Wo ist Toni Erdmann?
Das Tier namens „Toni Erdmann“wird vom Zoo Krefeld vermisst. Denkbar sind verschiedene Szenarien. Die Zoos in Nordrhein-Westfalen sind gesetzlich verpflichtet, für die Sicherheit ihrer Tiere zu sorgen.
Der Chef der vierköpfigen Erdmännchengruppe im Krefelder Zoo ist verschwunden. Mord, Diebstahl, Flucht, Unfall? Gesucht werden Zeugen.
Der Zoo Krefeld steht vor einem Rätsel, vor einem tierischen Kriminalfall, bei dem offen ist, ob es sich um Mord, Diebstahl, Flucht oder einen Unfall handelt. Toni Erdmann, Chef der vierköpfigen Erdmännchengruppe im Zoo, ist spurlos verschwunden. Am Samstagmorgen gegen elf Uhr wurde die Gruppe aus dem Tierhaus ins Freigehege gelassen; als eine Pflegerin die Tiere gegen 17 Uhr wieder in den Stall zurücklotsen wollte, fehlte Toni Erdmann. Das Gehege wurde zweimal umgegraben – Hintergrund ist die Vermutung, dass er in einem selbstgegrabenen Erdschacht festsitzen könnte. Doch Toni bleibt verschwunden.
War es Diebstahl? Denkbar wäre es. Die Tiere sind zutraulich, ein rascher Griff übers Geländer, das Tier in eine Tasche gestopft – so etwas könnte auch bei laufendem Besuch klappen. Der Zoo jedenfalls rechnet mit dieser Variante und sucht Zeugen. Dies auch deshalb, weil es nicht der erste Fall von Tierdiebstahl im Krefelder Zoo ist. Im Juli 2015 wurden drei Goldene Löwenäffchen gestohlen, im Dezember verschwanden zwei Hyazinth-Aras. Beide Arten sind selten und wertvoll – auch in finanzieller Hinsicht, wie zu hören ist: Bis zu 20.000 Euro pro Tier erzielen die Aras demnach auf dem Schwarzmarkt. Neu ist die Tageszeit: Damals kamen die Diebe über Nacht, Toni Erdmann verschwand am Tag.
Gestohlene oder verschwundene Zootiere sind keine Neuigkeit. Im Januar 2017 verließ Luchs Findus sein Gehege im Gelsenkirchener Zoo über einen vereisten Wassergraben. Nach fünf Tagen kehrte er jedoch unversehrt zurück. Im September 2008 wurde der Zoo in Köln zum Tatort: Vier seltene Gila-Krustenechsen wurden nachts aus einem gesicherten Terrarium entwendet. Der erste bekannte Fall von Tierdiebstahl in NRW stammt aus dem Jahr 1976: Ein österreichischer Schausteller nahm Tigerbaby „Balthasar“aus seinem Gehege im Tierpark Rheine. Fünf Tage später wurde das Tier abgemagert wiedergefunden.
2015 geriet der Dortmunder Zoo in die Schlagzeilen. Im Oktober wurden ein Zwergaguti und zwei Zwer- geidechsenäffchen gestohlen, einen Monat später Seelöwin Holly tot aufgefunden. Nach Erkenntnissen der Polizei wurde sie erschlagen, ebenso wie im Dezember ein Humboldt-Pinguin. „Als Reaktion auf die Vorfälle gab es viele Maßnahmen“, sagt Anke Widow, Pressesprecherin der Stadt Dortmund. „Der Sicherheitsdienst ist rund um die Uhr im Einsatz. Außerdem wurde der Zaun ums Gelände verstärkt.“
Eine bundesweite Statistik über gestohlene, verschwundene oder gestorbene Zootiere gebe es allerdings nicht, erklärt Julia Kögler, stellvertretende Geschäftsführerin des Verbands der Zoologischen Gärten. „Bei Einbrüchen mit Tierdiebstahl werden wir jedoch in der Regel von den betroffenen Zoos informiert. Diese Fälle werden dann von der Polizei verfolgt.“Laut Kögler handele es sich hierbei allerdings um Einzelfälle – meist bei seltenen Tierarten. Jeder Zoo führt außerdem ein eigenes Register, in dem alle Tiere dokumentiert werden. Die 800 Zoos in Deutschland sind gemäß der EU-Zoorichtlinie gesetzlich verpflichtet, „jede Tierart vom Insekt bis zum Löwen daran zu hindern, aus ihrem Gehege auszubrechen“, sagt Kögler.
Vielleicht fiel Toni auch einem tierischen Jäger zum Opfer. Über dem Zoo sind schon Bussarde gesichtet worden, einmal war eine Katze im Gehege der Erdmännchen. Zäh halten sich zudem Gerüchte, dass sich ein Fuchs auf dem Gelände des Zoos häuslich eingerichtet haben soll. Platz genug gibt es, Verstecke auch, und Füchse sind Überlebenskünst- ler, die in erstaunlicher Nähe zum Menschen leben und dabei unsichtbar bleiben.
Dritte Möglichkeit: ein Unfall. Es kommt auch in der freienWildbahn vor, dass Erdmännchen beim Graben von Höhlen verschüttet werden. Doch die Rettungsgrabungen im Zoo blieben bislang ergebnislos. Auch Möglichkeit Nummer vier ist nicht auszuschließen: Toni ist schlicht ausgebüxt und auf dem Zoogelände unterwegs. Für diesen Fall gilt, was auch für Füchse gilt: Das Gelände ist weitläufig, es gibt viele Verstecke. Die Hoffnung für diesen Fall: Toni zieht es zurück zu seinen beiden Weibchen und seinem Jungtier. Erdmännchen sind gesellige Tiere, keine Einzelgänger. Noch gibt es also die Chance auf ein Happy End für Toni.