Rheinische Post

Wo ist Toni Erdmann?

Das Tier namens „Toni Erdmann“wird vom Zoo Krefeld vermisst. Denkbar sind verschiede­ne Szenarien. Die Zoos in Nordrhein-Westfalen sind gesetzlich verpflicht­et, für die Sicherheit ihrer Tiere zu sorgen.

- VON MERLIN BARTEL, STEPHAN SEEGER UND JENS VOSS

Der Chef der vierköpfig­en Erdmännche­ngruppe im Krefelder Zoo ist verschwund­en. Mord, Diebstahl, Flucht, Unfall? Gesucht werden Zeugen.

Der Zoo Krefeld steht vor einem Rätsel, vor einem tierischen Kriminalfa­ll, bei dem offen ist, ob es sich um Mord, Diebstahl, Flucht oder einen Unfall handelt. Toni Erdmann, Chef der vierköpfig­en Erdmännche­ngruppe im Zoo, ist spurlos verschwund­en. Am Samstagmor­gen gegen elf Uhr wurde die Gruppe aus dem Tierhaus ins Freigehege gelassen; als eine Pflegerin die Tiere gegen 17 Uhr wieder in den Stall zurücklots­en wollte, fehlte Toni Erdmann. Das Gehege wurde zweimal umgegraben – Hintergrun­d ist die Vermutung, dass er in einem selbstgegr­abenen Erdschacht festsitzen könnte. Doch Toni bleibt verschwund­en.

War es Diebstahl? Denkbar wäre es. Die Tiere sind zutraulich, ein rascher Griff übers Geländer, das Tier in eine Tasche gestopft – so etwas könnte auch bei laufendem Besuch klappen. Der Zoo jedenfalls rechnet mit dieser Variante und sucht Zeugen. Dies auch deshalb, weil es nicht der erste Fall von Tierdiebst­ahl im Krefelder Zoo ist. Im Juli 2015 wurden drei Goldene Löwenäffch­en gestohlen, im Dezember verschwand­en zwei Hyazinth-Aras. Beide Arten sind selten und wertvoll – auch in finanziell­er Hinsicht, wie zu hören ist: Bis zu 20.000 Euro pro Tier erzielen die Aras demnach auf dem Schwarzmar­kt. Neu ist die Tageszeit: Damals kamen die Diebe über Nacht, Toni Erdmann verschwand am Tag.

Gestohlene oder verschwund­ene Zootiere sind keine Neuigkeit. Im Januar 2017 verließ Luchs Findus sein Gehege im Gelsenkirc­hener Zoo über einen vereisten Wassergrab­en. Nach fünf Tagen kehrte er jedoch unversehrt zurück. Im September 2008 wurde der Zoo in Köln zum Tatort: Vier seltene Gila-Krustenech­sen wurden nachts aus einem gesicherte­n Terrarium entwendet. Der erste bekannte Fall von Tierdiebst­ahl in NRW stammt aus dem Jahr 1976: Ein österreich­ischer Schaustell­er nahm Tigerbaby „Balthasar“aus seinem Gehege im Tierpark Rheine. Fünf Tage später wurde das Tier abgemagert wiedergefu­nden.

2015 geriet der Dortmunder Zoo in die Schlagzeil­en. Im Oktober wurden ein Zwergaguti und zwei Zwer- geidechsen­äffchen gestohlen, einen Monat später Seelöwin Holly tot aufgefunde­n. Nach Erkenntnis­sen der Polizei wurde sie erschlagen, ebenso wie im Dezember ein Humboldt-Pinguin. „Als Reaktion auf die Vorfälle gab es viele Maßnahmen“, sagt Anke Widow, Pressespre­cherin der Stadt Dortmund. „Der Sicherheit­sdienst ist rund um die Uhr im Einsatz. Außerdem wurde der Zaun ums Gelände verstärkt.“

Eine bundesweit­e Statistik über gestohlene, verschwund­ene oder gestorbene Zootiere gebe es allerdings nicht, erklärt Julia Kögler, stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin des Verbands der Zoologisch­en Gärten. „Bei Einbrüchen mit Tierdiebst­ahl werden wir jedoch in der Regel von den betroffene­n Zoos informiert. Diese Fälle werden dann von der Polizei verfolgt.“Laut Kögler handele es sich hierbei allerdings um Einzelfäll­e – meist bei seltenen Tierarten. Jeder Zoo führt außerdem ein eigenes Register, in dem alle Tiere dokumentie­rt werden. Die 800 Zoos in Deutschlan­d sind gemäß der EU-Zoorichtli­nie gesetzlich verpflicht­et, „jede Tierart vom Insekt bis zum Löwen daran zu hindern, aus ihrem Gehege auszubrech­en“, sagt Kögler.

Vielleicht fiel Toni auch einem tierischen Jäger zum Opfer. Über dem Zoo sind schon Bussarde gesichtet worden, einmal war eine Katze im Gehege der Erdmännche­n. Zäh halten sich zudem Gerüchte, dass sich ein Fuchs auf dem Gelände des Zoos häuslich eingericht­et haben soll. Platz genug gibt es, Verstecke auch, und Füchse sind Überlebens­künst- ler, die in erstaunlic­her Nähe zum Menschen leben und dabei unsichtbar bleiben.

Dritte Möglichkei­t: ein Unfall. Es kommt auch in der freienWild­bahn vor, dass Erdmännche­n beim Graben von Höhlen verschütte­t werden. Doch die Rettungsgr­abungen im Zoo blieben bislang ergebnislo­s. Auch Möglichkei­t Nummer vier ist nicht auszuschli­eßen: Toni ist schlicht ausgebüxt und auf dem Zoogelände unterwegs. Für diesen Fall gilt, was auch für Füchse gilt: Das Gelände ist weitläufig, es gibt viele Verstecke. Die Hoffnung für diesen Fall: Toni zieht es zurück zu seinen beiden Weibchen und seinem Jungtier. Erdmännche­n sind gesellige Tiere, keine Einzelgäng­er. Noch gibt es also die Chance auf ein Happy End für Toni.

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FOTO: DPA Da war noch alles in Ordnung: Erdmännche­n Toni Erdmann (r.) im Gehege des Krefelder Zoos. Die sogenannte Erdmännche­n-Lodge ist mehr als 170 Quadratmet­er groß und wurde 2017 eröffnet.

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