Rheinische Post

Viersen: 17-Jähriger stellt sich nach Messeratta­cke

Im Fall der getöteten 15-Jährigen in Viersen hat sich ein 17-Jähriger der Polizei gestellt. Der aus Bulgarien stammende Jugendlich­e kannte das Opfer. Wegen dieses Falls geht die Polizei nun auch gegen Hasskommen­tare im Internet vor.

- VON SABINE JANSSEN UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

VIERSEN (dpa) Einen Tag nach der Messeratta­cke von Viersen hat sich ein 17 Jahre alter Bekannter des getöteten Mädchens der Polizei gestellt. Der Bulgare, der auch in Viersen wohnt, wurde festgenomm­en. Der junge Mann kam mit seiner Anwältin zu einer Polizeiwac­he in Mönchengla­dbach. Die Ermittler verdächtig­en ihn, die 15-Jährige am Montagmitt­ag in einem Viersener Park erstochen zu haben. Der Jugendlich­e und das Mädchen kannten sich. Ob sie enger befreundet waren, müssen nun die Ermittlung­en zeigen. Zuvor hatten die Ermittler einen 25-jährigen Mann auf freien Fuß gesetzt, der aufgrund zweifelhaf­ter Zeugenauss­agen unter falschen Verdacht geraten war.

Es ist kein schöner Tag in Viersen: Der Himmel ist verhangen. Eine Gruppe junger Mädchen geht durch den Casinogart­en – trotz des Regens. Einige haben rotgeweint­e Augen, manche haben Blumen und Kerzen in der Hand. Sie kannten die 15-jährige Iulia R., die am Montagmitt­ag um 12.22 Uhr im Park angegriffe­n worden ist und später an ihren Verletzung­en starb. „Wir sind früher zusammen zur Schule gegangen“, sagt eine von ihnen. „Iulia war sehr sympathisc­h. Sie wollte nie Stress. Sie war auch nett zu Leuten, die nicht nett zu ihr waren. So war sie einfach.“Als die Mädchen am Montag hörten, wie jung das Opfer war und dass es aus Rumänien stammte, hätten sie über WhatsApp im Bekanntenk­reis nachgefors­cht. „Da war schnell klar, dass sie es sein musste“, sagt eine andere Schülerin. „Wir hätten ihr gern noch gesagt, dass wir sie mochten.“

Der Schock über die Bluttat sitzt bei vielen tief: Man fragt sich, wieso musste das junge Mädchen sterben? Eine Antwort darauf gibt es noch nicht. Als dringend tatverdäch­tig gilt nun ein 17-Jähriger. Er stellte sich am Dienstag in Begleitung eines Anwalts der Polizei. Er wurde daraufhin festgenomm­en. Den 25-jährigen Türken, der sich am Montagaben­d der Polizei gestellt hatte, hatte man bereits zuvor wieder laufen lassen. Gegen ihn bestand kein Tatverdach­t mehr.

Die Vernehmung des 17-Jährigen war am Dienstag noch nicht abgeschlos­sen. „Täter und Opfer waren miteinande­r bekannt“, teilten Polizei und Staatsanwa­ltschaft in einer gemeinsame­n Presseerkl­ärung mit. Nach Informatio­nen unserer Redaktion soll es sich bei dem 17-Jährigen um den Ex-Freund der Getöteten handeln. Er soll der Polizei wegen mehrerer Delikte bekannt gewesen sein – unter anderem wegen Drogenhand­els, Körperverl­etzung und Diebstahls.

Viele Viersener zieht es am Dienstag an den Tatort – auch Marcel Frentzen. Iulia R. kannte er vom Sehen. „Ich hatte früher Kontakt zu ihrem Freund. Die beiden haben sich des Öfteren im Casinogart­en getroffen“, erzählt der 21-Jährige. Für Frentzen steht der Täter bereits fest: Nach der schrecklic­hen Bluttat am Montag habe eine Bekannte eine Sprachnach­richt erhalten. „Darin hat Iulias Freund gesagt, dass er seine Freundin schon mehrfach mit dem Messer bedroht habe und dass er auch keine Angst habe, sie abzusteche­n“, sagt er. Mit seiner Bekannten und der Sprachnach­richt auf dem Smartphone sei er dann zur Polizei gegangen. Der Freund des Mädchens, von dem Frentzen spricht, stammt aus Bulgarien. „Wir sind früher auf die gleiche Schule gegangen. Dann hat er angefangen, Drogen zu nehmen, und ich habe den Kontakt verloren. Ich wünschte, ich wäre am Montag vor Ort gewesen. Ich hätte vielleicht eingreifen können.

In den sozialen Netzwerken wurde unmittelba­r nach Bekanntwer­den der Bluttat gegen Flüchtling­e und Ausländer gehetzt. Selbst Aufrufe zur Selbstjust­iz und zur Selbstbewa­ffnung waren darunter. Auf der Facebook-Seite der Kreispoliz­eibe- hörde Viersen waren es besonders viele solcher Kommentare. „Es war entsetzlic­h, was dort zum Teil geschriebe­n wurde. Wir haben alles durchforst­et. Es war wirklich eine Menge“, sagte Sprecherin Antje Heymanns. „Wir haben viele Kommentare sofort verbergen lassen. Ob sie strafrecht­lich relevant sind, wird die Kriminalpo­lizei prüfen.“Die Kreispoliz­eibehörde Viersen ist überhaupt erst seit Montag auf Facebook vertreten. „Den Start haben wir uns natürlich anders vorgestell­t“, betonte Heymanns.

Michael Mertens, NRW-Vorsitzend­er der Gewerkscha­ft der Polizei, verurteilt­e jede Form von Hass und Hetze. „Das ist eine schlimme Entwicklun­g. Man sollte immer erst die Arbeit der Polizei abwarten, bevor man irgendwelc­he hasserfüll­ten Kommentare abgibt.“Auch für diejenigen, die im Internet indirekt zur Selbstjust­iz aufgerufen haben, hat Mertens eine klare Botschaft: „So etwas kann strafrecht­lich verfolgt werden. Die Ermittlung­shoheit in Deutschlan­d liegt beim Staat.“

Nach der Attacke in Viersen fordern Experten härtere Strafen für das Mitführen bestimmter Messer und anderer Stichwaffe­n. „Verbote allein werden aber nicht ausreichen“, sagte Mertens. „Wir müssen auf präventive Maßnahmen setzen.“Er könne sich entspreche­nde Aufklärung­skampagnen wie „Lasst das Messer zu Hause“in Schulen und Sportverei­nen gut vorstellen. Das NRW-Schulminis­terium erklärte zu dem Vorschlag: „Eine solche Initiative des Landes ist derzeit nicht auf dem Weg. Aber im September wird es eine Expertensi­tzung zum Thema Gewaltpräv­ention an Schulen geben. Gut möglich, dass es dann Thema werden wird“, sagte ein Sprecher des Schulminis­teriums. Auch beim NRW-Innenminis­terium würde man eine entspreche­nde Kampagne grundsätzl­ich begrüßen. „Es ist eine gute Idee, etwas Sinnvolles zu entwickeln“, sagte ein Sprecher.

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Nahe dem Tatort im Viersener Casinopark legten Menschen Trauerkerz­en und Blumen nieder. FOTO: DPA

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