WM-Kommentator Béla Réthy über Anfeindungen im Internet.
Der ZDF-Kommentator über seine Spiel-Vorbereitungen während einer WM, die Stimmung in Russland und Anfeindungen im Internet.
DÜSSELDORF ZDF-Reporter Béla Réthy geht in seine neunte Fußball-WM. Der 61-Jährige spricht über die Russland-Reise, seine Favoriten und seinen Umgang mit Attacken in den sozialen Netzwerken.
Herr Réthy, es ist Ihre neunte Fußball-Weltmeisterschaft als ZDFMann. Ist es für Sie noch etwas Besonderes? Réthy Ja. Ich mache meinen Job jetzt in verschiedenen Facetten seit 1980. Seitdem hatte ich, wenn ich mal überschlage, zehn Prozent schlechte Tage dabei. Begonnen habe ich 1986, ab 1994 in den USA habe ich erstmals live kommentiert. Es sind bei jedem Turnier ganz andere Voraussetzungen, andere Kulturen, ein anderer Zugang bei den einzelnen Turnieren. Außerdem hat sich der Fußball immer wieder verändert. Insofern ist es immer wieder etwas ganz Neues. Ich bin in den letzten zwei, drei Wochen fast ausschließlich damit beschäftigt, mich auf das Turnier vorzubereiten: die Teams studieren, Reiserouten anschauen. Man merkt einfach, wie dieVorfreude steigt, das ist seit dem Champions-League-Finale in Kiew so, seitdem dreht sich alles um die WM. Vor vier Jahren gab es den Titel für Deutschland. Fühlt man sich als Reporter auch ein wenig als Weltmeister? Réhty Ich habe das Finale ja nicht kommentiert, da waren die Kollegen von der ARD dran. Ich hatte das Halbfinale gegen Brasilien, das 7:1. Aber ich fühle mich nicht als Weltmeister, das wäre anmaßend. Das Höchste, was man sagen kann: Wir haben das deutsche Team begleitet. Wir Reporter sind ein Transportmittel für die Emotionen, aber die Leistung hat allein die Mannschaft gebracht. Brasilien, wo 2014 die WM war, ist das Fußball-Land, nun ist die WM in Russland. Auch da hat Fußball Tradition, aber es gibt eben auch viele politische Themen. Macht es das für den Reporter schwieriger oder interessanter? Réthy Die politische Situation macht den Alltag vor Ort vielleicht schwieriger, aber nicht die Reportage. Es spielen immer noch Messi, Ronaldo, Kroos oder Neymar. Darauf kann ich mich konzentrieren. Wir haben ja eine große Redaktion, da gibt es Dokumentationen und anderes zu den Themen. Natürlich werde auch ich punktuell auf Sachen eingehen, die am Rande passieren, aber die Leute, die eine Reportage einschalten, wollen erst mal das Fußballspiel sehen. Und dafür bin ich zuständig. 1986, als Sie Ihre Weltmeisterschaft für das ZDF gemacht haben, gab es noch kein Social Media. Wie sehr achten Sie auf das, was da abgeht?
Réthy Es hat sich irgendwann so ergeben, dass wir Fußball-Reporter Lieblingsziele der Kritiker und Wutbürger geworden sind. Aber weder in Quantität noch in Qualität ist all das, was da passiert, in irgendeiner Form relevant. Wenn es wirklich so wäre, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen uns Kommentatoren wettern und hetzen würde, wäre das ein Thema. Leider heißt es auch in den Zeitungen oft„Shitstorm“, wenn da keine 25 Tweets gegen einen Reporter sind – bei 25 Millionen Zuschauern. Aber man darf sich, wenn man die Relevanz und die Quantität bedenkt, damit gar nicht beschäftigen. Das heißt nicht, dass man nicht kritikfähig ist oder auch wir Reporter bessere und schlechtere Tage haben. Aber darum geht es meistens nicht, sondern nur um persönliche Dinge. Wer sich davon beeinflussen lässt, hat den Job verfehlt. Gerät der Fußball allgemein durch viele Themen, die am Rande stattfinden, in den Hintergrund? Réthy Das glaube ich nicht. Wenn der Ball rollt, beschäftigen sich 98 Prozent der Menschen auf dem Globus mit der WM. Selbst wenn Marokko gegen Iran spielt, schalten alle ein.
Ist es schwieriger, Marokko gegen Iran zu reportieren? Réthy Die Vorbereitung ist schwieriger, weil die Quellenlage schwieriger ist. Aber die Spiele selbst sind spannender für einen Reporter. Man sollte als Journalist ja immer neugierig sein und erpicht auf Neues. Aber man muss auch ganz klar sagen: Auch für uns Kommentatoren beginnt die WM erst richtig in der K.o.-Phase. Wie fängt die WM für Sie an? Réthy Mit Frankreich gegen Australien. Ein sehr schönes Spiel, wie ich finde. Ich habe zu Beginn ohnehin einige Favoriten in der Vorrunde. Frankreich, Argentinien, Brasilien, Kroatien und Deutschland. Ich freue mich drauf. Muss eine WM ein Grund zur Freude sein für einen Fan? Réthy Vor dem Turnier hat man, im Vergleich zu 2014, schon gemerkt, dass der ganz große Kick noch nicht da war. Damals war da natürlich auch eine extreme Magie: Brasilien, Zuckerhut, Strände, Samba, fünfmaliger Weltmeister. Das ist alles in Russland ein wenig kleiner. Aber ich bin mir sicher, dass es eine Eigendynamik mit der WM gibt, wenn sie erstmal läuft. Worauf freuen Sie sich ganz besonders?
Réthy Regionen kennenzulernen, in denen ich noch nie war. Ich bin in der Vorrunde in der Don-Region, in der Wolga-Region, im Großraum Kaliningrad, in Königsberg, der Heimat des großen Philosophen Immanuel Kant. Ich freue mich auch auf das russische Volk. Es ist sehr fröhlich und sehr gebildet, es gibt große Literatur, großes Theater, eine große Ballett-Tradition. Ich bin ja oldschool und reise immer ergebnisoffen in die Länder und verschaffe mir selbst ein Urteil. Wenn man mit offenem Kopf an die Dinge herangeht, kann man sehr profitieren. Ich habe zwei Kinder, und gerade die vielen Reisen, die mein Job mit sich bringt, haben meinen Toleranzbegriff geprägt. Das gebe ich an meine Kinder weiter. Die Hauptbotschaft ist: Die Welt ist viel, viel bunter, als uns mancher Spießer vorgaukelt. Nun die schwierigste Frage: Wer wird Weltmeister? Réthy Ich glaube, dass Deutschland es schaffen kann, aber nicht mehr der Top-Favorit ist. Wir haben noch neunWeltmeister dabei, aber es gibt auch die Testspiele und die Titelverteidiger-Statistik. Erst zweimal wurde der Titel verteidigt, in den 30er Jahren von Italien und dann 1958 und 1962 durch Brasilien, damals mit dem blutjungen Pelé. Ich würde mir wünschen, dass Deutschland es schafft, immerhin überträgt mein Sender ja auch das Finale. Aber Frankreich ist mein Favorit. Und der Geheimfavorit in diesem Jahr? Réthy Auch wenn es sich komisch anhört: Argentinien. Messi ist noch nie Weltmeister geworden, die Argentinier hatten Probleme in der Qualifikation, die sie nur knapp überstanden haben. Das könnte den Titelhunger anheizen. Und ich freue mich auf die afrikanischen Mannschaften. Senegal zum Beispiel, mit Liverpools Mané. Oft fehlt den Afrikanern nach guten Vorrunden der Punch, aber inzwischen sind viele der Spieler in Europa und wissen, wie man es in wichtigen Spielen machen muss. Ich würde es dem Kontinent wünschen, dass mal ein Team ins Halbfinale kommt. Wie sehr hoffen Sie auf eine Überraschung?
Réthy Für Überraschungen bin ich immer zu haben. Aber die gab es seit Einführung der WM erst zweimal. 1950, als Uruguay Brasilien besiegte, und 1954, als Deutschland gegen Ungarn gewann. Es gab ja auch erst sieben Weltmeister seit 1930. Was wäre Ihnen lieber: Deutschland als Titelverteidiger oder der achte Titelträger?
Réthy Deutschland als Titelverteidiger. Das ist historisch gesehen ja auch selten und wäre somit eine Überraschung. Es gab bislang ja auch nur einen Trainer, der den Titel verteidigt hat: Der Italiener Vittorio Pozzo. Joachim Löw wäre der zweite. Ich würde es gut finden. KARSTEN KELLERMANN FÜHRTE DAS GESPRÄCH.