Rheinische Post

Der Mann für den Übergang

Wirtschaft­sexperte Carlo Cottarelli soll Italien bis zur Neuwahl regieren. Er gilt als Gegenfigur zum Euro-Schreck.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM „Ich weiß nicht, wen ich wählen soll“, sagte Carlo Cottarelli noch einige Wochen vor der Parlaments­wahl in Italien, die Anfang März stattfand. Demnächst muss der 64 Jahre alte Ökonom wohl erneut mit sich ringen, welcher Partei in Italien er sein Vertrauen schenken soll. Nach der gescheiter­ten Regierungs­bildung zwischen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega ist eine Neuwahl im Herbst wahrschein­lich.

Der Mann, der Italien bis dahin über die finanzpoli­tischen Klippen und internatio­nalen Gipfeltref­fen führen soll, ist Carlo Cottarelli. Gestern beauftragt­e Staatspräs­ident Sergio Mattarella den Wirtschaft­swissensch­aftler und langjährig­en Mitarbeite­r des Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF) mit der Bildung einer Übergangsr­egierung.

Italien steckt in einer institutio­nellen Krise. 85 Tage sind seit der Parlaments­wahl vergangen, die Populisten-Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega war am Sonntag an der Personalie des Wirtschaft­s- und Finanzmini­sters gescheiter­t. Vor allem die rechtsnati­onale Lega hatte auf der Nominierun­g des 81-jährigen Ökonomen Paolo Savona beharrt, der für seine Euro-Kritik berüchtigt ist und die Probleme der EU in einer deutschen Hegemonie begründet sieht. Staatspräs­ident Mattarella schloss dessen Nominierun­g aus.

Cottarelli als designiert­er Premiermin­ister ist nun so etwas wie die Gegenfigur zum Euro-Schreck Savona. Seine Nominierun­g soll ein Signal der Beruhigung an die EU und die Finanzmärk­te aussenden. Cottarelli garantiert­e in einer ersten Stellungna­hme gestern eine „sorgsame Führung der öffentlich­en Konten“sowie die „Teilnahme Italiens an der Eurozone“. war Cottarelli Sparkommis­sar der Regierunge­n von Enrico Letta und Matteo Renzi und machte konkrete Vorschläge zur Verringeru­ng der Staatsausg­aben. Seine Kündigung machte deutlich, wie schwierig es gerade in Italien ist, Sparmaßnah­men durchzuset­zen.

Von Ideen wie dem Euro-Austritt Italiens, drastische­r Neuverschu­ldung oder gar der Forderung nach einem großzügige­n Schuldener­lass hält Cottarelli gar nichts. Sein Credo lautet: Solange die expansive Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k Italiens Wachstum unterstütz­t, sind die Staatskont­en so schnell wie möglich in Ordnung zu bringen. Italien soll sich also an die eigene Nase fassen und die Schuld nicht bei anderen suchen.

Die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der EU wird von einer Schuldenla­st in Höhe von 2300 Milliarden Euro gedrückt, das entspricht rund 132 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s und ist der zweithöchs­te Wert in der EU nach Griechenla­nd. Dieses Damokles-Schwert hofft Staatspräs­ident Mattarella nun mit der Nominierun­g Cottarelli­s unter Kontrolle zu bekommen, zumindest vorübergeh­end. Dabei gilt es als sehr wahrschein­lich, dass der designiert­e Ministerpr­äsident keine Mehrheit im Parlament bekommt und deshalb nur als relativ machtlose Übergangsf­igur bis zur Neuwahl im Herbst amtieren wird.

Ohne die Stimmen von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega gibt es keine Mehrheit im italienisc­hen Parlament. Keine der beiden populistis­chen Parteien scheint geneigt, nach dem Veto des Staatsober­haupts gegen ihren EU-kritischen Minister Savona den Kompromiss­kandidaten einer neuen Exekutive zu wählen. Stattdesse­n befinden sie sich schon wieder – oder immer noch – im Wahlkampf.

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Carlo Cottarelli bei einer Pressekonf­erenz im Quirinalsp­alast gestern.

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