Weltbürger nach nur einem Tag
Unser Autor taucht ein in die Dimensionen der Großstadt Moskau. Und vollführt im Handumdrehen den Wandel vom selbsternannten Provinzler zum Kosmopoliten.
Moskau ist vor allem eines: groß. Es gibt breite Straßen, auf denen es sich morgens in die Stadt und abends aus der Stadt wunderbar staut. Aus dem Flugzeug sieht das alles sehr sortiert aus. Bei der Fahrt vom Flughafen in die Stadt bezaubern Plattenbau-Wohntürme wie aus einem Science-Fiction-Film der 50er Jahre. Sie kuscheln sich manchmal regelrecht aneinander, dann und wann umgeben von kleinen Wäldchen, in denen Kirchlein stehen mit goldenen Zwiebeltürmchen wie eine Erinnerung an ganz andere Zeiten.
Für praktizierende Provinzler wie mich ist das sehr beeindruckend. Ich bestaune voller Ehrfurcht die kleinen Kathedralen, die sie anstelle von Metro-Bahnhöfen errichtet haben, viel Gefunkel an den Marmorwänden und Leuchten, die für mich sehr nach Art Deco oder Jugendstil aussehen. Aber ich will das nicht beschwören, und angeben will ich schon gar nicht.
Die Metro rappelt genauso, wie das meine Vorbesucher versprochen haben. Aber sie ist schnell, viel schneller als der Autoverkehr zig Meter drüber. Jene „Treffpunkte mit Menschen, Frauen und Kindern“, die der damalige DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock in einem legendären Wort vor vier Jahren versprach, sind an diesem Ort unter der Erde so garantiert wie seinerzeit im brasilianischen Ferienort Porto Seguro. Sie sind allerdings, zumindest vorerst, weder so fröhlich noch so lautstark wie in Brasilien. Die Menschen, Frauen und Kinder von Moskau sind eher scheu. Manchmal lächeln sie ein bisschen bang, dann schauen sie wieder weg. Ich bin sicher, dass sie wieder herschauen, wenn ich so tue, als würde ich den Plan mit den Bahnhofsstationen studieren, der mir freilich nicht so viel sagt, weil die kyrillischen Buchstaben zwar schön aussehen, aber noch nicht mit mir sprechen. Da sind sie nicht anders als die Mitreisenden im donnernden Waggon. Ich bin in jeder Hinsicht zuversichtlich, dass das im Laufe der Zeit anders wird.
Die sogenannten Freiwilligen in ihren roten T-Shirts zeigen bereits, wie viel Bewegung in die zarten internationalen Beziehungen geraten kann. Sie lächeln unentwegt, und sie helfen mir sogar durch die Schranken zum Metro-Gleis, wenn ich gar nicht darum gebeten habe. Ich habe offenbar viel Mitleid erregt mit meinen Versuchen, mir Zugang zu verschaffen. Über das Ding mit der Provinz habe ich ja schon geschrieben.
Meine Vorstellungskraft versetzt mich weder in die Lage, Eingangsbarrieren zur U-Bahn zu überwinden (kein Wunder, zu Hause haben wir so etwas nicht), noch, die Entfernungen einer richtigen Großstadt ihrer Größe entsprechend einzuschätzen. Wege, die auf dem Stadtplan so wunderbar kurz aussehen, verlängern sich in der Wirklichkeit auf mehrere Kilometer. Und das Hotel, das sich nach Verheißung des Werbeprospekts in unmittelbarer Nähe der Metrosta- tion befindet, liegt auf einem anderen Erdteil.
Es ist entsprechend bevölkert mit Fußballfreunden aus Australien, die zum Frühstück erstaunliche Mengen von Eierspeisen vertilgen, chinesischen Reisegruppen, die im Morgengrauen vor den Speisesälen schnatternde Schlangen bilden, und Touristen aus Korea, von denen einer so aussieht wie der Zwillingsbruder von Kim Jong-un. Hoffentlich ist Donald Trump nicht auch noch hier, damit er dem US-Zuschlag bei der WM 2026 Nachdruck verleihen kann. Man würde ihn vermutlich gar nicht hören, weil die Chinesen zu laut sind.
Ich fühle mich endgültig als Weltbürger, wenn ich mich für ein freundlich gereichtes Kaltgetränk mit einem lässigen „Spasibo“bedanke, während mir ein australischer Mitbürger die Vorzüge eines baltischen Bieres mit der Nummer sieben erklärt. Im Laufe des Vortrags erfahre ich, dass es 16 verschiedene Geschmacksrichtungen geben muss. Der Mitbürger versichert, er habe bereits alle probiert. Zu Hause, versteht sich, denn Reisevorbereitungen müssen ja sein.
Ich begnüge mich vorläufig mit dem Studium der Moskauer Nahverkehrspläne. Damit habe ich genug zu tun.