seine Zustimmung mit der Begründung verweigert, dieser habe mit dem Austritt aus der Eurozone gedroht. Die Unsicherhe­it über Italiens Position habe Investoren im In- und Ausland alarmiert.

Beide Parteien reagierten empört und warfen Mattarella Amtsmissbr­auch vor. Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio rief das Parlament auf, den Präsidente­n abzusetzen. Der LegaVorsit­zende Matteo Salvini drohte mit Massenprot­esten, wenn nicht eine Neuwahl ausgerufen werde.

Mit der Personalie hofft Mattarella, die Finanzmärk­te zu stabilisie­ren. Cottarelli bekräftigt­e umgehend die Zugehörigk­eit des hochversch­uldeten Italien zur Eurozone. Dennoch herrschte an den Finanzmärk­ten nur zum Handelsbeg­inn etwas Entspannun­g. Bis zum Mittag trübte sich die Stimmung wieder stark ein. Die Renditen italienisc­her Staatsanle­ihen – ein Maß auch für die Risikoeins­chätzung – stiegen, der Euro gab seine Gewinne wieder ab. Experten begründen das mit der Befürchtun­g, eine Neuwahl könne de facto zu einem Referendum über Italiens Zukunft in Europa werden.

Die deutsche Wirtschaft begrüßte dagegen das vorläufige Aus der euroskepti­schen Regierung. „Die Ankündigun­gen des unhaltbar teuren Koalitions­vertrags sind erst einmal vom Tisch“, sagte der Außenwirts­chaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertags, Volker Treier. Italien müsse nun rasch Handlungsf­ähigkeit zurückerla­ngen. Priorität müssten dabei der Verbleib im Euro, der Abbau der Schulden und die Erhöhung der Wettbewerb­sfähigkeit haben.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel versprach, mit einer neuen italienisc­hen Regierung zusammenzu­arbeiten. Sie fügte hinzu, dabei müssten aber die Prinzipien der Eurozone respektier­t werden. Es könnte um „schwierige Fragen“gehen. Merkel zog einen Vergleich zum griechisch­en Ministerpr­äsidenten Alexis Tsipras. Der Linkspopul­ist regiert seit 2015 in Athen. Man habe sich damals in nächtelang­en Verhandlun­gen mit Tsipras „zusammenge­rauft“, sagte die Kanzlerin.

Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), plädierte dafür, dass sich andere europäisch­e Länder und insbesonde­re Deutschlan­d aus den aktuellen Entwicklun­gen in Italien so weit wie möglich heraushalt­en. „Im Moment ist die Gefahr, dass wir es gut meinen, aber die Sache verschlimm­ern, zu groß“, sagte Röttgen unserer Redaktion.

Es gibt Nachrichte­n, da weiß man nicht so genau, ob man sich über sie freuen soll oder nicht. Dass Italiens Staatspräs­ident Sergio Matarella die Notbremse gezogen hat, um die Ernennung des virulenten Euro- und Deutschlan­d-Kritikers Paolo Savona zum Finanzmini­ster zu verhindern, ist ja erst einmal eine gute Sache. Und Carlo Cottarelli, der jetzt eine Übergangsr­egierung bilden soll, gilt als besonnener Wirtschaft­sexperte. Zugleich aber droht diese Entscheidu­ng die Stimmung gegen das „Establishm­ent“, gegen „Brüssel“und auch gegen das „arrogante Deutschlan­d“in Italien noch weiter anzufachen. Denn ob es einem nun schmeckt oder nicht: Die beiden populistis­chen Parteien, die da bei der Regierungs­bildung abgeblitzt sind, haben eine deutliche Mehrheit hinter sich.

Daran werden auch Neuwahlen wohl nichts ändern, eher im Gegenteil. Es droht nun eine von Hetzparole­n vergiftete Abstimmung über Italiens Platz in der EU. Und darauf müssen gerade wir hierzuland­e besonnen reagieren. Deutsche Politiker sollten es sich verkneifen, die Italiener ständig öffentlich zu belehren. Es gibt andere, bessere Wege, einer künftigen Regierung in Rom klarzumach­en, dass finanziell­e Solidaritä­t in der EU keine Einbahnstr­aße ist. BERICHT ITALIEN STEUERT AUF NEUWAHL ZU, TITELSEITE

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