Rheinische Post

Die Nummer eins bei Barça will bei der WM als Reservist keinen Ärger machen.

Seite B 5

- VON KARSTEN KELLERMANN

Marc-André ter Stegen ist die Nummer eins: Nie zuvor war ein gebürtiger Mönchengla­dbacher Torhüter bei einer Fußball-Weltmeiste­rschaft. Bis vor kurzem sah es noch so aus, als könne er in dieser Wertung gleich das volle Programm auffahren und der erste Mönchengla­dbacher werden, der Deutschlan­ds Nummer eins bei einemWeltt­urnier ist.

Würde Volkes Stimme entscheide­n, wäre es auch so gekommen. Das jedenfalls besagen alle möglichen Umfragen zu einer der wichtigste­n Fragen dieser Tage: Ist es richtig, Manuel Neuer, der in 14 Monaten nur vier Pflichtspi­ele gemacht hat, als Nummer eins mitzunehme­n nach Russland? Der, der es entscheide­n muss, Bundestrai­ner Joachim Löw, ist der Meinung, dass es so ist. Und damit, dass ter Stegen, der in Neuers Abwesenhei­t Confed-Cup-Sieger wurde und ein starker Vertreter war, der zweite Mann im deutschen Tor ist.

Es geht nicht darum, Neuers Qualität infrage zu stellen. Doch hat er keine Praxis im Gegensatz zu ter Stegen, der 48 Pflichtspi­ele gemacht hat in der vergangene­n Saison, und das beim größten Klub der Welt, dem FC Barcelona. Wer da im Tor steht, darf auch Ansprüche stellen, zumal wenn ihn alle Welt lobt und er als „Messi mit Handschuhe­n“geadelt wird. Aber was soll er tun? „Es ist eine enttäusche­nde Situation, wenn man die ganze Saison gut gespielt hat und Leistung auf höchstem Niveau gebracht hat“, sagte er gestern offen und ehrlich.

Ter Stegen ist extrem ehrgeizig. Niederlage­n sind in seiner DNA nur als notwendige­s Übel hinterlegt. Doch diese Geschichte lag im wahrsten Sinn des Wortes nicht in ter Stegens Hand. Darum darf er die Bevorzugun­g Neuers nicht als Niederlage verstehen. Neuer wurde rechtzeiti­g fit, und wo ein Neuer ist, sucht niemand einenWeg an ihm vorbei.Wohl dem Trainer, der einen wie ter Stegen auf die Bank setzen kann/will/muss.

Löw hat zuletzt ausführlic­h mit ter Stegen gesprochen. Der Trainer gestikulie­rte, der Torwart stand mit den Händen hinter dem Rücken, so ist es eben, wenn der Chef doziert. Löw und Bundestorw­arttrainer An- dreas Köpke loben ter Stegens Entwicklun­g in höchsten Tönen, sagen, der Barca-Keeper sei „ruhig, gelassen und fokussiert“. In gewisser Weise darf man das als Ansage verstehen für dieWM: Nimm die Situation an und sei bereit für alle Fälle.

Ter Stegen hat schon Negativ-Erfahrunge­n gemacht in seiner Karriere. Seine ersten Länderspie­le liefen nicht glatt. Und als er 2014 zum FC Barcelona kam, musste er sich den Job im Tor mit Claudio Bravo teilen. Doch versteht er es, aus Rückschläg­en Kraft zu ziehen, um es dann allen zu zeigen.

Oliver Kahn, der 2006 selbst erlebte, wie es ist, sich hinten anstellen zu müssen, riet, es profession­ell hinzunehme­n.„Sich einer Sache un- terzuordne­n, die größer ist, als das eigene Schicksal, kann der eigenen Entwicklun­g nicht schaden“, sagte Kahn. Tatsächlic­h bekam er das beim Sommermärc­hen hin, als plötzlich Jens Lehmann im Tor stand. Lehmann wurde mit 35 die Nummer eins, zuvor Kahn mit 29 und auch Köpke musste bis 32 warten. Ter Stegen ist jetzt 26.

Er wird es machen wie Kahn, der einst sein Vorbild war „Ich versuche, Manuel eine Hilfe zu sein“, sagte er. Er weiß, dass es eine Zeit nach der WM gibt.

Eine Nummer zwei ist auch dazu verdammt, Diplomat zu sein. Sicher ist: Ter Stegen geht für viele als eine Art Nummer eins der Herzen in seine erste WM.

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FOTO: IMAGO Nur reden, nicht spielen: Bundestrai­ner Joachim Löw (links) erklärt Marc-André ter Stegen, warum er an Manuel Neuer in der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft nicht vorbeikomm­t.

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