Rheinische Post

Weltreise durch Oberbilk

Das Künstlerko­llektiv Matthaei & Konsorten hat einen Audio-Rundgang für Oberbilk entworfen. Mit dem Smartphone kann man sich durchs Viertel leiten lassen und die dortige Migrantenk­ultur erleben. Ein Selbstvers­uch.

- VON LEA HENSEN

Los geht’s an der Eisenstraß­e, die wegführt vom Bahnhof. Die Vögel zwitschern, es ist warm. „Genau hier kommen seit über 100 Jahren immer wieder neue Menschen an“, sagt eine Stimme aus meinem Smartphone: „Stell dir vor, du wartest hier auf einen alten Freund, der aus dem Bahnhof kommt. Du möchtest ihm von deinem neuen Leben erzählen. Wirst du stolz darauf sein?“

Oberbilk ist eine Arrival City für alle, die in Düsseldorf Arbeit und ein neues Leben suchen, behauptet das Künstlerko­llektiv Matthaei & Konsorten in seinem Audio-Rundgang fürs Smartphone, den es mit dem krank gemacht, auch wenn sie krank war“, sagt eine Frauenstim­me. Sie reden viel über die harte Arbeit, mit der sie sich identifizi­eren, von der Chance auf Unabhängig­keit und Selbstbest­immung. Von Eltern, die ihre Kinder dazu anhalten, eine ordentlich­e Ausbildung oder ein Studium zu absolviere­n. Und von dem Leben in dem Viertel, das von Tradition und Umbruch erzählt. „Das Viertel hat die Menschen gewählt“, sagt einer. Der Rundgang bietet einen anderen Blick auf das in Verruf geratene Viertel an.

Die App führt mich zwischen die Regale des Supermarkt­s Al Hoceima, ein Traditions­geschäft. Leckere eingelegte Zitronen gebe es da, heißt es, und schon stehe ich davor. Aus dem Smartphone erzählt ein marokkanis­cher Mann von seiner deutschen Ehefrau, die ihm während des Ramadan Butterstul­len machte. Die App möchte, dass ich aktiv werde: Ich soll mit den Menschen ins Gespräch kommen, den Weg finden zu einem Café namens „Riff“. Der Mann hinter der Oliventhek­e zeigt ihn mir.

Immer wieder soll ich mir Gedanken machen: „Als du 15 warst – was hast du dir vorgestell­t, wo du mit 20 sein würdest? Mit 30? Mit 40?“Mir wird klar, dass ich eigentlich kaum etwas über Marokko weiß: „Wie viele Fußballtea­ms hat Casablanca in der 1. Liga und wie heißen sie?“, fragt die App. Es gibt noch mehr zu erzählen, etwa von den Dynamiken, die das Viertel beherrsche­n, und von seiner medialen Inszenieru­ng. „Geschichte wird gemacht“, steht jetzt auf dem Display, und von den Polizei-Razzien unter dem Decknamen „Casablanca“ist die Rede. Ich scrolle mich durch Schlagzeil­en, die App verspricht mir Bonuspunkt­e, sollte ich drei von ihnen lesen. „Süddeutsch­e Zeitung“, „Taz“und „Faz“schreiben über Oberbilk und sprechen von dem „Gesetz der Straße“, von „nordafrika­nischen Diebesband­en“und von der „Heimat der Macho-Gangster“.

Vor einer Bäckerei, aus der es nach Gebäck und Minztee riecht – die Bäckereien soll ich zählen, ich zähle auf einen Schlag fünf an der Zahl – sitzen an einem kleinen runden Tisch ältere Männer und trinken Tee. Wer eine Pause braucht, um sich zum Beispiel mit den Menschen zu unterhalte­n, der kann die Route hier einfach unterbrech­en und später weitermach­en.

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