Kita-Gebühren belasten Arme stärker
In NRW zahlen Eltern mehr für einen Kindergartenplatz als im Bundesschnitt.
GÜTERSLOH (RP) Haushalte unterhalb der Armutsrisikogrenze müssen laut einer aktuellen Elternbefragung einen fast doppelt so hohen Anteil ihres Einkommens für den Kita-Beitrag ihrer Kinder aufbringen wie wohlhabendere Eltern. Das geht aus einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor. Eltern mit weniger als 60 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens zahlen der Befragung zufolge etwa zehn Prozent ihres Einkommens für den Kita-Besuch ihrer Kinder. Das sind monatlich durchschnittlich 118 Euro. Bessergestellte Eltern zahlten zwar im Durchschnitt 178 Euro, das seien jedoch nur rund fünf Prozent ihres Einkommens.
Für die Untersuchung wurden über ein Internetportal knapp 4700 Befragungen vorgenommen. Zudem wurden etwa 5800 Eltern über Aushänge in Kindertagesstätten sowie über Anzeigen einbezogen.
Die Gebühren fallen je nach Bundesland unterschiedlich aus. NRW liegt dabei etwas über dem Bundesschnitt. Dort wenden Familien im Mittelwert 6,6 Prozent ihres Nettoeinkommens auf – deutschlandweit sind es 5,6 Prozent. Genaue Werte speziell für Nordrhein-Westfalen enthält die Erhebung nicht. Die finanzielle Belastung der Familien variiere je nach Wohnort, kritisierte Stiftungsvorstand Jörg Dräger. Am höchsten ist der Anteil in SchleswigHolstein mit 8,9 Prozent, am niedrigsten in Berlin mit 2,0 Prozent. Eine Mehrheit von 53 Prozent der ärmeren und 59 Prozent der reiche- ren Eltern würde für mehr Personal und bessere Ausstattung auch höhere Beiträge akzeptieren.
Die finanzielle Belastung sei ungerecht verteilt, bemängelte Bertelsmann und forderte Beitragsfreiheit für armutsgefährdete Familien. Für eine generelle Beitragsfreiheit müsste der Staat Berechnungen der Stiftung zufolge jährlich rund 5,7 Milliarden Euro aufbringen.
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) bekräftigte das Ziel einer Kita-Beitragsfreiheit. „Das Einkommen der Eltern darf nicht darüber entscheiden, ob und wann Kinder in eine Kindertageseinrichtung gehen“, sagte sie. Eine zentrale Säule des Kita-Gesetzes sei deshalb der Einstieg in die Beitragsfreiheit.
GÜTERSLOH Gute Kitas sind ein Segen: für Kinder, die ihre ersten Schritte in die Selbstständigkeit wagen und mit Gleichaltrigen spielen, basteln, turnen, sich zu streiten und zu vertragen lernen. Für Eltern, die Familie und Beruf vereinbaren. Für Eltern, die mit Erziehung allein überfordert sind. Doch gute Kinderbetreuung kostet, eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung heizt den Streit um die richtige Finanzierung an.
Danach fällt die Elternbeteiligung je nach Bundesland höchst ungleich aus: In Schleswig-Holstein zahlen die Eltern am meisten – im Schnitt 8,9 Prozent ihres Haushaltseinkommens, in Berlin ist es mit 2,0 Prozent am günstigsten. Bundesweit sind es im Schnitt 5,6 Prozent. Nordrhein-Westfalen ist mit einem Anteil von 6,6 Prozent überdurchschnittlich teuer.
Dabei sagt die Höhe der Elternbeiträge nichts über die Qualität der Einrichtungen aus. In Baden-Württemberg ist der Personalschlüssel am höchsten, hier beteiligen sich die Eltern mit 6,5 Prozent ihres Einkommens. In Mecklenburg-Vorpommern ist der Personalschlüssel bundesweit laut Studie am schlechtesten, gleichwohl zahlen Eltern hier fast acht Prozent.
In Nordrhein-Westfalen übernimmt das Land den Großteil der Finanzierung, den Rest zahlen die Träger (Stadt, Kirche, freier Träger oder Elternverein). Die Träger wiederum geben einen Teil ihrer Kosten an die Eltern weiter oder – wie in Düsseldorf – auch nicht. Die Beteiligung des Landes reicht von 79 Prozent bei kommunalen Kitas bis hin zu 96 Prozent bei Elternvereinen.
Doch nicht nur zwischen den Ländern, auch zwischen den Städten sind die Unterschiede groß. Und auch hier bedeuten hohe Beiträge meist nicht, dass die Einrichtungen besonders gut, sondern dass die Städte besonders klamm sind. Der Bund der Steuerzahler NRW hat verglichen, was Eltern für die Betreuung von über Dreijährigen für 45 Stunden pro Woche zahlen müssen: Am teuersten sind Rheine (151 Euro im Monat), Minden (141 Euro) und Bottrop (139 Euro). Die Angaben beziehen sich auf Eltern mit einem Jahreseinkommen von 40.000 Euro (Stand Herbst 2017). Der Durchschnittsbeitrag der 57 untersuchten Städte liegt bei 108 Euro. Günstiger sind Siegen mit 64 Euro, gefolgt von Neuss mit 67 Euro und Ratingen mit 68 Euro. In Düsseldorf ist die Ü3Betreuung sogar in allen Einkommensstufen beitragsfrei. Hier zahlen die Eltern also (abgesehen von Verpflegung und Ausflügen) nichts.
Die Zahlen zeigen, dass bei der KitaFinanzierung einiges im Argen liegt. Wie eine gute Reform aussehen soll, darüber aber streiten Sozialverbände, Politik und Wirtschaft. Dabei ist die Sache eigentlich klar. Kita-Beiträge sollten bundesweit einheitlich sein. Wettbewerb zwischen den Kommunen ist sinnvoll bei den Hebesätzen für die Gewerbesteuer. Er ist aber nicht sinnvoll bei Kita-Gebühren – weil die unterschiedlichen Sätze nichts mit der Gegenleistung, sondern nur mit der Haushaltslage der Kommunen zu tun haben. Städte, die wegen hoher Schulden unter Kuratel stehen, sind sogar gehalten, alle möglichen Finanzierungsquellen zu erschließen. Deshalb dürfen sie ihre Plätze grundsätzlich nicht beitragsfrei anbieten. Nicht der Wohnort sollte maßgeblich über die Gebühren entscheiden, sondern das Einkommen der Eltern, fordert auch Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Kita-Beiträge müssen sozial gestaffelt sein. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert grundsätzliche Beitragsfreiheit für alle einkommensschwachen Familien, insbesondere für Hartz-IVund Wohngeld-Bezieher. Das ist richtig, auch bildungspolitisch. Gerade Kindern aus bildungsfernen Familien, in denen nicht vorgelesen und womöglich nicht mal Deutsch gesprochen wird, tun Kitas gut. Allerdings gibt es entsprechende Sozialstaffeln längst. Selbst im klammen Duisburg müssen Eltern bei einem Jahreseinkommen bis zu 15.000 Euro nichts für die Kita zahlen. Nicht nachvollziehbar ist dagegen, warum die Sozialstaffel in den Städten so willkür- lich ausfällt. In diese Kerbe schlägt auch der Bund der Steuerzahler NRW: „Wir sind für eine vernünftige soziale Staffelung. Wir fragen uns zum Beispiel, warum man vonseiten des Landes nicht Einkommenskategorien und die öffentliche Kalkulation vorgibt. Das würde die Transparenz deutlich verbessern“, sagt dessen Haushaltsexperte Markus Berkenkopf.
Sozialpolitiker fordern gerne, Kitas generell beitragsfrei zu stellen. Mit einem entsprechenden Vorschlag war die NRW-SPD in den letzen Wahlkampf gezogen. Danach sollen für eine „Kern-Betreuungszeit” von 30 Stunden in der Woche keine Gebühren mehr fällig werden – und zwar für unter und über Dreijährige. Das ist ökonomisch und bildungspolitisch ebenso unsinnig wie die Beitragsfreiheit in Düsseldorf. Entsprechend hat die IHK Düsseldorf das Wahlgeschenk einst auch gegeißelt, zumal wenn es mit neuen Schulden erkauft wird. Warum sollte man Bürger für die Betreuung ihrer Kinder keinen Beitrag zahlen lassen? Das können sie – und das tun sie sogar gerne, wenn die Qualität stimmt. „Die Mehrheit der Eltern ist bereit, für eine bessere Qualität höhere Kita-Beiträge zu zahlen. 59 Prozent der Eltern oberhalb der Armutsrisikogrenze, aber auch 53 Prozent der Eltern unterhalb würden für mehr Personal und bessere Ausstattung höhere Beiträge akzeptieren“, so die Bertelsmann-Studie.
Und genau das ist das Problem: Bundesweit fehlen Tausende Erzieher, darunter leidet das Angebot, bei Ausfällen müssen Kitas auf Notgruppen-Betrieb umschalten. „Die Betreuungsschlüssel stimmen in vielen Kitas nicht, jetzt alle Eltern zu entlasten, würde den Handlungsspielraum für den Qualitätsausbau unnötig verengen“, warnt auch Jörg Dräger. Beitragsfreiheit würde dem System bundesweit 5,7 Milliarden Euro entziehen. Dabei würde der Aufbau ausreichender und kindgerechter KitaPlätze sogar weitere acht Milliarden kosten, so die Studie.
Fazit: Bessere Kitas statt Billig-Kitas braucht das Land.