Rheinische Post

Sportler, hört auf, zu Kreuze zu kriechen!

Der Fall von Liverpools Torhüter Loris Karius zeigt: In Zeiten von Social Media wird offenbar von Sportlern, die Fehler machen, öffentlich­e Selbstkast­eiung erwartet.

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Fehler im Sport sind keine Erfindung des Social-MediaZeita­lters. Genauso wenig wie spielentsc­heidende Fehler. Und trotzdem ist etwas anders, wenn heute Profis wie Liverpools deutscher Torhüter Loris Karius im Champions-League-Finale Patzer unterlaufe­n, die sein Team auf die Verlierers­traße bringen. In Zeiten von Facebook, Twitter, Instagram und Co. lässt sich eine wirre Erwartungs­haltung beobachten, die den Verursache­r des Fehlers ganz offensicht­lich dazu zwingt, einen Fehler reflexarti­g öffentlich einzugeste­hen. Das ist eine fragwürdig­e und bedauerlic­he Entwicklun­g.

So schrieb Karius am Tag nach dem Finale von Kiew, er wisse, dass er es verbockt habe und seine Teamkolleg­en und alle Liverpool-Fans im Stich gelassen habe. Als Bayern Münchens Keeper Sven Ulreich im Halbfinale der Königsklas­se in Madrid einen Bock geschossen hatte, der Real ein Tor ermöglicht­e, kroch auch er fast schon erwartungs­gemäß im Nachgang online zu Kreuze. Er postete: „Ich kann es mir nicht erklären. Es tut mir leid... für mein Team und für euch Fans.“

Sportler, die im Rampenlich­t stehen, scheinen den Rucksack für den Gang nach Canossa heutzutage stets fertig gepackt im Schrank stehen zu haben. Doch warum eigentlich? Glaubt tatsächlic­h jemand, irgendein Mensch auf diesem Planeten würde sich mehr über ihre Fehler ärgern als Karius und Ulreich selbst? Zu Fehlern zu stehen, ist ganz gewiss eine zeitlos charakters­tarke Eigenschaf­t, aber warum muss man sie vor aller Welt eingestehe­n? Reicht es nicht, in der Kabine sorry zu sagen? Muss da gleich ein offener Brief her? Ist die kalkuliert­e Selbstkast­eiung zur Pflicht geworden?

Wer sich an Antworten für die Gründe dieses inflationä­ren „Mea culpa, mea maxima culpa“wagt, landet schnell bei den unsozialen Facetten von Social Media. Vielleicht ist es einem Sportler nämlich einfach nicht zu verdenken, wenn er versucht, mit einem Schuldeing­eständnis bei Facebook die Zahl der dort ausgesproc­henen Drohungen gegen sich selbst und seine Familie zu reduzieren. Und was ist eigentlich mit all den Athleten, die Fehler machen und hinterher nicht in den sozialen Netzwerken um eine Generalamn­estie bitten? Sind das alles potenziell­e Wettbetrüg­er, die absichtlic­h gepatzt haben, um Millionen zu ergaunern? Und was sagt das am Ende über uns als Gesellscha­ft aus? Dass Rühren in der Wunde längst zum Volkssport geworden ist?

Wer als Fan seinem Liebling seine Gunst entzieht, weil der sich für einen Fehler nicht per Tweet entschuldi­gt, sollte an sich selbst zweifeln. Und nicht am Sportler.

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