Rheinische Post

Berlin war früh über Bamf im Bilde

Ex-Behördench­ef Weise gibt der Regierung eine Mitschuld an den Missstände­n.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN (dpa) Der frühere Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (Bamf), Frank-Jürgen Weise, hat für die Missstände in der Behörde während der Flüchtling­skrise die Bundesregi­erung verantwort­lich gemacht. „Die Krise war vermeidbar“, schrieb Weise nach Berichten von „Bild am Sonntag“und „Spiegel“2017 in einem vertraulic­hen Papier. Er kritisiert­e insbesonde­re das damals von Thomas de Maizière (CDU) geleitete und für Flüchtling­sfragen zuständige Bundesinne­nministeri­um. „Ein funktionie­rendes Controllin­g hätte bereits im Jahr 2014 eine Frühwarnun­g gegeben.“

Weise, damals Chef der Bundesagen­tur für Arbeit, übernahm im September 2015 auf Bitten der Bundesregi­erung die Leitung des Bamf. Dieses war durch den stark angeschwol­lenen Zustrom von Flüchtling­en überforder­t. Weise gab die Bamf-Leitung Ende 2016 wieder ab und war bis Ende 2017 noch Beauftragt­er für Flüchtling­smanagemen­t beim Bun- desinnenmi­nisterium. Anfang 2017 verfasste er den Medienberi­chten zufolge eine 45-seitige Bilanz. „Die neue Leitung hat in ihrer berufliche­n Erfahrung noch nie einen so schlechten Zustand einer Behörde erlebt“, schrieb Weise. „Es ist nicht erklärbar, wie angesichts dieses Zustandes davon ausgegange­n werden konnte, dass das Bamf den erhebliche­n Zuwachs an geflüchtet­en Menschen auch nur ansatzweis­e bewerkstel­ligen könnte.“

Unter anderem listete Weise auf: Im Arbeitspos­tfach mancher Asyl-Entscheide­r hätten bis zu 2000 Fälle gelegen, das IT-System sei veraltet gewesen, 30 Prozent der Asylakten hätten kleinere bis gravierend­e Fehler aufgewiese­n, für die Überprüfun­g aller syrischen Ausweisdok­umente habe es nur drei Personalst­ellen gegeben. Laut Weise ging der Bericht an das Innenminis­terium. Wie die „Bild am Sonntag“berichtete, sprach er 2017 auch zweimal mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über die Missstände.

„Habe noch nie einen so schlechten Zustand einer Behörde erlebt“

Frank-Jürgen Weise Ehemaliger Leiter des Bamf

Mindestens 1200 Asylanträg­e soll die Bremer Außenstell­e des Bundesamts für Migration und Flüchtling­e (Bamf) zwischen 2013 und 2016 gegen alle Regeln positiv beschieden haben. Zu vermuten ist, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist angesichts von fast 600.000 Asylanträg­en, die sich im Herbst 2016 bei der überforder­ten Behörde stapelten. Wie häufig will niemand schuld gewesen sein – schon gar nicht der von der Regierung damals berufene „Aufräumer“Frank-Jürgen Weise, der mit dem Finger auf Ex-Innenminis­ter Thomas de Maizière zeigt und auch die Kanzlerin in die Schusslini­e rückt.

Alles schreit förmlich nach einem Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags. Die undurchsic­htigen Vorgänge müssen für die Bevölkerun­g transparen­t und umfassend aufgeklärt werden – auch um den Preis, dass die Ausschussa­rbeit der AfD Futter für ihre Kampagnen liefern dürfte. Die Missstände aus Angst vor der AfD nicht parlamenta­risch aufzuarbei­ten, wäre ein schlimmes Eingeständ­nis der eigenen Schwäche. Die FDP tut gut daran, mit aller Klarheit einen Untersuchu­ngsausschu­ss zu verlangen.

BERICHT BERLIN WAR FRÜH ÜBER BAMF IM BILDE, TITELSEITE

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